Wenn man Sebastian Fitzek glauben schenken darf, dann hat der Shooting-Star der jungen deutschen Krimi-Szene vor zwölf Jahren mit nur 4000 Büchern den inzwischen mit ungezählten Ermittlern und noch mehr Leichen gefluteten Markt der kriminalistischen Literatur aufgerollt.

Wobei jung natürlich relativ ist: Der Mann ist 47 Jahre alt, steht hemdsärmelig auf der Bühne des Meininger Theaters und erklärt mit einem Laser-Pointer in der Hand kurze Videofilmchen. Die sind Teil seiner Lesung, wobei gelesen nur am Rande wird. Wie er da vorne so lässig steht und sein Publikum mit illustren Episödchen aus der Welt eines Krimi-Autors unterhält, erinnert er schon ein bisschen an Facebook-Chef Mark Zuckerberg oder mindestens Apple-Gründer Tim Cook. Und irgendwie ist das, was er da macht, ja auch so etwas wie eine große Produkt-Show.

Das Produkt aber heißt nicht etwa "Flugangst 7A" - der neue Krimi aus seinen Tasten -, sondern ganz einfach Sebastian Fitzek. "Schön", sagt er, "heute Abend unter Gleichgesinnten zu sein." Leuten also, die mit "Blut, Mord und Totschlag" ihre Freizeit verbrächten. Leuten, die ihm Briefe schrieben und sich darin für "schlaflose Nächte" bei ihm bedankten. Schon hat er das Publikum angefixt, denn er trifft den Blues des Abends. Kaum ein Platz frei und die allermeisten Zuhörer jünger als er selbst.

Sind die nun wegen der Krimis da oder wegen des Krimi-Autors? Es ist tatsächlich schwer in diesem Moment, indem das Publikum den Autor anhimmelt wie einen Pop-Star, diese Frage einigermaßen treffend zu beantworten. Leute, die Krimis in Serien schreiben, gibt es eine ganze Menge. Niemand aber findet den Draht so zu seinen Lesern wie Sebastian Fitzek. Auf der Leipziger Buchmesse vor ein paar Wochen musste man gar nicht fragen, wo die lange, unübersichtliche Schlange der Autogramm-Jäger enden würde. Man konnte sicher sein: am Signier-Tischchen von Sebastian Fitzek.

Und auch in Meiningen ist nach der exakt 90 Minuten langen Bühnen-Show erst einmal Halbzeit: Gut eine Stunde lang schreibt der Autor nach seiner erzählenden Lesung Botschaften in mitgebrachte oder soeben erstandene Bücher, signiert Eintrittskarten, stellt sich mit jedem der Autogramm-Häscher auch noch zum Handy-Foto in Position. Die riesige Traube im Theater-Vestibül will und will nicht kleiner werden. Keine Buchhandlung, die einigermaßen was auf sich hält, kann sich derzeit leisten, keinen Fitzek im Regal stehen zu haben. Der Mann ist eine sichere Umsatz-Quelle. Aber wie macht er das bloß?

Methode Umverteilen

Der selbst verbreiteten Legende nach habe es zunächst gar nicht nach einem derartigen Erfolg ausgesehen. Der Erstling "Die Therapie" sei ja nicht einmal in jeder Buchhandlung hierzulande mit wenigstens einem Exemplar verfügbar gewesen, scherzt Fitzek. Logisch, bei 5700 Läden reichen 4000 Exemplare einfach nicht aus. Zum eigenen Aufstieg habe er mit der Methode "Umverteilen" selbst beigetragen, behauptet Fitzek. Bei dieser Methode zieht der bis dato nicht bekannte Autor in Buchläden sein eigenes Werk am Buchrücken aus dem Belletristik-Regal unter "F", um es sodann mit dem Buchdeckel nach oben auf Auslagen-Tischen oder gleich ins Schaufenster zu legen. Er sei damals im Buchladen nur anhand des Namens auf seiner EC-Karte ("Sind Sie der Sebastian Fitzek?") erkannt worden. Die Leute würden sich einen Psycho-Thriller-Autoren irgendwie anders vorstellen. Nicht so als "post-pubertären Harry-Potter-Verschnitt", sagt Fitzek.

Inzwischen hat der Mann jedes Jahr Bücher geschrieben, 17 Krimis sind bereits erschienen. Der Auslagen-Tisch im Vestibül ist brechend voll mit Büchern, Hörbuch-CDs und sogar einem "Safe House"-Spiel. Auf den meisten Buch-Covern greift eine Hand nach dem potenziellen Käufer, oder ein Auge blickt ihn irgendwie seltsam an. Keine Bücher, nach denen man sofort greifen würde, wäre da nicht auf jedem der Name "Fitzek" fett gedruckt. Fetter als der Buchtitel. Und darauf kommt es an.

Der Mann ist ein Phänomen - nicht nur, weil er ganz offensichtlich spannende Krimis schreibt, deren Erzählweise sich aber von Titel zu Titel nicht grundlegend verändert. Vor allem, weil er aus dem Akt des Krimi-Schreibens eine Show macht. Und die suggeriert: Da sitzt niemand im stillen Kämmerlein und kaut am Kugelschreiber. Nein, Fitzeks mörderische Geschichten sind geradezu aus dem Leben gegriffen und haben immer etwas mit den alltäglichen Begebenheiten des Berliners zu tun - erzählt er zumindest seinem Meininger Publikum. Das, was seine Zuhörer erfahren über Nele und Dr. Krüger - die beiden Hauptfiguren in "Flugangst 7A" -, ist geradezu Beiwerk. Fitzek liest ein paar Absätze - nicht mehr als nötig, um seinen Fans einen Eindruck vom Blues des Krimis zu vermitteln. Er wolle ja schließlich nicht zu viel verraten und habe überdies schon erlebt, wie sich Leute bei seinen Lesungen die Finger in die Ohren steckten, damit sie die Auflösung nicht mitbekommen. Also erzählt er - auch damit sich all diejenigen, die seine Bücher schon kennen, nicht langweilen.

Und an Leuten, die seine Bücher schon kennen, mangelt es nicht in Meiningen. Jenseits von Blut, Mord und Totschlag lässt Sebastian Fitzek sein Publikum für die Dauer einer Show teilhaben an der Arbeit eines Krimi-Autoren. Erzählt von akribischen Recherchen - und kann dabei glaubhaft rüber bringen, dass die Idee zu "Flugangst" enorm viel mit ihm selbst zu tun hat. "Jeder Siebte leidet an Flugangst", sagt Fitzek. "Ich vermeide Flüge." Und erzählt Horror-Geschichten von einer Reise im Propeller-Flugzeug nach Prag - zurück ging es dann im Taxi. Oder von einem Cessna-Anflug auf Helgoland. Die Vorgeschichte seines Buches sei eine intensive Recherche über Flugzeugabstürze und die Möglichkeit, dabei zu überleben, gewesen, erzählt Fitzek. Dafür sind ganz offenbar die Chancen auf Platz Nummer 7A am größten. Jedenfalls für den Fluggast Dr. Krüger, einem Psychiater, der von Buenos Aires nach Berlin fliegen muss, weil seine hochschwangere Tochter Nele ein Kind erwartet. Krüger leidet unter extremer Flugangst. Und als wäre das noch nicht genug, wird die Tochter just während seines Fluges entführt und eine seltsame Stimme meldet sich per Handy bei ihm, um ihn mit dem Leben Neles zu erpressen. Die hätte nämlich gute Chancen, wenn er das Flugzeug, indem er sitzt, zum Absturz bringt.

Da macht er einen Punkt, der Sebastian Fitzek. Klar, den Rest der Geschichte kann man nachlesen. Das Buch liegt ja am Büchertisch, und signieren würde er es ja auch, falls gewünscht. Es sei, warnt der Autor, "nicht als Bordlektüre geeignet". Und er versichert seinen Fans: Der Science-Fiction-Anteil des Buches beschränkt sich auf die Annahme, Berlin verfüge über einen funktionierenden Großflughafen. Was die Sache an sich nicht weniger bedrohlich erscheinen lässt.

Ideen per Postbote

Immerhin gibt es noch ein paar Tipps für angehende Krimi-Autoren im Publikum. Es seien alles Alltags-Situationen, aus denen er schöpfe, sagt Fitzek. Nicht, weil er einen schrägen Alltag hätte, sondern einen schrägen Blick auf den Alltag. Die Fragen, die dabei auftauchen, brächten ihn zu seinen Geschichten. Er erzählt von einem "Fundament an Fakten", von der Funktion des Zufalls in seinen Krimis und von Ideen, die ihm auch mal der Postbote bringt. "Das Paket" heißt der Krimi, der daraus entstanden ist. Der Rest sei Fantasie. Und doch: In diesem Moment wirkt der begnadete Selbst-Inszenierer Sebastian Fitzek, der mit Humor und einem Erzählstil, dem man gerne zuhört, das Publikum an die Angel nimmt, ganz authentisch. Egal, dass seine Krimis längst Massenware sind. Der Typ ist einfach angenehm anders. Ein witziger Verführer - nicht nur im Krimi. Dafür mögen sie ihn. Das System Fitzek ist ein florierendes Wirtschaftsunternehmen. Und irgendwie ist es am Ende ganz seltsam: Man gönnt es ihm.