Wolf Biermann soll die Erinnerungsstunde an die wunderbare Selbstbefreiung der Ostdeutschen am 9. November 2014 im Bundestag musikalisch umrahmen. Wer Biermann kennt, weiß, dass er nicht nur singen, sondern das Wort wie eine Schleuder ergreifen würde. Denn sein Beruf sei ja Drachentöter. Und so singt er erst am Schluss seines Auftritts sein jahrzehntelang viele Ostdeutsche berührendes, ermutigendes, entkrampfendes, befreiendes Lied "Du, lass Dich nicht verhärten...Du lass Dich nicht verbittern". Aber er selber ist verhärtet und verbittert. Er zersingt sein eigenes Lied. Er drischt publikumswirksam noch einmal auf den toten Drachen ein. Denn da saß für ihn die dem heldischen Drachentöter entkommene Drachenbrut, nun freigewählte Fraktion der Linken. Sie kriegen's noch mal richtig ab von diesem mutigen Barden, als ob er Kinder und Enkel von Mielke, vielleicht sogar die Mielkes, Honeckers, Hagers selber vor sich hätte. Der Barde darf alles und er darf sich alles herausnehmen.

Unverschämt und maßlos

Freilich gehört zu den demokratisch-parlamentarischen Gepflogenheiten, dass Angegriffene sich wehren können. Sie mussten stumm bleiben. Er schlug genüsslich zu. Wie mutig! Ich stelle mir vor: Konstantin Wecker wäre eingeladen worden, um zu singen "Was ist das nur, mein Vaterland?" Und Wecker hätte begonnen mit einer Beschimpfung der GroKo - als Vasallen USA, hätte gegen die Gefahren des TTIP, gegen Rüstungsexporte gewettert. Wären die Saaldiener gleichmütig geblieben?

Was Biermann im Bundestag abgezogen hat, war unverschämt, maßlos und beleidigend, denn es wurden nicht nur frei gewählte Abgeordnete einer linksdemokratischen Partei angepöbelt, sondern auch deren Wähler diffamiert, als seien sie alle die Erben des Mauerstaates. Er wendet sich an die Linken mit seiner herrschaftlichen "Ihr"-Anrede, um sie niederzumachen, dieser ehemalige Genosse. Der letzte, der - vor fast 25 Jahren - ein solches "Ihr" in einem deutschen Parlament gebraucht hatte hieß Erich Mielke - am 13. November 1989 in der Volkskammer.

Kommunist Biermann

Dort säße nun "der elende Rest von dem, was zum Glück überwunden ist." Dass die Abgeordneten gewählt sind, weist Biermann mit der Bemerkung ab, eine Wahl sei doch "kein Gottesurteil". Wohl wahr. Auch sein eigenes Urteil ist nicht von seherischer Kraft. So prophezeite er 1976 in seinem berühmten Kölner Konzert, dass die BRD auch "rooot" werden würde. Eurokommunistisch. Zweifellos ist Biermann ein großer Poet, ein begabter Narziss und ein gefährlicher Rechthaber - in allen seinen Posen und Positionen. Stets ist Vorsicht geboten, wenn jemand beginnt, seine eigene Herkunft zu verachten. Biermann war einmal Kommunist. Überzeugter Kommunist. Das müsste er sich einfach einmal verzeihen.

Noch am 2. Dezember 1989 hat er ausgesprochen, was uns damals einte, nämlich eine selbstbewusste, eigenständige, mit dem Westen Deutschlands friedlich konkurrierende DDR, die nicht als Konkursmasse dem Westen angegliedert werden könnte. Ich leitete die Zusammenkunft, auf der auch ich Wolf Biermann zustimmen konnte: "Ich kann das Wort WIEDER nicht ertragen. Ich meine Wiedervereinigung... Aber egal unter welchem staatlichen Dach die Deutschen leben - oder Dächern, wie es mir besser gefallen würde, weil ich nämlich darauf hoffe. Ich hab hier nichts zu bestimmen, aber ich will deutlich sagen, was ich mir wünsche: Dass zwei Deutschländer da sein können, die einen edlen, friedlichen und demokratischen Wettstreit versuchen. ... Einen Wettstreit, bei dem man den anderen nicht heruntermacht, ihn zum Schwein stempelt, denn wer andere zum Schwein stempelt, will es auch abschlachten." Ja, Wolf, keinen zu Schwein stempeln! Was sich Biermann im Bundestag erlaubt hat, war das Niedermachen einer Oppositionspartei - unter Hohn-Gelächter der anderen Fraktionen.

Eine mythologische Figur

Wolf Biermann stilisierte sich zu einer mythologischen Figur. Drachentöter damals, Drachentöter heute. Das suggeriert ein mythisches Ur-Drama, in dem er allein entscheidet, wer Drache ist, wer der Held, wer Drachenkopf oder wer die Drachenbrut. Und suggeriert, wer der historische Wachmann sein soll, der der übriggebliebenen Brut zersingend begegnet: Biermann und Biermann und Biermann. Mich hat er vor 20 Jahren im Spiegel zu einem der "Spießgesellen des Teufels" ernannt, dann vor 15 Jahren zum "Zwerg von Wittenberg" geadelt.

Biermann gehört seit 25 Jahren zum lautstarken "elenden Rest" eines feindbildverzerrten Denkens, das der Zeit des Kalten Krieges, der deutschen Teilung mit gegenseitiger Schmähpropaganda verhaftet bleibt. Das alles mindert nicht die befreiende Funktion vieler seiner wunderbaren Lieder zu Zeiten, als er noch im Osten freche Stimme gegen die Gerontokraten der SED war. "Sindermann, du blinder Mann, du richtest nur noch Schaden an" oder "In China hinter der Mauer". Sein aufmunterndes Gorbatschow-Lied von 1989 atmete noch den Geist der Befreiung, an dem schließlich auch Kommunisten mitgewirkt hatten, ohne dass sie sich gezwungen gesehen hätten, sich in scharfe Antikommunisten zu verwandeln wie der vieljährig ideologische Einpeitscher Schabowski.

Der Text ist oft klüger als der Dichter. Also sich nicht verhärten, nicht verbittern und darauf vertrauen, dass das "Grün aus den Zweigen" bricht. Immerhin bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer. Zu seinen wunderbaren Zeilen gehört dieser Refrain: "Ich hab Leute sich ändern sehen, das war manchmal nicht mehr schön". Und doch ist es schön, wenn einer sich lern- und wandlungsbereit zeigt.