Fünfhundertsechzig Seiten - mein lieber Mann! Beeindruckend dick liegt der "Schmöker" - und das ist nicht abwertend gemeint - zum Bibliotheksabend auf einem kleinen Tischchen im Hildburghäuser Rathaussaal. Lisa, die Heldin einer Geschichte mit dem seltsamen Titel "Ein Engel für Mr Darcy", hat offenbar einiges zu erzählen. Ein kurzer Blick auf den Titel verspricht amouröse Abenteuer: Eine junge Dame mit skeptischem Blick und ein junger Herr mit welkenden Blümchen: Wer solche Romane schreibt, dem muss die Schriftstellerei in die Wiege gelegt sein. Meint man.

Wenig später sitzt Ulrike Böhm am Lesepult. Sie sei ein "Bücher-Junky" und außerdem viele Jahre lang Bibliothekarin in Meiningen gewesen. Erzählt sie. Und nun im Ruhestand. Und weil eine berufene Bibliothekarin nicht wirklich los lassen kann von ihren Büchern - das sagt sie zwar nicht, aber das spürt der Zuhörer sogleich -, hat sie ein Fernstudium begonnen. "Literarisch schreiben", heißt der Kurs. Ergebnis ist ein "ungewöhnlicher Wende-Roman". So jedenfalls steht es auf einem Werbeblättchen des Plöttner-Verlags. Dem lässt sich nach einer guten Vorlese-Stunde schwer widersprechen: Ulrike Böhm zerrt ihre Zuhörer im Hildburghäuser Rathaus - nach englischem Vorbild mit Gebäck und Earl-Grey-Tee verwöhnt - in eine ganz schön schräge Liebesgeschichte, deren soziales Umfeld so manchen verdammt bekannt vorkommt.

Und das liegt an den Obsessionen der Autorin. Denn Böhm outet sich als absoluter Jane-Austin-Fan, der die Werke der berühmten Engländerin - einer Zeitgenossin der deutschen Klassiker - selbstverständlich im englischen Original verschlungen hat. Und die ein paar Ansichten und Einsichten loswerden möchte über die untergegangene DDR und die Wende-Zeit. "Ich wollte die andere Seite der DDR darlegen", sagt sie in Hildburghausen - und meint damit die kleinen, die lebenswerten Seiten, die im politischen Aufarbeitungs-Getöse der letzten 25 Jahre untergegangen sind. Beides miteinander zu verschmelzen - ihre biografischen Erlebnisse und ihre Leidenschaft für Jane Austin - das gefiel der Meiningerin. Und also hat Ulrike Böhm Lisa erfunden, die Bibliothekarin, die in Südthüringen zu DDR-Zeiten groß wird, die Wende erlebt und von den Ereignissen hin und her getrieben wird - bis ihr amouröses Abenteuer natürlich bei einer England-Reise auf den Spuren Jane Austins erlebt.

Die Liebesgeschichte zu spinnen, hat Ulrike Böhm lesbar Freude gemacht. Erstaunt wird der ein oder andere sein, wie plastisch es die Autorin in ihrem Erstlingswerk versteht, längst vergangen geglaubte Zeiten zu beschreiben. Kindheits- und Jugenderinnerungen, die sich aus dem Text schälen, als hätte man sie selbst erlebt. An- und Einsichten über ein Land und eine Zeit, die noch heute nachdenkenswert erscheinen. Nicht zuletzt das macht das Buch zum amüsanten Lese-Erlebnis.

Ulrike Böhm: "Ein Engel für Mr Darcy". Plöttner-Verlag Leipzig - 19,90 Euro. Die Autorin liest am 14. Februar, 19.30 Uhr, im Café Neumann Meiningen.