Bei einer nicht genehmigten Demonstration für wirksameren Klimaschutz vor dem Kapitol in Washington ist Anfang Oktober die prominente 81-jährige Schauspielerin Jane Fonda wegen Störung der öffentlichen Ordnung vorübergehend festgenommen worden. Fonda hat das ganz bewusst in Kauf genommen, weil die Bilder, wie sie von Polizeibeamten in Handschellen abgeführt wurde, eben mehr Aufmerksamkeit garantieren als bloß eine Demonstration mit Sprechchören und ein paar Transparenten.

In jüngster Zeit sind es vor allem Umwelt- und Klimaschützer, die mit Aktionen des zivilen Ungehorsams für Aufsehen sorgen: sie verbarrikadieren sich in Baumhäusern, stürmen in Braunkohlegruben, blockieren den Verkehr oder schwänzen auch nur jeweils freitags die Schule. Mit ihren gezielten Regelverstößen können sich die Aktivisten auf berühmte Vorbilder berufen: Mahatma Gandhi etwa oder Martin Luther King.

Von dem US-amerikanischen Schriftsteller Henry David Thoreau (1817-1862) stammt der Satz: "Wenn das Gesetz so beschaffen ist, dass es notwendigerweise aus dir den Arm des Unrechts an einem anderen macht, dann, sage ich, brich das Gesetz." Wann aber ist ein Gesetz ungerecht? Und bietet die parlamentarische Debatte nicht Möglichkeiten genug, um Ungerechtigkeiten anzuklagen und Abhilfe zu schaffen? Die lange Unterdrückungsgeschichte der schwarzen Bevölkerung in den USA hat den Bürgerrechtler Martin Luther King daran zweifeln lassen.

Er setzte deshalb auf die Kraft zivilen Ungehorsams. Ein Beispiel dafür gab 1955 die Schwarze Rosa Parks in Montgomery, Alabama. Sie wurde verhaftet, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen, wozu sie nach den rassistischen Gesetzen des Bundesstaats verpflichtet gewesen wäre. Ihre mutige Aktion wurde zum Mitauslöser der Bürgerrechtsbewegung.

1983 gab es im schwäbischen Mutlangen Sitzblockaden gegen die Stationierung der ersten Pershing-II-Raketen. Die Teilnehmer, darunter Prominente wie der Schriftsteller Heinrich Böll, mussten sich damals wegen Nötigung vor Gericht verantworten. Der Philosoph Jürgen Habermas dagegen hielt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen für gerechtfertigt, sofern der Protest gewaltfrei bleibe und moralisch begründet sei. 2011 hat sich das Bundesverfassungsgericht dieser Auffassung im Wesentlichen angeschlossen und festgestellt, gewaltfreie Blockaden seien Teil der politischen Willensbildung und könnten deshalb nicht strafbar sein.

Der zivile Ungehorsam der Anti-Atomkraft- und der Friedensbewegung hat den Rechtsstaat nicht ausgehöhlt, sondern im Gegenteil die Abwehrkräfte der Demokratie gestärkt. Manchmal braucht es radikale Minderheiten, die Politik und Bürger aus ihren Denkroutinen aufrütteln und den Blick dafür schärfen, dass es für die Lösung großer Probleme eben oft nicht reicht, den kleinstmöglichen Kompromiss zu finden, der niemandem wehtut. Jede bestehende politische Ordnung ist fehlbar. Auch Demokratien brauchen deshalb immer wieder Anstöße zur Reform und Erneuerung.

Schriller und radikaler als die von Greta Thunberg inspirierte Bewegung Fridays for Future agieren die Klimaaktivisten von "Extinction Rebellion" (Aufstand gegen das Aussterben). Sie wollen so lange stören, bis der Klimanotstand ausgerufen ist. Ob sie aber der guten Sache damit einen Gefallen tun?

Die Sozialwissenschaftlerin Jutta Ditfurth nennt Extinction Rebellion eine "esoterische Weltuntergangssekte". Und ja, Verkehrsblockaden oder die Beschwörung der nahen Apokalypse werden die meisten Bürger eher nerven als dazu bewegen, auf den Urlaubstrip im Flugzeug zu verzichten. Ziviler Ungehorsam für eine gerechte Sache ist prinzipiell legitim - aber er ist immer auch eine Gratwanderung. Nicht zuletzt deshalb, weil, wie beim G20-Gipfel in Hamburg, kalkulierte Regelverstöße mitunter nahtlos übergehen in Randale und Gewalt.

Junge Menschen entscheiden sich dennoch oft lieber für den Protest auf der Straße, weil sie die Möglichkeiten der institutionellen Teilhabe als wenig erfolgversprechend wahrnehmen. Und Sitzblockaden bewirken mitunter tatsächlich mehr als Parteitagsreden. Diese Einsicht gab es offenbar schon in der Antike. Um 411 v. Chr. schrieb der Komödiendichter Aristophanes sein Stück "Lysistrata". Darin erzählt er, wie die Frauen Athens, müde des nicht enden wollenden Kriegs mit Sparta, die Stufen zur Akropolis und damit zur Kriegskasse im Schatzhaus blockierten. Mehr noch: Sie traten in einen unbefristeten Sex-Streik. Mit guten Worten allein, das war ihnen klar, kann man der Vernunft nicht immer auf die Sprünge helfen.