Das Problem dieses Buches steht oben auf Seite 17, gleich in der ersten Zeile: "Die Fiktion muss pausieren (und wirkt hinterrücks natürlich fort)." Der Mann, der eigentlich mit Fiktion sein Leben bestreitet, ist Thomas Melle. Geboren 1975, Wahl-Berliner, Alle-Jahre-wieder-Aspirant auf den Deutschen Buchpreis, zwischenzeitlich Geheilter. Nur kommt ihm bei ebendiesem Leben in routinierten Abständen eine Krankheit in die Quere. Melle leidet an einer ausgeprägten Bipolaren Störung, monatelang ist er manisch, dann monatelang depressiv, es folgt eine längere Verschnaufpause, in der er sein Leben wieder aufzuräumen versucht. Halbwegs zumindest. Einer dieser Aufräumversuche ist das Buch "Die Welt im Rücken".

348 autobiografisch rückblickende Seiten, keine Fiktion, wie der Autor im Prolog erklärt, auch wenn sich die Fiktion einschleicht. Womit das literarische Problem benannt ist. Dieses Buch könnte mit gleichem Recht in der Belletristik- wie in der Sachbuchabteilung stehen. Und der Leser tut deutlich besser daran, es als Sachbuch zur Hand zu nehmen. Eines, in dem ein Betroffener über sein Krankheitserleben schreibt. Wobei dieser erstens eine 17-jährige Expertise vorweisen kann, zweitens eine seltene Genauigkeit und Pointiertheit seiner Selbstbeobachtungen, drittens als Hintergrund einen kurzweiligen Berufsalltag im zeitgenössischen Literatur- und Theaterbetrieb, Hinter-die-Kulissen-Blicke inklusive.

Das alles sind gute Gründe, "Die Welt im Rücken" zu lesen. Und wer es als sprachgewandten Erfahrungsbericht liest, eben nicht als Fiktion, der ist danach um Wissen und Worte reicher, die das Unbeschreibbare einer psychischen Erkrankung fassen. Etwa jene existenzielle Verunsicherung, bei der sich nicht mehr unterscheiden lässt, was nun Ursache, was Folge der Krankheit ist und was gar nichts mit ihr zu tun hat. Wenn die Welt buchstäblich plötzlich als Gefahr im Rücken steht.

Absturz folgt auf Ausreißer

Wer nun aber das Buch als Roman liest, die Vorgänger "3000 Euro" und "Sickster" vielleicht noch in Erinnerung hat, wird enttäuscht sein. Der Mensch, der hier in den Wahnsinn abhebt, ins Bodenlose stürzt, ins Leben zurücktaumelt und das wieder und wieder, bleibt fremd und fern. Melle verscherbelt im Wahn seine Bibliothek, verprellt Auftraggeber, zerstört Freundschaften. Das aber bleibt dem Leser gleich. Absturz folgt auf Ausreißer, Gedankenorgie auf Demolage. So langweilt selbst der Wahnsinn mit der Zeit, wenn er ohne dramaturgisches Ziel von Seite zu Seite vor sich hin plätschert.

Thomas Melle will sich, so sagt er es im Prolog, mit diesem Buch von seiner Geschichte freischreiben. Um danach wieder Geschichten schreiben zu können, in die er sich nicht selbst ständig als trauriger Held hi-neinschleicht. Das könnte dann wieder ins Belletristikregal gehören.

Thomas Melle: Die Welt im Rücken - Rowohlt Berlin 2016, 19,95 Euro.