"London Calling - Briefe aus dem Kalten Krieg" - am Montag, 23.30 Uhr, im Ersten gesehen

Eine BBC-Radiosendung fordert die DDR-Stasi-Maschinerie heraus, gerät ins Zentrum eines Propaganda-Kampfes im Kalten Krieg zwischen Ost und West. Das ist doch etwas zum Aufhorchen. "Briefe ohne Unterschrift" heißt die Sendung, die sich in deutscher Sprache speziell an Hörer in der DDR richtete. 45 Minuten lang werden anonyme Briefe verlesen, die DDR-Bürger an Westberliner Deckadressen geschickt haben. Moderator Austin Harrison, populär, eigenwillig und rätselhaft, gerät als Staatsfeind in den Fokus. Was für die Engländer ein Akt der freien Meinungsäußerung war, bedeutete für die Stasi ein Akt der Zersetzung und des Verrats.

Von Anfang der Fünfzigerjahre bis 1974 erfreut sich die Sendung großer Beliebtheit, bis sie plötzlich abgesetzt wird. Heute entpuppen sich die im BBC-Archiv aufbewahrten anonymen Briefe als einzigartiges Zeitdokument, denn sie drücken ganz persönliche Hoffnungen, Wünsche, Ängste, Wut aus. Die Sendung mit ihren Tausenden von Briefen war nahezu vergessen, bis die deutsche Schriftstellerin Susanne Schädlich sie in einem BBC-Archiv vor wenigen Jahren wiederentdeckte und ein Buch dazu schrieb. Die TV-Dokumentation vermittelt anhand unveröffentlichter Dokumente, Fotos und Tonbandaufzeichnungen sowie Archivmaterial aus britischen und deutschen Quellen einen intensiven Eindruck über ein besonderes Kapitel des Kalten Krieges.

Trotz IM an seiner Seite konnte die Stasi dem Redakteur aus England nichts anhaben, wohl aber den Absendern. Alle Hebel werden in Bewegung gesetzt, um die anonymen Schreiber zu ermitteln. Flächendeckende Postkontrollen in der gesamten DDR führten zur Verfolgung von Briefeschreibern, denen Gefängnisstrafen drohten. Einige wurden mit Hilfe von Blut- und Speichelproben sowie Handschriftenvergleich ermittelt. Bis heute gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Briefeschreiber verhaftet und verurteilt wurden.

Wie im spannenden Spionagethriller gehört der große Clou an den Schluss. Dank Schädlichs Recherche wissen wir 45 Jahre später: Der German Service der BBC hat offenbar Jahrzehnte lang mit einer geheimen Propaganda-Abteilung des britischen Außenministeriums zusammengearbeitet. Austin Harrison schrieb ausführliche Berichte an das "Foreign Office", diese wurden auch an die bundesdeutsche Regierung in Bonn weitergeleitet.