Seine letzten zwölf Lebensjahre, 1990 bis 2002, hatte Siegfried Pitschmann wieder in Thüringen, in Suhl, verbracht. Zeit seines Lebens war der Autor in der Literaturszene vor allem als zweiter Ehemann von Brigitte Reimann wahrgenommen worden, als der Daniel in deren Tagebuchaufzeichnungen. Daniel, dieser weniger heroisch klingende zweite Rufname, war wohl ohnehin Pitschmanns (1930-2002) eigentliches Ego gewesen.

Empfindsam, sensibel bis in den kleinsten Nerv, ausgestattet mit tausend Bedenklichkeiten gegenüber dem Leben und dem Schreiben. Wie gefühlsintensiv dieses Leben insbesondere an Brigitte Reimanns Seite war, jener Vorzeigeautorin der DDR-"Ankunftsliteratur", davon gibt ein nun veröffentlichter Briefwechsel der beiden eine Ahnung. Mittlerweile ist die zweite Auflage heraus- und das Thema auch hier angekommen. Das Suhler Buchhaus hatte Herausgeberin Kristina Stella am Donnerstag eingeladen.

"Es wär schön gewesen!" hat sie diesen Band betitelt. Sie nimmt damit Bezug auf Siegfried Pitschmanns Resümee zum Tod seiner immer Geliebten im Jahr 1973, in beider Anlehnung und Verehrung an Hemingways "Fiesta". Die Briefesammlung erschien im Februar diesen Jahres, genau am 40. Todestag der mit nur vierzig Jahren an Krebs gestorbenen Brigitte Reimann, im Bielefelder Aisthesis Verlag.

Kristina Stella war bei der Recherche zu ihrer Reimann-Bibliografie im Reimann-Nachlass im Literaturzentrum Neubrandenburg auf diesen Briefwechsel gestoßen. Sie habe sich festgelesen daran, "mit welcher Noblesse und Liebenswürdigkeit dieser Mann schreibt", erzählt sie in Suhl. So erschien noch vor dem ersten Band der Bibliografie das Briefwechsel-Buch, mit einer akribischen Listung aller Briefe und Querverbindungen im Anhang.

Die Briefe, 148 an der Zahl, geschrieben zwischen 1958 und 1971, geben tiefe Befindlichkeiten preis. Sie reichen weit über Szenen der kurzen Ehe der Jahre 1959 bis 1964 hinaus. Sie erzählen eine leidenschaftliche Liebesgeschichte - in Lust und Schmerz, wunderschön und tragisch. In ihnen ist die Ekstase dieser intensiven Beziehung in Worte gefasst. Diese Worte streicheln und verletzen, sie setzen Gedanken, Sehnsucht, Liebeshunger bei räumlichem Abstand fort.

Sie offenbaren: Hier sind sich zwei vom ersten bis zum letzten Augenblick zugetan. Ihr Respekt zueinander reicht ein Leben lang. Sie können nicht ohne einander leben, miteinander aber auch nicht. Es waren für Pitschmann die erfülltesten, hoffnungsvollsten und produktivsten Jahre, es waren aber auch die Jahre, an denen er zerbrach.

Um auch bislang Unkundigen eine Brücke zur Autoren-Entdeckung Pitschmann-Reimann zu bauen, hat Kristina Stella die Briefe behutsam mit erklärenden Zwischentexten verbunden. Quasi als rote Schleife um das so offenbarte Seelenleben, gestempelt von körperlichen Schmerzen und seelischen Narben und von diesem ewigen Verlangen: "und alle Gedanken suchen dich".

Diese Briefe - angereichert mit Fotografien und mit 54 feinsinnigen Zeichnungen Siegfried Pitschmanns - sind weit mehr als ein Lückenschluss in der vielfältigen Korrespondenz der Brigitte Reimann. Sie offerieren dem heutigen Leser ganz nebenher zeitgeschichtliche Momentaufnahmen, und sie sind ein literarisches Vermächtnis, insbesondere das des Siegfried Pitschmann. Sie bezeugen die Authentizität einer aus dem Schatten geholten Schriftsteller-Persönlichkeit. Sie ermöglichen die gleichrangige Wahrnehmung eines literarischen Feingeistes, der die Kurzprosa handhabte wie ein filigranes Uhrwerk.

Er ließ Geschehnisse aus der Situationen heraus über ein Zahnrad ineinander greifen, zur verdichtenden Geschichte verschmelzen. Der gelernte Uhrmacher lässt grüßen. Im Gegensatz zur ruhelos besessenen Schreiberin Reimann hat ihr Gefährte Pitschmann seine Worte gemeißelt für die Ewigkeit.

Diese Briefe aber sind in ihrer Impulsivität jetzt eine weitere Entdeckung in Pitschmanns schreibender Artikulation. Er war immer auch ein scharfsinniger Analytiker und genauer Beobachter seiner selbst. Auch darüber erzählen seine Briefe. Nicht nur von diesen ließ sich Kristina Stella fesseln, sie sei auch dabei, Pitschmanns einst von Kulturideologen verhinderten Roman "Die Erziehung eines Helden" herauszubringen.

Doch schon über die Briefe hinein in Pitschmanns bislang veröffentlichtes literarisches Schaffen könnte sich eine Vision des Autors ermöglichen, die er der Weimarer Theologin Marie-Elisabeth Lüdde im Resümee seiner Lebenserinnerungen aufs Tonband protokollierte: "Ich werde immer als der Partner der Reimann befragt, weniger zu den Texten, die ich auf den Tisch gelegt habe . . . - Aber ich würde doch gern für mich stehen." Knapp ein Jahr später starb Siegfried Pitschmann.

Kristina Stella (Hrsg.): "Wär schön gewesen!", Aisthesis Verlag Bielefeld 2013, 309 Seiten - 24,80 Euro.