Mit Goodies allerdings hat er Merlin vorhin gekriegt. Immer, wenn der Hund unaufmerksam und abgelenkt war, kamen sie zum Einsatz. Millán gab sie ihm nicht, sondern hielt sie ihm nur unter die Nase. "Irgendwie müssen Sie sein Gehirn von der anderen Attraktion, die mit Ihnen konkurriert, losreißen", sagt er zu mir. "Und dann müssen Sie ihm sofort etwas anbieten, das mindestens ebenso toll ist." Der Hundeflüsterer nutzt dazu die Geruchsempfindung des Hundes. "Sie beschäftigt sechzig Prozent seines Gehirns." Trotzdem adressieren die Menschen viel öfter das Gehör oder versuchen, über den Zug der Leine auf sich aufmerksam zu machen.
Dass Merlin ihm das Leckerli aus den Fingern lutschen will, ignoriert Millán einfach. Irgendwann gibt der Hund auf, setzt sich vor ihn hin und beobachtet aufmerksam die Hand, aus der es so gut riecht. Erst jetzt bekommt er das Leckerli. "Ich habe ihn nicht belohnt, weil er ,Sitz‘ macht. Ich habe ihm etwas gegeben, weil er die Distanz gewahrt hat und zur Ruhe gekommen ist."
Ruhe und Gelassenheit, diese beiden Worte dominieren Milláns Vorträge. Eigentlich ist der Hundeflüsterer weltweit unterwegs, um Menschen zu therapieren. Dass es dann mit den Hunden besser läuft, ist nur ein schöner Nebeneffekt. "Ist ein Hund verängstigt oder aggressiv, liegt das in der Regel an seinem Halter. Das Tier spiegelt die Art von Energie wider, die der Mensch ausstrahlt. Das Problem sitzt meist am oberen Ende der Leine."
Also gilt es für die Hundehalter, an sich zu arbeiten. Ruhe ist für Millán am wichtigsten. "Die kann man üben." Es folgt die Zuversicht, die innere Gewissheit, dass der Hund machen wird, was man von ihm will. "Visualisieren Sie, was Sie tun wollen, bevor Sie starten." So bereitet er die Teilnehmer des Workshops, die oft mit nur einem Hund ihre liebe Not haben, auf den "Rudel-Spaziergang" vor, bei dem sie fünf, sechs, sieben Hunde gleichzeitig führen sollen. "Haben Sie das Bild?", fragt er mich noch einmal. Ich nicke. "Dann: Los!" Ganz entspannt und ohne Zug auf den Leinen, gehe ich mit einem fremden Rudel Gassi durchs sommerliche Grün des Voralpenlandes.
"Obwohl meine Kunden oft sehr klug sind, einen Doktortitel haben oder Unternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern leiten, kommen sie mit ihrem Chihuahua zu Hause nicht zurecht." Ein Grundverständnis für den Hund ist aber die Basis jeder Vertrauensbeziehung. "Man kann als Mensch total schlau sein, total reich, total mächtig. Dem Tier ist das egal. Für den Hund zählt nur eine natürliche und einfache Art der Kommunikation. Er will einen Rudelführer, den er ernst nehmen kann."
Vertrauen und Respekt kommen zuerst, sagt Millán. Dann erst sollte man sie mit Liebe belohnen. "Die meisten Hundehalter überspringen die beiden ersten Schritte, wollen die Liebe sofort." Gerade bei Welpen sei der Reiz fast unwiderstehlich, sie ständig zu knuddeln und zu herzen und herumzutragen. "Die können aber selber laufen", sagt Millán. Es sei wichtig, dass sie dem neuen Rudeloberhaupt folgen, im Wortsinn. "Das machen Welpen von Natur aus. Wenn man sie lässt." Und: Was die jungen Hunde in diesen ersten Wochen lernen, vergessen sie ihr Leben lang nicht mehr.
"Stelle dich nie gegen Mutter Natur!", zitiert Millán seinen Großvater. "Schaffe Vertrauen, erarbeite dir Respekt und als Belohnung wirst du Loyalität und Liebe bekommen." Diese Weisheit hat der heute 49-Jährige aus dem staubigen Straßendorf Culiacán in der mexikanischen Provinz Sinaloa mitgenommen und zu einem Leitsatz seiner Methode gemacht.
Auch im Theorie-Teil des Workshops, an dem ausgewählte Journalisten aus vier Ländern mit ihren Hunden teilnehmen, geht es viel um diese einprägsamen Wortfolgen. Vertrauen – Respekt – Liebe. Oder: Ruhe – Zuversicht – Freude. Um dieses Gerüst herum baut Millán seine Philosophie, mit der er nicht nur das Verhältnis zwischen Hund und Halter verbessern will. "Die Menschen müssen wegkommen von Angst und Aufgeregtheit, von Spannung, Traurigkeit und den Sorgen wegen der Vergangenheit oder über die Zukunft." Die "richtige Energie" zu nutzen, das sei doch viel gesünder.
Erstmals wird César Millán gemeinsam mit seinen Söhnen Andre und Calvin im Herbst auf Europa-Tournee gehen. "Wir wollen unsere Werte in die Welt tragen und damit unsere Familie vergrößern. Das ist die Natur jeder rudelorientierten Rasse: Mache dein Rudel größer und stärker." Seine Söhne und er wollen die Probleme, die die Leute mit ihren Hunden haben, in den Live-Shows als Familie angehen. Die Probleme, die die Leute mit sich selbst haben, auch.
Auf Gut Aiderbichl muss erst mal Fredi ran, ein mächtiger alter Hengst, der hier sein Gnadenbrot erhält. Die Workshop-Teilnehmer führen ihn abwechselnd langsam über die Koppel. Viele hatten noch nie mit Pferden zu tun, doch der Trainer versichert, dass seine Methode nach dem Prinzip "Ruhe – Gelassenheit – Zuversicht" auch mit anderen Tieren gut funktioniere. Tatsächlich: Fredi geht ohne zu zögern mit, dreht brav eine Runde nach der anderen. 500 Kilo Tier an einem dünnen Lederband folgen dem Willen des Menschen. "Es gibt keinen Grund, warum das mit 20 Kilo Hund nicht auch funktionieren sollte", sagt Millán und lächelt.
Dann wird Merlin gebraucht: "Where’s the husky?", fragt Millán. Er hat bemerkt, dass einer der Hunde, der sonst mit den anderen gut auskommt, schier ausflippt, wenn Merlin nur vorbeigeht. Das hat wohl mit schlechten Erfahrungen aus seiner Vergangenheit als rumänischer Straßenhund zu tun. Nun muss mein Husky den Agent Provocateur spielen. Millán gelingt es beeindruckend schnell, die Aufregung zu stoppen und die Aggression umzulenken auf eine andere Beschäftigung.
Als Millán vor fast vierzig Jahren in die USA kam, schlug er sich als Tagelöhner durch, doch schnell fiel sein Händchen für Hunde auf. Mit einem Grinsen erzählt er: "Irgendwann habe ich meinen Vater in Mexiko angerufen und gesagt: Stell dir vor, die Leute hier bezahlen mich dafür, dass ich ihre Hunde ausführe. Mein Vater schwieg eine Weile und antwortete dann: ‚Junge, such dir einen besseren Job!‘"
Kritik und Fairness
Seit Jahren wettern Tierfreunde gegen César Millán und seine angeblich tierquälerischen Erziehungsmethoden, rufen zum Boykott seiner Veranstaltungen auf. Ich wollte mir ein eigenes Bild von dem umstrittenen Hundetrainer machen und mehr erfahren, als die auf maximalen Effekt zusammengeschnittenen Schnipsel seiner Fernsehshows zeigen. Mein Eindruck: Millán ging respekt- und liebevoll mit Hunden (und den zugehörigen Menschen) um, nie arbeitete er mit Druck, geschweige denn mit Gewalt. Das war bei den
Familienhunden, die meine Kollegen und ich zum Workshop mitgebracht haben, auch bestimmt nicht nötig.
Man darf diese Arbeit mit "normalen" Hunden nicht mit dem verwechseln, was Millán auf seiner Ranch im kalifornischen Santa Clarita mit menschenaggressiven Problemtieren leistet. Mit Hunden, die schon Menschen angegriffen und verletzt haben, geht er – notgedrungen – extremer um. Und er schafft es tatsächlich in vielen Fällen, sie zu resozialisieren und damit vor dem Einschläfern zu retten. Szenen aus Videos, die seinen Umgang mit derart aggressiven Hunden zeigen, haben nichts mit seiner von ruhiger und vertrauensvoller Kommunikation geprägten Methode für Familienhunde zu tun.
César Millán live"It’s all about family" (ausgewählte Termine)
22. Oktober Erfurt, Messe 25. Oktober München, Olympiahalle
23. Oktober Dresden, Messe 7. November Leipzig, Arena
12. November Nürnberg, Arena