Genug Power gab sie, um von der Hütte aus zwei schöne Klettersteig-Touren zu machen. Einmal zur 2332 Meter hohen Mala Mojstrovka, die einen herrlichen Rundumblick bietet. Und tags darauf zum größten Felsenfenster der Alpen am Prisojnik (2.547 Meter). Einige Eisenseile im oberen Teil des Steigs, wo es über rutschiges Geröll geht, waren erneuerungsbedürftig. Das Felsenfenster selbst lässt sich über
Eisenklammern aber gut durchsteigen.
Auch der Triglav-Klettersteig gilt als gut gesichert. Schließlich soll es jeder Slowene einmal auf den höchsten Berg seines Landes schaffen. Jetzt aber ist auf der Stanic-Hütte nicht viel los. Auch Einheimische sind, selbst wenn sie Berge mögen, wohl lieber unten im Tal als in dieser schroffen Felslandschaft.
Urlauber können in "Apartma" (Ferienwohnungen) übernachten. Gehobenes Niveau findet man im Luftkurort Bled am gleichnamigen See, der mit Kasino, Villen und Grandhotel wie ein slowenisches St. Moritz anmutet. Auf der Südseite des Triglav liegt der Bohinj-See. Touristisch ist er gut erschlossen. Malerisch schön ist das Soca-Tal. Auf der italienischen Seite heißt der Fluss Isonzo. Im Ersten Weltkrieg lieferten sich Italien und Österreich-Ungarn an der Isonzo-Front einen erbarmungslosen Stellungskrieg. Selbst Giftgas wurde eingesetzt. Vom Sterben an der Soca künden bis heute Soldatenfriedhöfe, etwa der in der Nähe des Urlauberortes Bovec.
Im heutigen Europa ist der Fluss ein Paradies für Kanuten und Angler. Rafting-Touren werden an jeder Ecke angeboten. Am wilden Oberlauf begleitet ein Wanderweg die türkisschimmernde Soca. Hin und wieder müssen Wanderer den Gebirgsfluss auf schwingenden Hängebrücken überqueren. Mutige wagen ein Erfrischungsbad. Ein Campingplatz befindet sich an der Stelle, wo die Lepenca in die Soca mündet. Flussabwärts in Kobarid wird im Restaurant Hia Franko international gelobte Feinschmecker-Küche geboten.
Daran denken wir nicht, als wir das deftige Abendessen auf der Stanic-Hütte in uns reinschaufeln. Es gibt nämlich ein Problem. Am nächsten Tag, an dem wir doch hinauf auf den Triglav wollen, sollen die Sicherungsseile des Klettersteigs erneuert werden. So hat es der Hüttenwirt unserem Bergführer erklärt. Albert telefoniert herum. Schließlich bekommt er die Information, dass wir am nächsten Morgen schon um sechs Uhr da sein müssen, damit wir noch durchgelassen werden.
Das bedeutet: Aufstehen um vier. Frühstück um halb fünf. Es gibt Spiegeleier, gebratenen Schinken, Weißbrot und Tee. Zähneputzen? Keine Zeit. Albert drängt. Wir haben noch mindestens eine Stunde Fußmarsch vor uns, ehe wir am Triglav-Haus sind, wo der Klettersteig beginnt. Schweigend schnürt die Gruppe auf dem Pfad durch die Dämmerung. Wir sind müde. Aber Landschaft und Licht sind magisch. Die Zeit wird knapp. Erst zehn nach sechs hasten wir am Triglav-Haus vorbei. Doch wo sind die Absperrungen?
Weit und breit nichts zu sehen. Kein Mensch, kein Hinweis. Und die Stahlseile hängen noch im Klettersteig. Gott sei Dank ist hier nicht deutsche Pünktlichkeit am Werk, sondern balkanische Leichtigkeit. Jetzt aber hinauf. Der Steig ist wirklich gut gesichert. Erst geht es kletternd durch Fels, dann über einen gut begehbaren Grat vom Kleinen zum Großen Triglav. Geübte Bergsteiger halten sich einfach an den Eisenseilen fest. Wir benutzen lieber unsere Klettersteigsets. Durch das Umhängen der Karabinerhaken kommt man zwar langsamer voran, dafür aber sicherer.
Dann sehen wir Aljaev stolp, den Alja-Turm. Bei Unwetter bietet das metallene Türmchen maximal vier Personen Platz. Heute dient es nur als Kulisse beim Gipfelfoto an einem strahlend schönen Morgen. Unten in den Tälern liegt Nebel wie Watte. Wir haben es geschafft, wir sind oben. Dobro jutro, Triglav. Guten Morgen.