Eigener Inhalt Ein spätes Tor

 Foto: AdobeStock

Bei der Fußball-WM in Russland müssen sich die Deutschen wieder auf zeitversetztes Fernsehen einstellen. Mitunter jubelt der Nachbar bis zu 50 (!) Sekunden früher!

 
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Man kennt das von den Turnieren der Vorjahre. Während auf der eigenen Mattscheibe der Torhüter den Ball gerade einmal abschlägt, raufen sich die Nachbarn auf dem Balkon nebenan schon die Haare. Und die Meiers ganz unten haben mit ihrem Entsetzensschrei ohnehin schon verraten, in welchem Tor der Ball gleich landen wird.

Bereits bei der WM 2014 in Brasilien sorgte das zeitversetzte Fernsehen beim Public Viewing, aber auch in den eigenen vier Wänden für Unmut. Je nachdem, wie man das Fernsehsignal empfing, landete der Ball früher oder eben später im Tor. Und auch in Russland wird das in diesem Jahr nicht anders sein. Denn bei den Übertragungswegen bleibt alles beim Alten.

Das IT-Fachmagazin c’t hat deshalb bereits im Vorfeld die Verzögerungen bei der Ausstrahlung über verschiedene Wege gemessen und die Ergebnisse wenige Tage vor Beginn der WM veröffentlicht. Das Fazit: Teils gibt es bis zu 50 Sekunden Zeitunterschied. Nicht nur beim Elfmeterschießen ist das eine halbe Ewigkeit.

Als erste jubeln dürfen 2018 wieder jene, die ihr Programm via Satellit empfangen. Deren Bilder kommen laut Messung am schnellsten an. Dicht darauf folgt das Sat-Signal in HD, das zwar eine halbe Sekunde hinter dem Satelliten-Bild liegt, dafür aber mit einem deutlich besseren Bild entschädigt.

Wer sein TV-Programm terrestrisch über DVB-T2 HD erhält, empfängst die Ausstrahlung im ZDF (2,5 Sekunden Verzögerung zum Sat-SD-Signal) jedoch deutlich schneller als in der ARD (4,5 Sekunden). Dahinter folgt den Messungen von c’t zufolge das Signal über Kabel. In hoher Auflösung braucht es je nach TV-Sender 6 oder 6,5 Sekunden extra.

Noch länger müssen Nutzer des Telekom-Angebots "Entertain" auf das Tor warten. Das Problem betrifft sämtliche digitalen Übertragungswege, für die die über Satellit übermittelten Signale noch transcodiert werden müssten. Aktuell liegen die TV-Bilder des Streaming-Angebots "Entertain" etwa acht bis zehn Sekunden zurück. Die Telekom arbeitet derzeit zwar an neuen Technologien, um die Zeitverzögerung zu minimieren, bis zur WM in wenigen Tagen wird es technisch jedoch keine Lösung geben.

Dabei ist dieses Angebot nicht mal das Schlusslicht im Test. Denn Streaming-Anbieter, die keine Multicast-Technologie (Aussendung eines Signals an viele Kunden) verwenden, liegen noch viel weiter zurück. Da können Verzögerung schon mal bis zu 50 Sekunden dauern. Ein Schneckentempo, das auch die Redakteure der c’t im Testlabor festgestellt haben.

Eine Tücke, die man auch beim TV-Streaming-Anbieter Zattoo kennt. Während sich die Zeitverzögerung bei normalen Fernsehfilmen kaum bemerkbar macht, fallen die späten Tore bei der Weltmeisterschaft hingegen schwer ins Gewicht. Zattoo speichert zudem das Signal für eine flüssige Wiedergabe ein paar Sekunden auf den Endgeräten zwischen. Das kann zusätzlich Zeit kosten. Immerhin ist dieser Anbieter aber noch schnell als die Live-Streams über Mediatheken von ARD und ZDF. Die c't-Redakteure kommen hier je nach Ausgabemedium auf Verzögerungen von 34 bis 46 Se-
kunden.

Völlig machtlos sind die Zuschauer der Technik jedoch nicht ausgeliefert. Denn es gibt bereits Anbieter, denen es gelungen ist, die Zeitverzögerung in den Griff zu bekommen. Das Streaming-Angebot Waipu.tv wirbt aktuell damit, "das schnellste Tor ins Wohnzimmer" zu bringen. Und mehr noch: Mit einer neuen Technologie sollen die Tore sogar noch einige Sekunden früher als im Kabel-Fernsehen gezeigt werden, kündigte das Unternehmen an.

Dazu hat die Exaring AG ein schnelles Übertragungsverfahren entwickelt, dass bereits zum Patent angemeldet wurde. Die Turbo-Übertragung soll den Kunden noch rechtzeitig vor dem WM-Start zur Verfügung stehen. Vorerst lässt sich das Angebot jedoch nur mit Amazons Fire TV oder einem Fire-Tablet sowie über eine App auf Android-Smartphones nutzen.

Das c't-Magazin hat das neue Waipu.TV bereits ausprobiert: Demnach kommt es bei der Ausstrahlung sowohl in der ARD als auch im ZDF auf eine Verzögerungszeit von 2,3 Sekunden und liegt damit vor dem terrestrischen Signal (4,5 beziehungsweise 2,5 Sekunden) wie auch vor der HD-Ausstrahlung über Kabel (6,5 und 6 Sekunden). Schneller ist nur das Bild über Satellit
(0,5 Sekunden Verzögerung bei Übertragung in hoher Auflösung).

Als Ausgangswert (Null) wurde das herkömmliche SD-Bild über Satellit genommen, das mit 4,5 Sekunden hinter der Echtzeit liegt. Denn ganz ohne Verzögerung geht es nur direkt im Stadion. sw/dpa

Hier rollt der Ball
Wie auch schon bei der WM 2014 können die Fußballspiele live und in voller Länge im Internet verfolgt werden. Alle 64 Spiele der WM 2018 laufen im legalen Live-Stream. Unter www.sportschau.de sowie www.zdf.de gibt es die Partien kostenlos und live zu sehen. Die entsprechenden Apps der Angebote ermöglichen außerdem das Zuschauen von unterwegs. Wer sich allerdings im Ausland aufhält, bei dem bleibt der Bildschirm vielleicht schwarz. Die Streams werden nämlich neben Deutschland nur noch in Österreich und der Schweiz zu sehen sein.

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