So ein Jubiläum hält oft auch zur Rückschau an. Zur Bilanz des Gewesenen, zur Besinnung auf die Wurzeln. Zur Erinnerung der Erfolge und der Niederlagen, der Triumphe und der Peinlichkeiten. Also mochte es kaum verwundern, dass sich die Macher des Suhler Kulturfestivals "Provinzschrei" gestern bei der Vorstellung des neuen Programms ihre Anfänge zurück ins Gedächtnis riefen.

Förderer Michael Kraus, Marketing-Manager der Rhön-Rennsteig-Sparkasse, weiß noch, wie er den dreiseitigen Bitt-Brief aus der Post fischte. Und wie er ein paar Tage später zwei "junge Leute" im Büro empfing, die ihm mit ihren Ideen zusetzten, bis sein Kopf qualmte. "Wir konnten gar nicht umhin, da mitzumachen", sagt Kraus heute, "ich habe nur gesagt: Tut mir einen Gefallen, haltet drei Jahre durch." Tina Hess, die heute im Vorstand des Vereins Provinzkultur sitzt, teilt ähnlich lebhafte Erinnerungen an die beiden "jungen Leuten": "Eine Energie, die nicht zu bremsen war."

Zehn Jahre ist das nun her. Hendrik Neukirchner und Ehefrau Claudia, die damals noch Schmidt hieß, haben durchgehalten. Im neuen Programmheft sind die Namen jener 120 Künstler aufgelistet, die sie und ihre Helfer bisher nach Suhl gelotst haben. Es liest sich teilweise wie ein Auszug aus dem Who is Who deutscher Literatur-Prominenz.

Riemann, Osang, Gauck

Zu dem jetzt wieder große Namen hinzukommen. "Das Publikum erwartet zunehmend hochwertige Künstler", sagt Hendrik Neukirchner. Trotzdem hält das Programm die Balance. Für anspruchsvolle Literatur stehen Manfred Flügge mit seiner Marta-Feutwanger-Biografie oder Christoph Hein mit "Landnahme". Grenzüberschreitungen darf man vom Club der toten Dichter um Katharina Franck mit dem Rilke-Abend erwarten. Von Katja Riemann, die Sybille Berg liest und Rammstein singt.

Nicht zu vergessen die Nachlese mit Harry Rowohlt. Politisch wird's mit Joachim Gauck, heimelig bei Annekathrin Bürger, die zur ersten Garde der DDR-Schauspieler zählte. Und bei ZDF-Mann Dirk Sager, der Suhl noch aus seiner Zeit als DDR-Korrespondent kennt.

30 000 Euro hat der Verein Provinzkultur mit Claudia Neukirchner an der Spitze und ihrem Gatten als Teilzeit-Beschäftigtem investiert. So viel wie noch nie, und trotz Dutzender Sponsoren ist der Verein mehr als bisher auf den Erfolg beim Publikum angewiesen. Wenn der zehnte "Provinzschrei" eine Reifeprüfung darstellt, dann lautet die Prüfungsfrage, ob das Publikum dem gelegentlich fordernden Geschmack der Macher folgt. Denn es ist im Sinn des Vereins, nicht nur mit dem Wind zu segeln, sondern die mentalen Grenzen der Provinz mürbe zu machen.

"Der Provinzschrei ist auch kritisch", sagt Claudia Neukirchner, "mit Ecken und Kanten". Dass Katja Riemanns Rammstein-Programm zuletzt etwa große Teile des Weimarer Publikums verschreckte, verschreckt sie nicht. Es spornt an. Bei aller Reife, die neun Festivals notwendigerweise mit sich bringen: An Frische und Mut haben die Macher jedenfalls nichts eingebüßt.

Einzel-, Tages- und Gesamtkarten für den Provinzschrei gibt es in den Geschäftsstellen unserer Zeitung.



Die Höhepunkte des zehnten "Provinzschrei"-Festivals

8. September: Lesung mit Manfred Flügge (18 Uhr, Bücherei), Ausstellungseröffnung Udo Lindenberg (20 Uhr, Sparkasse Steinweg). 9. September: Lesung mit Alexander Osang (20 Uhr, CCS). 10. September: Jubiläumsabend unter anderem mit Katja Riemann (19.30 Uhr, Autohaus Erhardt). 11. September: Lesungen mit Christoph Hein (17 Uhr), Dirk Sager (19 Uhr) und Knorkator (23 Uhr), Konzert mit dem Club der toten Dichter und Rainbirds-Frontfrau Katharina Franck (21 Uhr, alle Autohaus Erhardt). 12. September: Lesung und Film "Hostess" mit Annekathrin Bürger (20 Uhr, Cineplex). 16. September: Lesung mit Joachim Gauck (19 Uhr, CCS). 30. Oktober: Nachlese mit Harry Rowohlt.