In der manchmal eigenwilligen Lyrik des Dichters, Prosaautors und Essayisten Walter Werner, in seiner Sprachwelt, deren Verschlüsselungen und Untergründigkeiten sich mitunter nicht nur der feuilletonistischen Eil-Fertigkeit unserer Alltagsrede zu entziehen scheinen, finden sich immer wieder Verszeilen, welche gleichsam als literarischer Brückenkopf zur Erschließung des gedichteten Umwerkes dienen können. Eine solche Bedeutung könnte der hier stehende Achtzeiler "Lied" aus Walter Werners 1992 erschienenem Gedichtband "Tautreten unterm Regenbogen" haben. Der Dichter schrieb diese Verse wenige Jahre vor seinem Tod, schon gezeichnet von einem unheilbaren Krebsleiden. Sie sind Zustandsbericht und Lebensbilanz zugleich.

Lied

Es ruhen die Fenster
trösten die Weiten
der Atem stößt Späne
ins gesättigte Rund
die Sprache im Kreise
setzt dunkler die Zeichen
das Wort geht ums Haus
im schlafmüden Mund.

Walter Werner

Walter Werner kam am 22 Januar 1922 in Vachdorf an der Werra zur Welt. Für den unehelichen Sohn einer Häuslerin wurde materielle Not die Grunderfahrung der Kindheit. Nach dem Abschluss der örtlichen Volksschule lernte Werner das Tüncherhandwerk. 1942 erfolgte die Einberufung zur Wehrmacht. Werner erlebte den Zweiten Weltkrieg als Soldat in Frankreich, Polen und der Sowjetunion, es folgte Kriegsgefangenschaft im amerikanischen Massenlager Bad Kreuznach. So wurden die Schrecken und Entbehrungen des Krieges zur Grunderfahrung in seiner Jugend. 1945 kehrte er nach Vachdorf zurück. "Wach geworden" durch das Erlittene, will er für ein besseres Deutschland wirken und tritt der KPD, ab 1946 SED, bei. 1948 heiratet er und zieht zu seiner Frau nach Untermaßfeld bei Meiningen.

In die Folgejahre fallen seine ersten literarischen Versuche. Wegweisend für seine spätere Laufbahn als Schriftsteller wird ein Studium am Literaturinstitut Leipzig von 1956 bis 1959. In dieser Zeit erscheinen seine ersten Gedichtbände. 1961 wird Walter Werner freischaffend und Mitglied des Zentralvorstandes des Schriftstellerverbandes der DDR. Von 1961 bis 1982 steht er zudem dem Bezirksverband Suhl vor.

Sprachliche Präzision

Seine "poetische Provinz" findet der bodenständige Dichter in der Landschaft zwischen Rhön, Thüringer Wald und Grabfeld, der er in einzigartiger Weise sprachlichen Ausdruck verleiht. Häufig sind es die kleinen oder alltäglichen Dinge ("Tagsüber meine Katze"), denen Werner mit aufmerksamem Blick und sprachlicher Präzision auf die Spur kommt. Seine "poetische Provinz" ist für ihn zugleich realer Heimatbezirk: Raum für Identitätssuche, Aktivität und Kommunikation.

Ein wichtiges Tätigkeitsfeld fand er in der Arbeit mit dem literarischen Nachwuchs und den in ihrer Freizeit literarisch Tätigen. Schon in den Nachkriegsjahren war er Gründungsmitglied der Arbeitsgruppe Junger Autoren des Deutschen Schriftstellerverbandes im Bezirk Suhl gewesen. 1969 gründete der mittlerweile profilierte Autor einen Freundeskreis für Kunst und Literatur in seinem Wohnort Untermaßfeld.

Von 1963 bis 1987 leitete Werner den Zirkel schreibender Werktätiger am Meininger Kreiskulturhaus, außerdem betreute er über zehn Jahre einen solchen Zirkel am Kaltwalzwerk Bad Salzungen. Seit den 1980er-Jahren hatte er mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Der Verfasser von zehn Lyrik- und einem halben Dutzend Prosabänden starb am 6. August 1995.

Erinnerung im Herbst

Zu Lebzeiten war Walter Werner mit mehreren Preisen bedacht worden. Nach seinem Tod fanden sich immer wieder Initiatoren und Gelegenheiten, an ihn zu erinnern und sein literarisches Werk vor dem Vergessen zu bewahren. Dazu zählten der Walter-Werner-Lyrikwettbewerb, den der Thüringer Schriftstellerverband initiierte, eine Ausstellung und Gedenkveranstaltungen der Meininger Museen, zwei Lesewandertage des Meininger Literaturmuseums Baumbachhaus Meiningen auf den Spuren des Dichters, aber auch das Schaffen bleibender Erinnerungsorte in Vachdorf und Untermaßfeld.

In letzterem Ort bietet der 2012 errichtete Walter-Werner-Dichtersteig Gelegenheit, sich wandernd mit der Lebensumwelt des Dichters vertraut zu machen. Eine Gedenkveranstaltung zum 25. Todestag von Walter Werner ist im Rahmen des diesjährigen "Provinzschrei"-Programms am 5. November in Suhl geplant.