Jena – Mit dem Hörspiel „Karl Marx: Das Kapital. Erster Band“ gewannen die Autoren Helgard Haug und Daniel Wetzel unlängst den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden. Die Produktion besorgten Deutschlandfunk und WDR gemeinsam. Während der Westen des Landes das Doppeljubiläum des Philosophen – 125. Todestag am 14. März und 190. Geburtstag am 5. Mai – mit der Wiederentdeckung seines Werkes würdigt, tut sich der östliche Teil mit dem Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus schwer.

In Abwesenheit promoviert

Das zeigen zahlreiche Debatten um Denkmale in Universitätsstädten, die in den fünfziger Jahren auf seine Lehre eingeschworen wurden, darunter auch die Friedrich-Schiller-Universität (FSU) in Jena. Sie hat allerdings eine ganz besondere Beziehung zu Karl Marx. Der Philosoph, der sich in seiner Berliner Zeit dem Idealismus von Friedrich Hegel zugewandt hatte, reichte 1841 seine Doktorarbeit mit dem Titel „Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie“ an der Philosophischen Fakultät in Jena ein, an der Hegel 40 Jahre vorher gelehrt hatte. Zur Verteidigung erschien er jedoch nicht persönlich, er wurde „in absentia“ promoviert, in Abwesenheit. Mit solchen Promotionen ließ sich – allen akademischen Gepflogenheiten zum Trotz – einiges Geld verdienen. Die Jenaer Universität, die nie über ausreichende Mittel verfügte, besserte damit Professorengehälter auf. Für Marx war es ein zeitsparendes Verfahren, er war auf dem Sprung von Berlin nach Bonn, um zu habilitieren.

1953 – zum 70. Todestag und 135. Geburtstag des Philosophen – setzte die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten den damaligen Rektor der FSU, Prof. Josef Hämel, in Kenntnis, dass Gedenkbüsten in Jena und Leipzig aufgestellt werden sollten. In einem Brief vom Staatssekretariat für Hochschulwesen hieß es dazu: „Sie werden das Leben und Werk von Karl Marx allen ihren Angehörigen und der breiten Öffentlichkeit nahe bringen und den Marxismus-Leninismus in Forschung und Lehre kühn und entschlossen anwenden“. Ausgewählt wurde eine Büste von Will Lammert, die zum Geburtstag am 14. März enthüllt wurde. Nach sechsjähriger Aufstellung im Universitätshauptgebäude hat die Plastik in aller Stille Einzug in die als „via triumphalis“ bezeichnete Ehrenreihe bedeutender Universitätsgelehrter entlang der Goetheallee gehalten.

In den siebziger Jahren beauftragte die Universitätsleitung den hauseigenen Maler Hans Lasko mit einem Portrait des jungen Marx für die Ahnengalerie, in der die Bildnisse von Männern gesammelt wurden, die sich um den Ruf der alma mater verdient gemacht hatten. Hans Lasko fiel die Aufgabe nicht leicht, denn es existierten keine Vorlagen, nach denen der Künstler hätte arbeiten können und der Druck, etwas Bedeutendes zu schaffen, lastete schwer auf ihm. Die Lösung, die er im Verlauf mehrerer Jahre gefunden hat, zeigt einen entschlossenen Doktoranden, der seine Dissertation bedeutungsvoll in den Vordergrund stellt. Das Bild bekam nie einen Ehrenplatz.

Ende 1991 beschloss der Senat der Universität, dass Marx der Platz, den er einnimmt, nicht gebührt und er zurücktreten müsse in eine Nische des Magazins. Daraufhin erhob sich Protest aus allen Kreisen der Bevölkerung, darunter auch 144 Hochschullehrer, die sich mit der Petition „Wider den Ungeist des Bilderstürmens“ an den Rektor wanden. Das Denkmalsamt meldete sich zu Wort und verlangte die Einhaltung geltender Gesetze. Die Büste war ein eingetragenes Denkmal. Doch im März 1992 wurde der Philosoph vom Sockel gehoben, der Tote symbolisch mitverantwortlich gemacht für das gescheiterte sozialistische Experiment DDR. Doch die Diskussion verstummte nicht.

Mit Blick auf das Doppeljubiläum machte Die Linke, die stärkste Fraktion im Stadtrat, im Februar einen erneuten Vorstoß, die Büste wieder aufzustellen. Oberbürgermeister Albrecht Schröter sollte damit beauftragt werden, Gespräche mit der Universität zu führen. Gegner traten sofort auf den Plan: Die CDU-Fraktion spricht von keinerlei Verdiensten, die Marx für die FSU vorzuweisen hat – und bekommt Zustimmung von ganz Rechts. Das Paradoxe daran: Mit Philosophen wie Fichte schmückt man sich in Jena gern, obwohl deren politische Ansichten seinerzeit zur Vertreibung aus der Stadt führten.

Vielleicht gibt der Text Aufschluss, mit dem das Bildungsministerium 1953 die Universität auf neue Inhalte einschwor: den Marxismus als Staatsreligion, als Glaubensbekenntnis. Die Abkehr davon wirkt nach wie ein Kirchenaustritt und versperrt die Sicht auch 20 Jahre später. Bis zu Thomas Manns Erkenntnis „Der Antikommunismus ist die Grundtorheit unserer Epoche“ ist es offenbar noch ein weiter Weg.