Es ist Heilige Nacht, und der Sohn des Pfarrers hat eine tiefe Enttäuschung erlitten. Da weckt er seinen Bruder, um ihm ein Geschäft vorzuschlagen: seine Zinnsoldaten gegen den Kinematographen, dessen Lichtquelle eine Petroleumlampe ist. Der erste Film, den das Kind durch den Apparat kurbelt, heißt Frau Holle. Ein Mädchen, wird sich der Mann später erinnern, liegt auf einer Wiese und schläft. Dann steht es auf, tanzt ein paar Schritte und verschwindet. Wenn man die Kurbel weiterdrehte, wiederholte sich der Tanz beliebig oft. Es ist, als habe Ingmar Bergman sein Leben lang an dieser Kurbel gedreht, um die Geschichte dieses Mädchens zu Ende zu erzählen. Ihren Traum vom Glück und warum es anders kommt.

Diese Filme wirken heute auf eine seltsame Art vergangen. Weder in ihrer dunklen Melancholie noch in ihrer Formensprache reklamieren sie eine unverwechselbare Originalität. Ihre Originalität, ihre Eigenart besteht vielmehr in einer Haltung, die uns erscheint wie eine Antiquität, kostbar und zum Gebrauch einer anderen Zeit bestimmt. Der Schwede Ingmar Bergman erzählt in seinen Filmen, wie sonst wohl nur noch der Amerikaner Woody Allen, von seinen persönlichen Neurosen, seine Geschichten sind beinahe immer Szenen seines Lebens. "Ich fuhr nach Göteborg, um mit meiner Frau zu sprechen. Wer sich dafür interessiert, kann das Geschehen im dritten Teil von ,Szenen einer Ehe' verfolgen'".

Ein Befreiungsschlag

Wer Ingmar Bergmans "Mein Leben" liest, erfährt viel über die Motive, die er aus Bergmans Filmen kennt. Allerdings, es ist nie so lustig wie bei Woody Allens Neurosen. Es geht immer um alles, es geht immer ums Leben, es ist immer tiefernst. Es sind wenige Grundsituationen, an denen sich Bergmans Grundfragen festmachen: Leben und Tod, erlitten in den Räumen der Einsamkeit. Der vom Kreuzzug heimkehrende Ritter ("Das siebente Siegel",1956), der alte Professor ("Wilde Erdbeeren", 1957), die beiden Schwestern in der Stadt, deren Sprache niemand kennt ("Das Schweigen", 1963), das Paar in den bald 50 Jahren alten und doch noch immer redensartlichen "Szenen einer Ehe" (1973). Und immer die Frage, ob da ein Gott sei und: Wozu?

Szenen eines Lebens.

Aufgewachsen in einem Pfarrhaus, ist die Demütigung eine Grunderfahrung. "Dort, wo ich lebte", wird er später schreiben, "gab es keine Liebe". Und: "Meine Eltern lebten in einer aufreibenden Krise ohne Anfang und Ende". Als der Vater den Studenten züchtigt, schlägt dieser zurück. Vielleicht ist der Rest des Lebens die Fortsetzung dieses Schlages. Ein Lebenswerk als ein Befreiungsschlag gegen die Gespenster der Kindheit, gegen die Neurosen des Lebens. Vielleicht finden seine Filme deshalb eher in psychologischen als historischen Räumen statt, vielleicht interessieren ihn daher die Innenräume der Psychologie mehr als die Außenansichten der Realität.

Und vielleicht musste deshalb ein Film wie das expressionistisch-düstere "Schlangenei" scheitern: Weil er zwar den Nationalsozialismus erlebt hatte, 1934 lebte er als Austauschschüler für einige Wochen in Thüringen und hörte Hitler in Weimar, aber über das Leben in diesem Deutschland wusste er nichts, nicht wirklich. Ingmar Bergman kannte sich nur aus in jener Düsternis, die in und um ihn war.

Der Regisseur, der zum Kernbestand des europäischen Autorenkinos rechnet, ist vielleicht der einzige der großen Filmemacher, der als Szenarist wohl bedeutender ist denn als Inszenator. Seine Karriere beim Film beginnt auch 1944 mit dem Originaldrehbuch zu "Qualen", der 1946 den Großen Preis von Cannes erhält. Seine Filme sind seine Geschichten, seine Originalität beweist sich stärker in der erzählerischen als der filmischen Erfindung. Als Regisseur war er kaum ein Magier, seine lebenslange Theaterarbeit wurde nie, anders als sein Wirken für den Film, wirklich ein Teil der europäischen Kultur: Dass er Theater inszenierte, wüssten wir nicht ohne den Ruhm seiner Filme. Film ist ihm das Medium seiner Geschichten, seine filmische Sprache ist bemüht, die Gleichnishaftigkeit der Geschichten zu visualisieren, was gelegentlich zur Überanstrengung der filmischen Symbolik führt.

So ist es kein Zufall, dass das, was von Bergmans Filmen erinnerlich bleibt, die schmerzlich intensiven Gesichter seiner Schauspieler sind: Max von Sydow, Bibi Andersson, Ingrid Thulin, Liv Ullmann. Großaufnahmen, Gesichter, in denen seine Sujets Kraft gewinnen, weil sie ganz auf den Menschen zurückgeworfen sind: die Demütigung und die Angst. "Ich bin kein ängstlicher Mensch" behauptet er einmal gegenüber einem Kollegen. "Wenn das so ist", antwortet der, "dann sind Ihre Filme sehr gut erfunden."

Der Pfarrerssohn hat diese Angst nie verloren, die vor dem Leben nicht und nicht die vor dem Sterben. "Gelten für Schauspieler", fragt der Schauspieler in "Das siebente Siegel" hoffend den Tod, "nicht besondere Regeln"? "Es gibt keine besonderen Regeln für Schauspieler", entgegnet der. Es gibt sie nicht einmal für Menschen, die ihr Jahrhundert prägen. Ausgenommen vielleicht die, dass bedeutende Menschen lange weiterleben in der Erinnerung jener, die sie nie kannten, nur ihr Werk.