Der Pelzig, das ist eine Kunstfigur. Und in Meiningen lieben sie den Pelzig auch, weil er ein Franke ist. So wie sie den Michl Müller in Meiningen auch lieben, weil er, wie er selbst sagt, ein "Dreggsagg" ist. Doch noch nie war Pelzig so wenig Pelzig wie am letzten Freitag im Meininger Volkshaus. Ein Nachspiel der Kleinkunsttage. Der Mann auf der Bühne zieht ab und an die "Kabbm" vom lockigen Haar, legt sie auf den Tisch, an dem er, mit dem Weißbierglas in der Hand, ein Ein-Personen-Drei-Rollen-Stück mit den Figuren Pelzig, Hartmut und Dr. Göbel zum besten gibt. Und dann redet der Mann von einer "durchgeknallten Zeit", in der wir leben würden, in der alles "so apokalyptisch und so endzeitlich" sei. So endzeitlich wie diese Figur.

Er wird einen Wutanfall spielen, er wird hochfahren von seinem Stuhl, sich mit beiden Händen an der Tischkante festhalten und man wird merken, dass diese Wut zwar schauspielerische Qualität hat, aber eben auch ein Jota ehrliche Entrüstung in sich trägt. Der Pelzig mit seiner kleinbürgerlich-fränkischen Schlauheit steht da längst nicht mehr auf der Bühne. Sondern nur noch der Barwasser, der Polit-Kabarettist, der an den Dingen so sehr zu verzweifeln scheint wie sein Kollege Georg Schramm. "Alles", ruft dieser Mann ins Publikum, während seine Arme über seinen Kopf in die Höhe fahren und die Hände sich zur Faust krampfen, "wird zur Glaubensfrage." Und dieser Satz huldigt dem Gedanken, es gäbe nichts Verlässliches mehr auf der Welt. Trügerisch, was Schwarz auf Weiß gedruckt sich zeigt. "Wer Lügenpresse ruft, scheint zu glauben, dass es eine Wahrheitspresse gibt", ruft der Mann auf der Bühne und zitiert den französischen Schriftsteller André Gide: "Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben."

Flucht aus der Realität

Im Volkshaus jubelt das Publikum. "Die Leute sind doch nicht blöd", sagt Frank-Markus Barwasser. Das finden sie hier zwar auch, trotzdem wird er diesen Satz am Ende seines Programms widerlegen. Er wird es sanft sagen, und er wird es in der Ich-Form tun. Damit er sich nicht über das Publikum erhebt, dem er in fast zweieinhalb Stunden nichts anderes als das mitgeteilt hat. "Weg von hier" hat er sein Programm genannt. Es gleicht einer Beschreibung von Fluchtursachen: Angst vor der Zukunft, Angst vor Veränderung. Kollektive Flucht aus der Realität, lautet die Diagnose, hin in eine gefühlte Wirklichkeit, die Barwasser als "tatsachenbefreites Leben" umschreibt. Begleitet von Hass und Wut.

"Was ist Ursache, was ist Wirkung?", skandiert er in den Saal, um auf das zu kommen, auf das er hinaus will: Die Glaubensfrage, die sich an der Unwissenheit nährt. Er schenkt den Zumutungen der Politik im Dienste des Kapitals eine Tirade, die dem Steuerzahler 70 Milliarden Euro Kosten der Finanzkrise aufgebrummt habe. Er schäumt gegen das Tun der Autokonzerne, die die Käufer ihrer Fahrzeuge "nach Strich und Faden bescheißen" und sie dann noch scherzhaft "Kunden" nennen würden. Er beklagt "Verbrechen, Verloddertheit und Verlogenheit", wo man nur hinschaue, um die rhetorische Volte in den Saal zu schleudern: "Und dann kommen Sie den Leuten mal mit Gender-Fragen, dem dritten Geschlecht, dem CO2-Fußabdruck. Dann sagen die: Ich will nix mehr außer meiner Ruhe."

Das ist eine ziemlich kluge Analyse, die Frank-Markus Barwasser dann wie ein politischer Essayist aus dem Wirtshaus-Gepolter in die realen Politik hebt: "Das ist, als würde der Drucker am PC nicht drucken. Du fühlst dich verraten und verkauft und fragst die Grünen, die sagen dir, wenn er dann druckt, dann achte auf den Feinstaub, und du fragst die SPD, und die sagt, das wird unser nächster Parteivorsitzende lösen, und du fragst die FDP und die sagt, lieber gar nicht drucken als schlecht drucken, und dann fragst du die AfD, und die sagt: Schmeiß den Drucker zum Fenster raus. Und das tust du dann auch, weil dir dieser Moment eine unglaubliche Befriedigung verschafft und du erst hinterher merkst, dass nun nicht nur der Drucker, sonder auch das Fenster kaputt ist."

Wer als politischer Kabarettist so brillant analysiert, so packend redet, der kann nicht mehr nur ein wenig ätzen. Der muss böse sein. Und das ist ein Problem. Weil der Erwin Pelzig, so gemütlich wie er nun einmal ist, als lebensfroher Unterfranke, nicht mehr so wirklich passt. Als wäre er aus der Zeit gefallen steht er auf der Bühne. Als würde er selbst darüber staunen, was unter seiner "Kappn" so alles hervorquillt. Frank-Markus Barwasser spürt das. Er sei ein "einsamer Wolf" hat er einmal über Pelzig gesagt. Und er hat bereits des Öfteren Schluss gemacht mit seiner Figur - im Fernsehen. Und auf der Bühne hat er ihr den Dialekt fast abgewöhnt. Und an diesem Abend scheint es, dass sie endlich ist.

Wie Schmidts Late Night

Sicher: In Meiningen stürmt dieser Pelzig mit einer politsatirischen Intro in den Saal - so ähnlich, wie Harald Schmidt einst seine Late-Night-Shows begann. Alters-Depression, Kevin Kühnert, AfD, Sozialismus, Grüne. Als müsste Barwasser sein immerhin zwei Jahre altes Programm vor jedem Gastspiel auf den neuesten Stand bringen. Und das ist natürlich auch ein bisschen so. Aber er kommt immer wieder zum gleichen Schluss: "Blöd bin ich net", sagt er. Vielleicht ein bisschen unwissend. Weil ich überfordert bin. Zugemüllt mit Informationsdreck." Und das ist wahr. Aber an dieser Stelle wird Barwasser noch einmal zum Pelzig. Fängt er die Figur noch mal ein, über die er längst hinausgewachsen ist.