Eigener Inhalt Phantom der Oberen

Wolfgang Plank

Sündhaft teure Autos gibt es viele. Doch keines gleitet so majestätisch wie das Rolls-Royce-Flaggschiff.

 
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Wer in einem Jahr weltweit 5152 Fahrzeuge verkauft, wird in Kreisen renommierter Autobauer üblicherweise milde belächelt – es sei denn natürlich, man residiert in Goodwood und heißt Rolls-Royce. Dann nämlich handelt es sich um einen Absatzrekord. Steigerung gegenüber dem bisher besten Jahr 2018: stolze 25 Prozent. Geradezu astronomisch.

Was gut zur Marke passt, denn mit allzu irdischen Begriffen halten sie sich dort üblicherweise nicht auf. Weil die Modelle ja irgendwie etwas Entrücktes haben, heißen sie Ghost (Geist), Wraith (Gespenst) und selbstverständlich Phantom. Samt und sonders unfasslich. Getreu dem "Spirit of Ecstasy" eben – dem Geist der Verzückung. Kühler-Zierde und Symbol seit 1911.

Doch mit Spuk allein hat das Wachstum nichts zu tun. Ein Gutteil gründet auf dem ersten SUV der Firmengeschichte. Und da sind sie in Goodwood auf Greifbareres verfallen. Geerdetes gar. Doch der Name verpflichtet auch am Boden. Wenigstens Diamant – das Härteste, was die Natur hervorbringt. Und mindestens der größte, den man je gefunden hat: der Cullinan. Ein Hoch-Karäter im Wortsinn. Kantig, schwer, ein Kühlergrill wie eine Wand. Der dickste Brocken, mit dem man derzeit neben der Spur sein kann.

Das Maß der Marke indes ist noch immer der lange Phantom. Sechs mal zwei Meter Edelmetall, 2,6 Tonnen schwer. Eine stählerne Sänfte. Schutz gegen all das Hektische da draußen. Der Fond eine eigene kleine Welt mit Opulenz ab Werk. Alles vom Allerfeinsten. Vogelaugenahorn, Walnuss, bestes Leder. Stets noch ein klein wenig erlesener als anderswo. Wen die "Flying Lady" mit ihrem wehenden Kleid beflügelt, der fährt eben vorne.

Und einzigartig obendrein. Stets rollt am Ende ein Unikat aus den heiligen Hallen südlich von London. Die legendäre Kühlerfigur und der Grill sind für Veränderungen tabu, ansonsten geht alles, was das Herz begehrt und die Hand bezahlt. Selbst ausgefallenste Farbwünsche sind für die hauseigenen Veredler von "Bespoke" kein Problem. Schon gar nicht das Monogramm im Sitz, der integrierte Humidor oder für den passionierten Jäger edle Halter für Thermoskanne und Fernglas.

Umso überschaubarer ist die Motoren-Palette. Zwölf Zylinder. Punkt. Alles andere wäre Verzicht. Und völlig unangemessen dort, wo Rolls-Royce sich verortet: an der Spitze. Vorbei jedoch die Zeiten, in denen man gönnerhaft mitteilen ließ, die Fahrzeuge seien "ausreichend motorisiert". Heute kann man Details nachlesen. Exakt 571 PS kommen aus der Tiefe von fast sieben Litern Hubraum – und imposante 900 Nm Drehmoment bei wenig mehr als Leerlaufdrehzahl. Dass im britischsten aller Gefährte bayerische Herzen schlagen, mag Puristen grämen – ein Alltagsverbrauch von 20 Maß Sprit eher nicht. Der Tank fasst schließlich 100 Liter.

Weil alle vier Räder lenken, kurvt sich’s durchaus kommod. Derweil eine Kamera die Straße im Blick hat und das Fahrwerk auf Ungemach einstellt. Acht Fahrstufen geleiten sanft voran, dank GPS kennt das Getriebe den Weg und kann passend sortieren. Und trotz aller Masse käme man sogar in 5,4 Sekunden von Null auf Hundert. Aber einen Rolls treten? Niemals! Wer nicht die Größe hat, in Würde zu akzelerieren, sollte besser woanders einsteigen.

Apropos: Die seitlichen Portale öffnen auch beim Phantom gegenläufig. An Platz herrscht kein Mangel. Was nicht verwundert bei knapp vier Metern Radstand. Und so schwebt man dahin. Luftgefedert, schallgedämpft, rundum erwärmt – und üblicherweise mit Chauffeur. Im Fond entpackt sich auf Wunsch eine lederne Lümmellandschaft. "Da legst di nieder", würde der Bayer sagen. Mit sehr viel Bewunderung – und einem Hauch von Neid.

Das alles hat seinen Preis. Rund 450 000 Euro kostet schon die Kurzversion, mit langem Radstand geht es erst 90 000 Euro weiter oben los. Die meisten Exemplare werden dennoch deutlich teurer verkauft. Im Zeichen des Doppel-R finden sich Sparfüchse und Krämerseelen üblicherweise selten.

Ohne Aufpreis gibt’s so etwas wie Ehrfurcht. Selbst hierzulande, wo man auf Vorfahrt nur zu gerne pocht, wird ein Rolls schon mal durchgewunken. Wer will schon einem Mythos im Wege stehen? Und längst sind es nicht mehr nur Scheichs, Popstars oder schwerreiche Lords, die sich hinter dem Geist der Verzückung versammeln. Die meisten sind Unternehmer. Erfolgreiche selbstverständlich, die sich nicht selten einen Traum erfüllen.

Gut 100 Käufer finden sich alljährlich in Deutschland. Jeder ist persönlich bekannt. Selbstverständlich. Und ja, man würde auch Gebrauchte in Zahlung nehmen, heißt es. Aber das kommt so gut wie nie vor. Ein Rolls-Royce ist mindestens ein Drittwagen, allermindestens. Und wer auf sich hält, hat ohnehin von jeder Baureihe ein Exemplar in der Garage. Man ist ja nicht bei armen Leuten …

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