Eigener Inhalt Edinburgh: Bodenständig bei jedem Wetter

Beate Baum
 Quelle: Unbekannt

Schottlands Hauptstadt ist auch heute eher klein. Im 18. Jahrhundert platzte sie aus allen Nähten

 
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Vier Jahreszeiten an einem Tag, das kennt man aus Großbritannien. In Schottland können sie aber auch mal in einer halben Stunde über einen hereinbrechen. Gut, dass in Edinburgh dann stets eine Sehenswürdigkeit, ein Museum oder zumindest ein interessantes Geschäft in der Nähe ist, wenn kalter Wind oder Regen siegen. Und Flaniermeilen oder Parks, wenn die Sonne verlockend am Himmel scheint. Denn Schottlands Hauptstadt ist vergleichsweise klein; das Zentrum lässt sich problemlos bei ausgedehnten Spaziergängen erkunden.

Bis zum späten 18. Jahrhundert war die Stadt noch sehr viel kleiner. Sie bestand aus der Burg auf dem hohen Castle Rock – bis heute Hauptanziehungspunkt für Besucher –, aus dem Holyrood Palast, dessen berühmteste Bewohnerin Königin Maria Stuart war, sowie der Royal Mile, die die beiden verband. Und aus etlichen verwinkelten Straßen und Gassen, die von der Prachtstraße abzweigten. Dort drängten sich die Menschen. Es gab bereits fünf- bis sechsstöckige Gebäude, in denen die Armen in einem Zimmer pro Familie unter dem Dach oder im Keller hausten, während die Bessergestellten samt Dienerschaft die mittleren Geschosse bewohnten.

Als Enge und Schmutz zu viel wurden und Epidemien sich ausbreiteten, wurde nördlich des tiefen Tals, in dem heute der Waverley-Bahnhof und die Princes Street Gardens liegen, die New Town geplant. Georgianische Architektur vom Feinsten, platziert in einem großzügig rechtwinklig angelegten Straßennetz mit Grünflächen jedem Gebäude gegenüber, wurde zur neuen Heimstatt für Edinburghs Anwälte und Richter, Stadträte und Bankdirektoren. Ein Haus pro Familie, wohlgemerkt.

Bis heute leben Schottlands Premierminister in einem der dreistöckigen Sandsteingebäude am Charlotte Square. Das Gebäude wirkt noch unprätentiöser als das Reihenhaus 10 Downing Street in London – hier sind nicht einmal Wachposten zu sehen. "Mal sehen, ob sich das ändert, wenn wir unabhängig sind", verweist die Studentin Shannon mit einem Augenzwinkern auf das stets wiederkehrende Thema. Gerade hatte der Himmel wieder einmal seine Schleusen geöffnet und wir waren in das Café geflüchtet, in dem sie kellnert. Aber nein, meint die junge Frau gleich darauf. Die Schotten wären bodenständig und würden sich selbst nicht so wichtig nehmen. Unabhängigkeitswunsch hin oder her.

Ein wenig Prunk sind sie bei aller Bodenständigkeit aber nicht abgeneigt. Das sieht man an den Statuen und Ornamenten, mit denen die Gebäude in der Old Town geschmückt sind, ebenso wie am mehr als 60 Meter hohen Scott Monument, dem aus Spenden begeisterter Leser finanziertem Denkmal für den Begründer des historischen Romans Sir Walter Scott. Das Traditionskaufhaus Jenners an der Princes Street steht dem Londoner Harrod’s nur wenig nach, und auch einige Restaurants und Bars in New Town frönen nur von außen dem britischen Understatement. So trinkt, wer etwas auf sich hält, gern im Dome, einem ehemaligen Bankgebäude von 1775, unter Buntglaskuppel und glitzernden Lüstern einen Aperitif.

Ganz anders sieht es im Süden der Altstadt aus, wo sich auf der Royal Mile die Souvenir-Läden aneinanderreihen und Imbisse die Touristen selbst in die düstersten Gassen locken, wo Dudelsackspieler an jeder Ecke postiert stehen. Mit jedem Schritt weg von diesem Trubel entdeckt man etwas mehr vom "normalen" Edinburgh.

So überrascht bereits die Rückseite der Burg. Überall in der eng bebauten Old Town sind Häuser in Täler gesetzt; in der Victoria Street sind ihre Fassaden wie im nahen Irland bunt angestrichen. Die steile Straße führt hinunter auf den für die Altstadt weitläufigen Grassmarket. Wo ehemals Urteile gefällt und Verurteilte gehängt wurden, genießt nun junges Volk die gerade wieder warm scheinende Sonne. Etliche von ihnen werden Studenten der nahen Universität sein, wo Arthur Conan Doyle bei dem Vorbild für seinen genialen Ermittler Sherlock Holmes lernte. "Harry Potter"-Autorin Joanne K. Rowling hingegen studierte nie dort, auch wenn Stadtführer das gern behaupten. Aber im hübschen Elephant House soll sie einige Kapitel ihres ersten Buches geschrieben haben. Natürlich wird es regelmäßig von Fans belagert.

"Geht mal in die South Side", hatte die Kellnerin Shannon uns empfohlen, und da der Sonnenschein unverhofft lange anhält, folgen wir ihrem Rat. Über die South Bridge, eine Brücke, die man nicht als solche wahrnimmt, weil wieder Wohngebäude in das Tal hineingebaut wurden, erreichen wir die Nicolson Street. Und mit ihr Buchhandlungen und Cafés, Eckkneipen und kleine Boutiquen. Das "normale Edinburgh", wie die Studentin es genannt hatte.

Wie das in der Vergangenheit aussah, lässt sich tatsächlich auch auf der Royal Mile ausmachen. Am späten Abend in jenen der engen Gassen, in denen gerade keine Touristen mit "Ghost Tours" unterwegs sind, aber auch am helllichten Tag. Im Museum The People’s Story im ehemaligen Zollgebäude bekommt der Besucher einen Eindruck von der Enge, der Armut, dem Kampf der einfachen Menschen ums Überleben – aber auch von ihrer Solidarität und ihrem Willen, durchzuhalten. So hat sie sich wohl entwickelt, diese angenehme Bodenständigkeit. Bei jedem Wetter.

HINWEISE FÜR IHRE REISE
INTERNET-TIPP: www.visitscotland.com/de ist die übersichtlich aufgebaute, deutschsprachige Seite des schottischen Fremdenverkehrsamtes.
Währung: Gezahlt wird mit Britischem Pfund, ein € = 0,85 £
ANREISE: Die Lufthansa fliegt mehrmals täglich von Frankfurt am Main nach Edinburgh. Hin- und Rückflug ab 160 €. Vom Flughafen aus fährt der Airlink-Bus in die Innenstadt.
UNTERKUNFT: Edinburgh ist ein teures Pflaster. Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet das B&B-Hotel in einem herrlichen alten Stadthaus im Westend. Doppelzimmer mit Frühstück ab 140 £
www.bb-edinburgh.com.
ESSEN UND TRINKEN: Zum Beispiel in The Dome, 14 George Street, prachtvoll und nicht zu teuer. Oder im Nicholson’s Freehouse, 55 Rose Street, Brauerei-Pub mit guter, günstiger Hausmannskost.
MUSEEN: Nicht nur das überaus sehenswerte The People’s Story, auch alle anderen nicht privaten Museen nehmen – außer für Sonderausstellungen – keinen Eintritt.

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