Eigener Inhalt Polo reloaded

Wolfgang Plank

Womöglich steckt die größte Faszination ja in einer Zahl: 1,9. Das ist die Spanne, in der die Top-Autos aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen. Schneller, als man "einundzwanzig, zweiundzwanzig" sagt. Und als wäre das nicht genug, tun sie es zu fünft nebeneinander. Zwischen den verbreiterten Kotflügeln nur ein paar Zentimeter Platz. Manchmal auch gar keiner. Und dann lauert da ja die erste enge Kurve …

 
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World Rallycross (WRX) heißt das Spektakel. Erdacht 1967 im britischen Lydden Hill, als man Rallyefahrer Rad an Rad auf einen Rundkurs schickte. Asphalt und Schotter im Wechsel. Das Prinzip gilt heute noch. Nur dass die Autos schneller geworden sind. Sehr viel schneller. Die Übersetzungen der sequenziellen Sechs-Gang-Getriebe gehen bis 200.

Mittlerweile ist eine Weltmeisterschaft daraus geworden. Der Strom an Zuschauern ist groß. Nur gut einen Kilometer lang sind die Kurse und prima einsehbar. Übers Renn-Wochenende gibt es Vorläufe, Halbfinals, Endlauf. Vier bis sechs Runden sind jeweils zu fahren, einmal pro Lauf muss jeder durch eine langsamere Joker-Kurve, in welcher Runde ist freigestellt. Die taktische Komponente. Manchmal ist es klug, sich hinten einzureihen und aus allem Gerangel herauszuhalten. Was nutzt die beste Linie, wenn man abgedrängt wird oder blockiert?

WRX vereint Rundstrecke und Rallye, saubere Linie und Drift – Rad an Rad und nicht selten mit Feindberührung. Nachgeben will so schnell keiner. Schließlich sitzen am Steuer Meister ihrer Zunft. Sebastien Loeb zum Beispiel, Ken Block, Matthias Ekström oder Petter Solberg. Und natürlich Johan Kristoffersen (Foto). Der Mann, der vorzeitig den WM-Titel holte.

Gewonnen hat er ihn auf einem VW Polo. Exakt jenem Chassis, wie sie 2014 in der Rallye-WM unterwegs waren. Da, wo VW noch heute siegreich sein könnte. Aber dann kamen der Diesel-Skandal, die Milliarden-Strafen – und Ende 2016 drehten die Bosse in Wolfsburg dem Projekt den Sprit ab. Werkseinsätze waren Geschichte.

Was blieb, war Kundensport. Und bald kam ein besonderer Kunde: Peter Solberg, Rallye-Weltmeister 2003 sowie 2014 und 2015 WRX-Champion. 2016 hatte ihm Audi-Pilot Ekström den Titel weggeschnappt und Solberg sann auf Revanche. VW Schweden engagierte sich für das PSRX-Team, VW-Motorsport sollte die Autos bauen. Des Polos zweites Leben.

Drei Monate später würde in Barcelona das erste Rennen der Saison 2017 starten. Was bedeutete: Erstens keine Zeit und zweitens kein Budget für Entwicklungen. Also nahm man in Hannover zwei ausgemusterte Polo-Karossen, implantierte den knapp 600 PS starken Zwei-Liter-Turbo aus dem Beetle der amerikanischen GRC-Serie und ertüftelte eine stärkere Kraftübertragung. Schließlich hatten die Rallyeautos nur halb so viel Leistung. Einziger Kompromiss: Während bei den meisten Autos der Kühler zum Schutz vor Steinschlag in den Kofferraum wanderte, musste er beim Polo vorne bleiben. Irgendwann wäre sonst die Zeit davongelaufen.

Dass es trotz aller Eile kein hektisch zusammengebasteltes Auto war, stellte sich alsbald heraus. Zwar gewann Ekström im Audi die ersten drei Rennen, doch dann schlugen Solberg und vor allem Kristoffersen zurück. Der stellte den Polo sechsmal auf Platz eins und wurde vorzeitig Champion. Noch dramatischer: Vor dem letzten Lauf am 12. November in Kapstadt hält Solberg Platz zwei der Gesamtwertung. Er hatte sich bei einem Unfall das Schlüsselbein und zwei Rippen gebrochen sowie die Lunge gequetscht. Vier Tage nach der OP ging er mit einer Spezialmanschette auf dem Estering bei Buxtehude an den Start, schaffte es sensationell ins Finale und wurde Vierter. Gut 15 000 Zuschauer feierten ihn wie einen Helden.

Huldigungen des Publikums für schnelle Reparaturen sind dagegen eher selten. Die Fahrer indes wissen, was sie an ihren Mechanikern haben. Die Verluste auf der Strecke sind gelegentlich hoch. Gut, eine Truppe von Spezialisten zu haben, die blind jede Schraube am Auto kennt. Die in neun Minuten ein Getriebe wechselt und in zwölf eine Hinterachse. Und die, wenn’s sein muss, ein onduliertes Chassis fahrfertig dengelt, noch bevor den Zuschauern im Service-Park der Kaffee kalt wird. Reparatur nach Choreographie. Hunderte Male geübt.

Vorbereitet muss man halt sein. Im Truck liegen Kotflügel, Stoßfänger, Fahrwerke, Achsen, Kühler und was sonst noch so alles kaputtgehen könnte. Aber das kennen sie bei VW Motorsport bestens aus der Rallye-WM. Und auch, dass Qualität und Zuverlässigkeit Schlüssel zum Erfolg sind. Alle Teile sind zig-fach geprüft. Die älteste Motorsport-Weisheit, wonach erst im Ziel sein muss, wer Erster im Ziel sein will, gilt auch hier.

2018 soll die Show WRX weitergehen. Mit VW Motorsport. Ford steigt aus, dafür will Peugeot ausdrücklich den Titel. Eine klare Kampfansage. Womöglich muss es der Polo dann in 1,8 Sekunden schaffen . . .

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