Die Filme des Christian Petzold werden seit jeher von Geistern bewohnt. Dabei geht es natürlich nicht um Gruselwesen. Sondern um verlorene, zurückgelassene, vermisste Menschen, die Petzolds Protagonisten heimsuchen. Es ist ein Motiv, dass sich durch nahezu alle seiner Arbeiten zieht: Die Geister des Vergangenheit drängen in die Gegenwart der Figuren, die von den unsichtbaren Begleitern nicht loskommen, die von ihnen gequält, manchmal aber auch getröstet werden.

Dieses Motiv hat Petzold auch in Anna Seghers Roman "Transit" gefunden. Die große Schriftstellerin beschreibt darin das Schicksal deutscher Emigranten in Frankreich zu Beginn der Vierzigerjahre. Vor den herannahenden deutschen Truppen fliehen viele ans Mittelmeer, wo der Hafen von Marseille der letzte Hoffnungsort ist, um ein Schiff nach Übersee zu erreichen. In seiner ersten Adaption eines fremden Stoffes greift Petzold wesentliche Handlungsstränge des Romans auf, löst sich aber vom historischen Kontext. Sein "Transit" spielt im Marseille von heute und die Razzien in der Stadt werden nicht von Gestapo-Schergen, sondern von Polizei-Spezialeinheiten durchgeführt. Nur in manchen Details wie den Pass-, Visums- und Passagedokumenten erlaubt sich Petzold surreale Hinweise auf den originären Zeitrahmen des Romans.

Rastlose Suche

Eine Geschichte von Flucht also. Noch dazu in der Jetztzeit. Aber eben doch kein Kommentar zur aktuellen Flüchtlingsdebatte. Dafür geht es Petzold viel zu sehr um seine Figuren und die Geister, die sie verfolgen. Im Zentrum steht der junge Georg (Franz Rogowski), der in den Wirren der eigenen Flucht aus Paris an die Papiere des verstorbenen Schriftstellers Weidel gelangt. Aus der Situation heraus nimmt er dessen Identität an und versucht so die Passage für eines der rettenden Schiffe zu erhalten. Durch die Verkettung weiterer Zufälle in der Schicksalsgemeinschaft der Gestrandeten lernt er Marie (Paula Beer) kennen, die Frau des Schriftstellers, die sich von diesem getrennt hat, nun aber auf Versöhnung hofft. Bei Anhörungsterminen auf diversen Konsulaten, wo in langen Schlangen für Transitpapiere angestanden wird, erfährt Marie, dass ihr Mann in der Stadt sein muss, den sie fortan verzweifelt sucht.

Dieses rastlose Suchen ist die inhaltliche Mitte dieses Films. Nicht nur Marie, nahezu alle Figuren des Films haben etwas verloren, das sie wiederfinden wollen. Einen geliebten Menschen, eine schützende Heimat, ein rettendes Stück Papier - sie alle sind vereint in ihrer Entwurzelung und ihrer Verletzlichkeit. Im "Transit" gibt es keine Regeln mehr, auf die man sich verlassen kann. Es herrscht die Willkür, die alles unberechenbar macht: Kommt ein Stempel auf das Visum? Greift die Polizei bei der nächsten Razzia zu? Findet man vielleicht doch die Geister der Vergangenheit? Petzolds Film ist immer dann stark, wenn er Innenansichten von Flüchtenden zeigt, ihre Ruhelosigkeit, ihre Verlorenheit, aber auch ihren Überlebenswillen. Und er führt auch das alltägliche Leben auf der Flucht vor Augen, das Warten, den Hunger, die Angst. Vielleicht liegt darin sogar die eindringlichste Wortmeldung zum Thema Flucht - diesen zermürbenden Alltag zischen Hoffen und Bangen zu zeigen, eine Existenz der Ungewissheit, gequält von den Geistern der Abwesenden.

Petzold, bereits zum vierten Mal mit einem Film im Berlinale-Wettbewerb vertreten und 2012 für "Barbara" bereits mit einem Silbernen Bären geehrt, bekam auch auf für "Transit" viel wohlwollenden Beifall auf dem Festival. Durchgefallen hingegen ist der neue Film des französischen Regisseurs Benoit Jacquot, obwohl doch mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle sehr prominent besetzt. Auch "Eva" adaptiert eine literarische Vorlage, nämlich einen Roman des britischen Autors James Hadley Chase. Darin geht es im Kern um eine Hochstaplergeschichte: Mit dem gestohlenen Manuskript eines Theaterstücks feiert der junge Bertrand (Gaspard Ulliel) große Erfolge auf französischen Bühnen. Nun soll ein zweites Stück folgen und der vermeintliche Autor sucht Inspiration ausgerechnet bei einer Edelprostituierten (Isabelle Huppert), die er zu wahrer Liebe zu verführen sucht. Was aber - wen wundert's - am Ende nicht gelingt. Im Gegenteil: Bertrand verliert sich in einer aussichtslosen Liebe, die ihn in den Abgrund treibt.

Langatmige Geschichte

Jacquot macht aus diesem Stoff die genauso vorhersehbare wie langatmige Geschichte eines angekündigten Untergangs. Der literarische Emporkömmling kann sich nie aus dem Korsett des Scharlatans befreien, gegen die selbstbewusste Eva hat er nicht den Hauch einer Chance. Film wie Roman wirken wie die Kopfgeburten alternder Künstler, die wahre Liebe nicht mehr im wahren Leben suchen, sondern in der Fantasiegestalt einer dominanten Liebhaberin, die nur für viel Geld zu haben ist. Dieser Fantasie will auf der Berlinale kaum jemand folgen.

"Transit" kommt am 5. April ins Kino, für "Eva" gibt es noch keinen Starttermin.