In Sonneberg starten am Donnerstag die 22. Jazztage. „Ab Tribute to Frank Sinatra“ lautet das Motto des Jahres. Mit dabei ist wieder Michael Hametner. Der MDR-Redakteur moderiert die Große Jazznacht am Samstag und hat eine neue Ausgabe der Reihe „Texte und Sounds“ zusammengestellt, die am Freitag in Judenbach zu erleben ist. Wir haben mit ihm telefoniert.

Herr Hametner, Sie sind bekannt als der Literatur-Experte des MDR. Sind Sie auch Fan der Jazz-Musik?

Michael Hametner: Ja, das kann man sagen. Ich habe ja auch schon einen beruflichen Weg am Theater hinter mir. Und ich habe lange Zeit das Poetische Theater an der Leipziger Universität geleitet. In den späten 70er, Anfang der 80er Jahre haben wir immer mal nebenbei mit Jazzern gearbeitet. Das brauchten wir nicht zu erfinden – für Jazz – Lyrik – Prosa gabs die großen Vorbilder mit Esche und Krug. Wir haben wie sie witzig freche, kühne Gedichte gesprochen zu Jazzmusik. Da war ich sehr oft mit dabei, da ist meine Leidenschaft für Jazz gewachsen.

Was macht denn die Kollaboration zwischen Jazz und Literatur so reizvoll?

Hametner: Das ist dieser freie Geist, den der Jazz hat, und den ich auch in der Literatur suche – und nicht immer finde. Der Jazz hat ganz spannende Strukturen. Wenn man es in die Literatur übersetzt, erzählt er seine Geschichte eben nicht von A nach B, sondern über andere Stationen. Das wünschte ich mir auch in der Literatur. Und dann bin natürlich ein Typ, der schnell auch mal beim Hören der Musik mitwippt.

Wenn Jazz Freiheit heißt: Welcher Autor strahlt dieses Lebensgefühl aus?

Hametner: Es gibt ein frühes Gedicht von Volker Braun, das auch „Jazz“ heißt. Bei dem er jedes einzelne Instrument mit einem Individuum verglichen hat. Es sind viele Charaktere, die miteinander Musik machen. Und so stelle ich mir Jazz auch vor. Es gibt einen anderen Autor, den ich sehr schätze, das ist Ror Wolf. Dessen Texte haben diese Strukturen, die verrückt sind, und das gefällt mir. Und nicht zu vergessen Fritz Rudolf Fries frühen Roman „Der Weg nach Oobliadooh“, wo in den 50er Jahren der Jazz von West-Berlin nach Leipzig geholt wird.

Jazz und Lyrik, da denkt man an witzige Geschichten wie den „Hase im Rausch“ oder die „Kuh im Propeller“. Lassen Sie in die Auswahl der Texte für „Texte und Sounds“ bei den Jazztagen auch ernsthafte Themen einfließen?

Hametner: Ja, schon. Ob man bei Ringelnatz guckt oder bei Heinrich Heine: Bei ihnen findet sich eine ganze Menge an trefflicher menschlicher Beobachtung. Man hat sein Vergnügen, aber auch etwas zum Nachdenken. Und wenn“s satirisch wird, gibt“s auch verbale Haue. Zahm wird“s nicht! Etwa wenn Morgenstern in seinem Gedicht „Die Behörde“ knapp erzählt, wie ein Amt einem Menschen seine Existenz abstreitet. Aber er wehrt sich.

Es sind also Klassiker zu hören. Gibt es auch unbekannte Autoren?

Hametner: Nein, es sind Klassiker. Aber bei den Klassikern eben nicht die Klassiker. Ich weiß nicht, ob das verrückte Gedicht von Ringelnatz „Blindschl“ so vielen bekannt ist. Das wird dabei sein. Oder das Heine-Gedicht „Die Launen der Verliebten“ über die Liebe zwischen einem Käfer und einer Fliege. Erst verschmäht die Fliege den Käfer – was sie am Schluss tief bedauert.

Achten Sie darauf, dass die Texte zur Musik passen?

Hametner: Ja. Ich habe durch den Kontakt zum Festival-Leiter Peter Wicklein Vorstellungen zur Musik bekommen. Ich habe ihm dann meine Programmfolge zugeschickt. Wir versuchen schon eine Dramaturgie zu stricken, bei der das Wort die Musik abnimmt oder ihr auch mal einen schönen, pointierten Kontrast zu setzen versucht.

Das Konzept „Texte und Sounds“ fand ja in die Sonneberger Jazztage des letzten Jahres zum ersten Mal Einklang. Wie ist das beim Publikum angekommen?

Hametner: Es war für mich schon ein großes Wagnis, denn ich habe zwei Klassiker mit hinein genommen, weil ich dachte, viele kennen die noch: Eben den besagten „Hase im Rausch“ und die „Kuh im Propeller“. Aber man hat mir bestätigt, dass es trotz der großen Vorbilder Eberhard Esche und Manfred Krug eine Variante war, die die Leute gern gehört haben – mit der Stimme von Esche und Krug im Ohr.

Als Moderator sind Sie in Sonneberg schon eine ganze Weile dabei ...

Hametner: – im Programmheft steht bereits zum achten Mal. Das hätte ich selbst nicht vermutet –

...Sie kennen die Jazztage jedenfalls mittlerweile gut.

Hametner: Ich habe Peter Wicklein, den Initiator, kennen gelernt, als wir mit MDR Figaro eine Sendung aus Sonneberg gemacht haben. Wir haben damals viele Städte-Porträts gemacht. Im Vorgespräch stieß ich auf Peter, und er hat angeboten, Livemusik in die Sendung mit aufzunehmen – was wir sonst gar nicht machen. Und zwar mit den Sonneberger Jazzoptimisten. Das haben die so vorzüglich gemacht, dass ich ganz glücklich war. Die offensichtlich auch. Jedenfalls hat er mich dann angesprochen, ob ich die große Jazznacht moderieren kann. Seitdem ist das schon eine Tradition geworden.

Ist denn Sonneberg ein Jazz-Pflaster?

Hametner: Was ich vorher nicht gewusst habe. Wenn ich jetzt hinfahre, nutze ich die Gelegenheit und sehe mir andere Konzerte zum Beispiel am Samstagvormittag an. Ob das im Auto-Zentrum ist oder wo auch immer. Und sehe, dass da wirklich Jazzkenner und Jazzenthusiasten sitzen und hellauf begeistert sind. Bei der Jazznacht ist das Gesellschaftshaus besucht bis zum letzten Platz. Um Mitternacht, wenn wir mit dem Programm zu Ende sind, geht der Ball los. Ich habe einmal gesagt, „Peter, das muss eher sein, die laufen uns sonst weg.“ Da läuft keiner weg. Da bin ich eher schachmatt nach den vier Stunden Programmmoderation.

Kann man denn bei den Musikern in Sonneberg die wilden Wurzeln des Jazz noch spüren?

Hametner: Ich finde schon! Beim Soundcheck merkt man, dass die Musiker sich auch auf Sonneberg freuen. Entweder wissen Sie es von Kollegen, die schon in Sonneberg gespielt haben. Oder sind auch zum zweiten Mal da, wie in diesem Jahr Errol Dixon bei der großen Jazznacht, den ich gerne wiedertreffe. Der hat eine ganz tolle Performance mit seinem Boogie-Woogie. Der spielt gar nicht von der Bühne herunter, sondern im Saal. Die Musiker lassen sich auf Sonneberg ein, vielleicht weil’s für sie mit der langen Anfahrt über Berge und durch Wälder auch ein bisschen exotisch ist. Und das Publikum weiß mit seinem Beifall an der richtigen Stelle zu sagen: Das war gut. Das merken die Musiker auch, das merke ich ja auch als Moderator. Da hat man sozusagen Kontakt gefunden.

Interview: Frank Hommel