Marbach - "Sie kommen also aus Thüringen. Tja. . ." Ein bisschen neidisch ist Stadtführer Hans-Jörg Schmid schon auf das Heimatland der Reisegruppe, die sich am vergangenen Samstagnachmittag auf dem Marbacher Cotta-Platz um ihn versammelt hatte. Gewiss, er meint nicht in erster Linie die landschaftlichen Schönheiten Thüringens, dafür liebt der alteingesessene Marbacher sein romantisches Städtchen am Neckar viel zu sehr. Nein, das Land der Dichter und Denker ist es, das ihm als ehemaligen Lehrer und schwäbischen Lokalpatrioten Respekt einflößt. Das Land der Goethes und Schillers. Denn dort, an Ilm und Saale und ein klein bisschen auch in Bauerbach hat Friedrich Schiller seine berühmt gewordenen Werke verfasst. In Marbach, seiner Geburtsstadt, da ist er einfach nur ein kleiner Hosenscheißer gewesen.

Amüsiert hören die knapp 50 Thüringer Weltenbummler zu. Sie folgten einer Einladung unserer Zeitung zu einer zweitägigen Leserreise in die Schiller-Stadt, die in diesem Jahr den 250. Geburtstag des Dichters feiert. Unter ihnen auch die drei Gewinner unserer gemeinsamen Suche nach den schönsten Versen des Dichters, die wir aus weit über 300 Einsendern ausgelost hatten. Sicher, mit der "Glocke", dem "Wilhelm Tell" oder "Kabale und Liebe" hat die schwäbische Kleinstadt, in der es an jeder Ecke ganz plakativ schillert, nichts zu tun. Nur seine ersten vier Lebensjahre verbringt der kleine Friedrich hier, im Erdgeschoss eines schmalen Hauses und in ärmlichsten Verhältnissen. Und dennoch sind es keine unbedeutenden Jahre. Die Mutter Elisabetha Dorothea, die im benachbarten Gasthaus "Goldener Löwe" geboren wurde, hat in der Niklastorstraße einen Wohnraum nebst Küche gemietet. Der Vater Johann Caspar dient in der Württembergischen Armee und ist selten zu Hause. Der kleine Friedrich wird am 11. November 1759 geboren. Das heute zum Museum ausgebaute Geburtshaus beherbergt neben einem Kinderanzug und dem Taufhäubchen Schillers auch den Eintrag ins kirchliche Taufregister. Es sind wenige Spuren, die der Dichter am Neckar hinterlassen hat.

Das Erbe Marbachs

Das weiß natürlich auch Hans-Jörg Schmid. Und doch ist Marbach für Schiller mehr als nur der Geburtsort. "Die schwäbische Sprache ist das, was wir ihm mitgegeben haben", sagt Schmid. Den süddeutsche Dialekt, so ist überliefert, hat der Dichter Zeit seines Lebens und auch in Thüringen nie abgelegt. Manchmal ist er dafür sogar belächelt worden. Sprache jedoch ist Heimat. So gesehen ist Friedrich Schiller immer ein Marbacher geblieben - auch wenn kein einziger Besuch in der Stadt nach dem Wegzug der Eltern 1763 mehr überliefert ist. Geprägt wurde Schiller im benachbarten Ludwigsburg und in der berüchtigten Stuttgarter Militärschule des Württemberger Herzogs Carl Eugen. Und eben diese Prägungen waren es, die Schiller später zum Dichter der Freiheit werden ließen.

Jedoch: Nicht Stuttgart, nicht Lorch, nicht Mannheim und nicht Ludwigsburg sind heute als süddeutsche Schillerstädte bekannt, sondern Marbach. Ein Image, an dem in der Stadt generationsübergreifend gearbeitet wurde. Die Verehrung für den berühmten Bürger hielt sich anfangs zunächst in Grenzen. Als Friedrich Schiller 1805 in Weimar starb, wusste man nicht einmal mehr, in welchem Haus er geboren wurde. Erst 30 Jahre nach Schillers Tod gründete sich in Marbach ein Schillerverein, der das Geburtshaus identifizierte, erwarb, umbauen ließ und zum 100. Geburtstag des Dichters 1859 als Gedenkstätte eröffnete. Da war Schillers Weimarer Wohnhaus längst Museum. Und da stand auch schon das berühmte Denkmal vor dem damaligen Komödienhaus.

Literaturarchiv prägt die Stadt

Doch Marbach weiß sich zu behaupten. Dass sich heute ein schlossartiges Schiller-Nationalmuseum ebenso wie das Deutsche Literaturarchiv auf der "Schillerhöhe" oberhalb der Altstadt befinden, ist wohl der hartnäckigen Verehrung der Marbacher für ihren Friedrich zu verdanken. Die Gründung des Literaturarchivs 1955 machte den Ort zudem zur bedeutendsten Sammlungsstätte für deutsche Literatur. Das neu errichteten Literaturmuseum der Moderne zeigt unter dem Titel "Autopsie Schiller" gerade Wechselwirkungen zwischen persönlichen Gegenständen des Dichters und seiner Dichtung. Da gab es für die Thüringer Kulturtouristen natürlich jede Menge zu entdecken. Nicht nur in Museen übrigens. Schillers Geburtsstadt, die vom altdeutschen Baustil der Häuser ebenso geprägt ist wie von typisch westdeutschen Bausünden der 70er und 80er Jahre - erst 1983 wurde das im Krieg unversehrt gebliebene Marbach komplett unter Denkmalschutz gestellt - bietet mit der "Schillerlaube" und dem Sommertheater "shilla" auch Kleinkunst. Selbst moderne Schillerinterpretationen fehlen nicht im Stadtbild. Im Laden neben Schillers Geburtshaus ziert der Schillerspruch "Wehe, wenn sie losgelassen" aus der "Glocke" keine Postkarte, sondern ein T-Shirt für junge Mädchen.