Peter Hacks starb am 28. August 2003. Also genau an Goethes Geburtstag. Standesgemäß, in seiner großbürgerlich angemessenen Sommerresidenz mit Kois und Pfauen. Dieses Domizil südlich von Berlin hatte er sich für schlappe 900 000 DDR-Mark herrichten lassen. Es fällt schwer, bei diesem Abgang an puren Zufall zu glauben. Der 1928 in Breslau geborene Hacks hielt sich für einen von der Art Goethes. Mindestens aber für dessen Statthalter auf Erden. So unbescheiden war er. Mit seinem Erfolgsstück "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" kommt er dem Weimarer auch ziemlich nahe. Noch dazu auf brillant unterhaltende Weise. Obwohl der Dichter in diesem Monolog der Frau von Stein gerade dem Weimarer Hof und der Fürsorge seiner Freundin gen Italien entflohen ist.

Die Selbststilisierung als Klassiker hat apart groteske Züge. Wenn Hacks der Dichter-Klassiker des Sozialismus ist, wer ist dann sein Carl August? Von Walter Ulbricht hielt er erstaunlich viel. Das grenzte an Verehrung eins Abgotts. Er hielt ihm auch die Treue, als der nach seinem Sturz schon zur Unperson geworden worden war. Ulbrichts Nachfolger Honecker war ihm dagegen ein Verräter an der großen Sache. Bei der eben auch Späne fallen, weil an den Zeitläufen gehobelt wird. Und für die Mauern gebaut werden müssen.

Treten gegen Biermann

"Der Erdenwunder schönstes war die Mauer. Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren. Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren." kann man auf Seite 502 nachlesen. So was dichtete einer, für den persönlich die Mauer nie so unüberwindlich war wie für seine Landsleute.

Sein berüchtigtes solitäres Nach-treten nach Wolf Biermanns Ausbürgerung, bei dem auch Heinrich Böll sein Fett weg bekam, brachten ihm allseitige Verachtung ein. Und einen nahezu geschlossenen Aufführungsboykott in Westdeutschland. Das traf ihn. So wie die "Wende".

Von den Gremien des Landes hatte er sich eh immer fern gehalten. Nur die Akademie der Künste ließ er für sich als Podium für kulturpolitische und ästhetische Debatten zu. (Die Protokolle sind übrigens alle vom Eulenspiegel Verlag veröffentlicht worden.)

Hacks-Biograf Roland Weber verschweigt nichts von den schwer nachvollziehbaren und noch schwerer erträglichen Abgründen des Zeitgenossen Hacks. Obwohl der ja von sich schrieb: "Ich bin ein Dichter und kein Zeitgenosse". Und das war er in der Tat. Und Lyriker. Und Kinderbuchautor. Und Essayist. Und Polemiker. Im Habitus ein Dichterfürst im roten Salon. Ein bunter Vogel in der oft grauen deutschen Republik und deren Verteidiger über ihren Untergang hinaus, das war er auch. Er kannte ihre Begrenzungen und ließ sie für sich einfach nicht gelten. Schlüpfte auch in seinen Texten brillant durch die Netze kleindenkender Zensoren. "Kommunismus müsse man sich wie die Gegenwart vorstellen, nur das Gegenteil nehmend" - so was sagen seine Figuren. Nicht nur mit "Die Sorgen und die Macht" geriet er gleichwohl selbst ins Visier ängstlicher Kulturdogmatiker. Wer aber Klassiker nachdichten konnte, so wie er, für den waren sie immer auch ein Schutz.

Als Peter Hacks sich 1955 bewusst für die DDR entschied und (zusammen mit seiner Frau Elisabeth Wiede) von München nach Berlin übersiedelte, nahm er seine zivile Furchtlosigkeit mit. Dass man ihn für arrogant halten könnte, war seine Sorge nicht. Er folgte - tatsächlich Goethe nicht unähnlich - dem Stern eigener Freiheit und gestaltete sich sein Leben als ein Gesamtkunstwerk. Nahm die Arbeit auf. Und den Kampf. An und mit den Klassikern. An und mit den Theatern. Zog ins Feld gegen die Romantiker (mit Goethe im Gepäck versteht sich) und mit dem vom Freund zum Lieblingsgegner mutierten Heiner Müller im Visier.

15 Bände Lebenswerk

Viel Feind viel Ehr, das hätte auch von ihm sein können. Dass der Antipode mit der Zigarre im Bewusstsein der Nachwelt im Moment die Nase vorn hat, wäre ihm ein Schulterzucken wert. Ob jemand zum Klassiker tauge, zeige sich erst nach hundert Jahren meinte er. An seiner 15 Bändigen Werkausgabe war ihm gleichwohl gelegen- sicherheitshalber.

Diese Biografie lässt nichts aus. Wie das Salz in der Suppe auch nicht die Geliebten des nie geschiedenen Ehemanns. Von Einwänden der Frauen gegen das Nennen ihrer Namen in der Biografie ist nichts bekannt. Die 600 Seiten sind der Roman eines Lebens und das Porträt einer Zeit. Das schöne daran - es macht Spaß, sie zu lesen. In jeder Hinsicht wissenschaftlich fundiert. Aber mit einem nie eitlen Abglanz der Brillanz von Peter Hacks über dem Text mit eigener Form. Das hätte ihm vermutlich gefallen.

Ronald Weber: "Peter Hacks - Leben und Werk". Eulenspiegel-Verlag, Berlin, 608 Seiten - 39 Euro