Die Herzogin Anna Amalia, die am 10. April 1807 in Weimar starb wurde in der Kirche begraben, die mit Herders Namen verbunden ist. Sie bekam das letzte Begräbnis in dieser Kirche, ein wenig hinter dem Altar von Lucas Cranach. Die folgenden Toten des Hauses Sachsen-Weimar teilen sich die Fürstengruft.

Anna Amalia hat sich diesen herausgehobenen Platz redlich erworben. Nicht nur, dass ohne diese Frau Herders Denkmal nicht vor der Kirche stünde, denn er wäre ohne ihr Wirken wohl kaum nach Weimar gekommen. Nach allem, was sich denken lässt, bei aller Zurückhaltung gegenüber den Spekulationen einer konjunktiven Geschichtsbetrachtung: Ohne diese Frau wäre Weimar wohl der unbedeutende Haupt-Flecken eines unbedeutenden Herzogtums geblieben. Ohne Anna Amalia wäre die Weimarer Klassik mutmaßlich ausgefallen.

Unsterblichkeit

Die am 24. Oktober 1739 geborene Tochter des Hauses Braunschweig - ihre Mutter Philippine war eine Schwester des preußischen Friedrich II. - wurde wie man eben Fürstinnen vermählte, 1756 dem Weimarer Herzog Ernst August Constantin angetraut. Dieser zeugte mit ihr zwei Söhne und starb zwei Jahre nach der Hochzeit. Von 1759 an übernahm die junge Witwe die Regentschaft des Herzogtums für ihren erstgeborenen Sohn Carl August. Ihre Herrschaft währte 16 Jahre, bis Carl August volljährig wurde und in die Geschichte eintrat, indem er einen acht Jahre älteren Dichter nach Weimar holte und so für seinen Namen und den seiner Stadt das rare Billett der Unsterblichkeit erwarb.

Carl August hat den "Faust" nicht geschrieben, aber er hat Goethe in Lebensumstände gebracht, die dieses Drama für den Dichter als Erfahrung und als Dichtung erst ermöglicht haben. Und die Voraussetzungen dafür schuf eine Frau, die, anders als es die Regel, für dieses mal nicht hinter einem Mann verschwindet. Sie war kein herausragender Geist und ein wenig mag ihr Musenhof auch eine romantische Figur der deutschen Literaturgeschichte sein. Anna Amalia hat Weimar nicht intentional begründet, aber doch, indem sie ihren Sohn dem Einfluss Wielands unterwarf, eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung dafür geschaffen.

Geschätzer Wieland

Die junge Regentin schlägt sich mit ihren Aufgaben herum und sie trägt Sorge für die Erziehung ihres Sohnes und damit auch für die Zukunft des kleinen Ländchens. Am 3. September 1775 würde die Macht an den jungen Herzog fallen, was auch immer er bis dahin an Bildung und Charakter erworben haben würde. Eine dynastische Herrschaftsfolge unterwirft die Träger der Macht keinerlei Prüfung, man kann nur beten, dass es die Rechten trifft. Und ein wenig dafür arbeiten.

Im benachbarten Erfurt lehrt Christoph Martin Wieland an der dortigen Universität. Es ist, bei der Gelegenheit, das einzige Mal in der Geschichte, dass die Stadt sich rühmen kann, den ersten deutschen Schriftsteller einen der ihren zu nennen. Sie haben den Umstand damals wohl nur in Maßen geschätzt und er hat sich auch kein zweites Mal eingestellt. Im August 1772 gewinnt die Regentin Wieland als Prinzenerzieher. Tausend Gulden Gehalt für die drei Jahre bis zur Volljährigkeit des Herzogs, dann 600 Gulden Pension für alles was noch kommt - das war ein gutes Angebot für den die Geborgenheit liebenden Wieland.

So kam der erste der großen vier nach Weimar und vor allem legte er in diesen drei Jahren gleichsam den Schlussstein in das geistige Fundament des jungen Mannes Carl August. Die Zielstrebigkeit, mit der dieser nicht nur den jungen Goethe nach Weimar holte und ihn mäzenatisch stütze, sondern ihn vielmehr, zum Missfallen seiner Granden, sehr rasch und sich damit zunächst keinen Beifall erwerbend aktiv in die Staatsgeschäfte einband, wird man ohne über Gebühr zu spekulieren, wesentlich dem Einfluss Wielands zuschreiben dürfen.

Hier hatte er erfahren, wie anregend der Umgang mit einem prägnanten Kopf zu sein vermag und Goethe war ein junger Kerl wie er obendrein. So hat das Konzept der Fürstenerziehung, der Humanisierung durch Kultur, das als gesellschaftliches Konzept scheitern musste, auch wenn wir ihm das Sprachwunderwerk "Iphigenie" verdanken, so hat dieses pädagogische Konzept doch einmal individuell funktioniert und Geschichte gestiftet.