Bernhard Haber ist ein Außenseiter, ein vertriebener schlesischer Habenichts, kaum mehr als geduldet im argwöhnischen Provinznest Guldenberg. Doch der halbwüchsige "Polacke" ist sturer als der Hass, der ihm und seiner Familie entgegenschlägt. Und so gelingt Haber trotz Demütigung und Erniedrigung die "Landnahme", das Ankommen in einer Gesellschaft, die ihn nicht haben will. Im Gespräch mit Freies Wort spricht Christoph Hein über eine erfolgreiche Integrationsgeschichte mit bitterem Beigeschmack.

Herr Hein, Ihr Roman "Landnahme" spiegelt nahezu fünf Jahrzehnte DDR-Geschichte beispielhaft am Werdegang der fiktiven sächsischen Kleinstadt Guldenberg. Was bedeutet für Sie der Begriff "Provinz"?

Ich wuchs in einer Provinzstadt auf, bin mit der Provinz vertraut, lebe heute noch gern auf dem Dorf in der Kleinstadt, wenn ich auch Großstädte schätze - ihrer Anonymität, ihres heftigeren Lebens, der stärkeren Reibungen wegen.

Zwischen dem Untergang der DDR und Ihrer literarischen Chronik liegen 15 Jahre. Warum dieser späte Zeitpunkt?

Später wäre noch besser, die Zeit klärt viel, aber ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch gegeben ist.

Welche eigenen Erfahrungen dieser Jahrzehnte konnten Sie in die Beschreibung Guldenbergs und Ihres Helden Bernhard Haber einfließen lassen?

Ich komme aus Schlesien, kam nach dem Krieg in eine vergleichbare Kleinstadt, erlebte Vergleichbares, denn Umsiedler waren weder in Ost noch in West gefragt, sind es nirgends in der Welt.

"Landnahme" beschreibt das Ankommen und den Aufstieg eines Außenseiters. Wie gelingt Haber diese erfolgreiche Integration?

Ja, ich denke, er schafft die von ihm gewünschte Landnahme. Er kommt an, wird sogar irgendein Präsident in der Kleinstadt. Aber er muss dafür einen hohen Preis bezahlen.

Sie selbst bezeichnen sich als "Chronist ohne Botschaft". Muss die Moral bei Gesellschaftsanalyse außen vor bleiben?

Moral zu predigen ist die Arbeit von Pfarrern und Politikern. Ein Autor sollte dagegen genau hinschauen und es genau beschreiben, das Fatale und Missliche, wie das Schöne und Menschliche. Die Fantasie, der Einfallsreichtum, das plastische, sinnliche Erfassen seiner Zeit und die Genauigkeit entscheiden über die Qualität von Literatur. Meine ich.

Interview: Susann Winkel