SUHL – „Jetzt muss ich Ihnen mal was sagen“, beginnt Regine Sylvester ihre Lesung in Suhl. „Sie wohnen in einer Traumgegend. Wissen Sie das eigentlich? Ich habe die ganze Zeit nur aus dem Fenster geguckt!“

Klar, denkt man jetzt, damit schleimt sie sich bei ihren Zuhörern ein, die dann ihr Buch kaufen sollen. Rund 30 Frauen und vier Männer sind in den kleinen Saal der Philharmonie gekommen, um sich „Nachrichten aus einem Frauenleben“ anzuhören, die die Berliner Autorin in Form von meist witzigen Kurzgeschichten aufgeschrieben hat. Doch Regine Sylvester – einst gern gelesene Autorin der Zeitschrift „Wochenpost“, heute Journalistin bei der „Berliner Zeitung“ – sagt diese kleine Liebeserklärung so, dass man sie ihr auch abnimmt. „Ich bin schon lange nicht mehr in der Gegend gewesen.“ Das klingt fast wie eine Entschuldigung. Und sie hat ja auch Recht. Als Südthüringer vergisst man schnell, wie schön es hier eigentlich ist. So schön, dass es selbst einer Berliner Schnodderschnauze, die viel herumkommt in der Welt, gefällt.

„Bis hierher. Und wie weiter?“ heißt der Band mit den in Glossen, Anekdoten und Kolumnen verarbeiteten Alltagsbeobachtungen von Regine Sylvester. Das scheint sich auch so manche Frau in Südthüringen zu fragen. Und nun hofft so manche Frau aus der Traumgegend auf Antworten. Denn die vier Männer im Publikum sind eher dienstlich in die Lesung im Rahmen des „Provinzschrei“ geraten. Einer organisierte die Veranstaltung, der zweite bedient die Tontechnik. Nummer drei fotografiert und Nummer vier schreibt für die Zeitung.

Selbstzerfleischung

Dabei ist das Buch für Männer fast interessanter als für Frauen. Denn Männer fühlen sich nicht bestätigt in ihren Alltagserlebnissen, sie fühlen sich aufgeklärt. Etwa wenn Regine Sylvester davon berichtet, dass Freundinnen im vertraulichen Gespräch „in den Ton der Selbstzerfleischung“ fallen. Da sind Haar schrecklich, Hintern zu dick und Bikinis schon gleich gar nicht mehr tragbar. Das ist der Moment, indem die Frau Widerspruch erwartet. So etwas wie „Du spinnst doch!“ Denn wer sich selbst kritisiert, klärt die Autorin auf, der erwartet nicht auch noch Widerspruch. Und wer sich super findet, hält das für eine Tatsache. „Deshalb trauen sich dreiste Deppen an tolle Frauen ran“, schreibt Regine Sylvester.

Sie selbst hat es mit dem Selbstvertrauen auch nicht gerade einfach. Denn sie fühlt sich noch nicht reif genug, um sich so zu akzeptieren, wie sie ist. Daher schreibt die Kolumnistin über ihren kritischen Umgang mit Fotos, auf denen sie zu sehen ist. „Die, auf denen ich mir nicht gefalle, die packe ich nicht einfach hinten in die Fotoschublade, nein – ich zerfetze sie in ganz kleine Schnipsel und schmeiße sie weg. Ich vernichte Beweismaterial. Keiner meiner Erben soll mich so sehen, wenn er den Nachlass ordnet.“

Nicht immer erzählt Regine Sylvester ihre Alltagsbeobachtungen so ironisch. Ihre Glossen sind eher ein Randprodukt ihrer journalistischen Arbeit. Es sind kleine Begebenheiten, manchmal nur Gespräche, die sie aufschnappt. Meistens von Leuten, die sie gar nicht kennt. Sie speichert sie in ihrem Kopf und irgendwann baut sie daraus eine Glosse. Eigentlich ist Regine Sylvester eine genaue Beobachterin der eher ernsten Dinge des Lebens. Erst am vergangenen Wochenende hat sie in der Wochenendbeilage der „Berliner Zeitung“ einen Text veröffentlicht, für den sie fast vier Monate recherchiert hat. Thema: Im deutschen Osten wandern die Frauen ab. Sie war in Ueckermünde, wo auf 100 Männer nur noch 77 Frauen kommen. So etwas macht sich auf dem flachen Land bemerkbar.

Nach einer guten Stunde Lesung lachen die anwesenden Frauen – und Männer – herzlich. Sie wissen nun, dass es ihnen nicht alleine so geht. Bücher wechseln ihren Besitzer, werden von Regine Sylvester mit einem Autogramm versehen. Denn neben ihren kleinen Anekdoten hat die Berlinerin vor allem eines verbreitet: Lebenslust.

Regine Sylvester: „Bis hierher. Und wie weiter?“ Kiepenheuer 2007 – 12,95