Tabus, Scham, Halbwissen – das ist die Regel. Zwei Nürnberger Studentinnen wollten diesen Teufelskreis durchbrechen. Sie recherchierten monatelang. Sie wälzten in der Bibliothek Literatur für Medizinstudenten, sprachen mit Frauenärzten und Hebammen. Sie suchten gemeinsam nach Möglichkeiten, ihr Thema ästhetisch zu präsentieren, schließlich wollten sie "Wissenschaftliches mit Gestaltung vermitteln". Für ihre Abschlussarbeit im Bachelor-Studiengang Grafikdesign und Illustration an der Technischen Hochschule Nürnberg haben sie mittlerweile eine Reihe von Preisen gewonnen. Und es ist ein wunderbares Buch daraus entstanden: "Ebbe & Blut – Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus".

"Immer wieder haben wir erlebt, dass Frauen über Dinge reden, die sie eigentlich gar nicht genau wissen", sagt die 25-jährige Eva Wünsch. Und das bei einem Ereignis, das jeder Frau in monatlicher Regelmäßigkeit durchschnittlich 444 Mal im Leben widerfährt. "Wir wissen alle, wie die Regelblutung so ungefähr funktioniert, aber eigentlich haben wir keine Ahnung, was in unserem Körper vorgeht und warum", sagt Luisa Stömer, 24 Jahre alt. Ein vernünftiges Nachschlagewerk zum Thema haben die beiden nicht gefunden. Also entschlossen sie sich, selbst eines zu gestalten.

Die Freundinnen sitzen entspannt auf dem gemütlichen Sofa in ihrem gemeinsamen Büro im Heizhaus am ehemaligen Quelle-Gelände. Luisa Stömer hat die Beine untergeschlagen, Eva Wünsch lümmelt sich in den Kissen und balanciert eine große Milchkaffee-Tasse. Sie lachen viel, wenn sie von ihrem ungewöhnlichen Projekt erzählen. Ein leichtes, humorvolles Herantasten an das schwierige Thema war ihnen von Anfang an wichtiger als der Ernst medizinischer Sachbuchautoren. "Es war hilfreich, dass wir aus einer ganz anderen Ecke kommen", sagt Eva Wünsch.

Während ihrer Arbeit haben sie viel über sich und ihre Körper gelernt, mussten viele "Halbwahrheiten aus der Schulturnhalle" als Unsinn entlarven, viel selbst zusammengeschustertes Pseudo-Wissen widerlegen. Heute begegnen sie den biologischen Vorgängen, die immerhin gut die Hälfte der Menschheit betreffen, mit noch mehr Hochachtung und Respekt. "Vieles, was da in unserem Unterbauch passiert, ist großartig", sagt Luisa Stömer. Und Eva Wünsch ergänzt: "Das ist eine unglaublich intelligente und charmante Erfindung des weiblichen Körpers."

Dass das Thema immer noch weitgehend tabuisiert ist, dass ihm auch im 21. Jahrhundert noch das Stigma des Schmuddeligen, Unreinen anhaftet, ist den Autorinnen unverständlich. "Der gesellschaftliche Umgang damit ist total verklemmt", sagt Eva Wünsch. Noch immer reichten sich Frauen Tampons verstohlen unter dem Tisch. "Das ist fast wie eine Drogen-Übergabe." Und in der Werbung wird das rote, oft auch bräunliche Menstruationsblut durch eine klare blaue Flüssigkeit ersetzt. Weil’s so im Fernsehen schöner aussieht.

Eva Wünsch und Luisa Stömer wollen nicht nur informieren, sie wollen auch mit Vorurteilen aufräumen. Ungekünstelt sprechen sie in ihrem Buch über die Periode, machen die Vorgänge im Körper greifbar, entkräften hartnäckig gehegte Mythen. Sie erläutern, warum Frauen jeden Monat bluten und wie dabei Schmerzen entstehen können. Sie erklären, wie die Pille wirkt und die Pille danach, wie man auf natürliche Weise verhüten kann. Sie schreiben von der "Ästhetik vollgebluteter Unterhosen" und von den hormonellen Schwankungen während des weiblichen Zyklus, die auch für Stimmungsveränderungen verantwortlich sind.

"Der Zyklus hat viel mit der Psyche zu tun", sagt Eva Wünsch. Luisa Stömer ergänzt: "Die Hochphase ist in der ersten Zyklushälfte. Da fühlt man sich schön, ist voller Power." Dann kommt der Eisprung, Frauen werden jetzt dünnhäutiger, leichter reizbar, wirken auf ihre Umgebung schnell launisch und zickig. "Ich habe Phasen, in denen ich alles schlecht finde und mich furchtbar fühle. Dann gucke ich in meinen Kalender und denke: Ah, das ist jetzt, weil ich nächste Woche meine Tage bekomme", sagt Wünsch. Seit sie sich die Ursache erklären kann, kommt sie auch mit den Stimmungsschwankungen besser zurecht.

Sie nimmt auch ernst, dass es mal weh tut. Thema Regelschmerzen. "Ich lasse das jetzt zu, ich betäube mir das nicht mehr mit Tabletten weg", sagt Eva Wünsch. Sie findet es "traurig, dass man als Frau, um im Beruf ernst genommen zu werden, immer gleichmäßig funktionieren muss". Für sie ist es ein Unding, dass Frauen lieber etwas von Magen-Darm-Infekt lügen, als offen davon zu sprechen, dass sie wegen der Krämpfe durch ihre Periode zu Hause bleiben müssen.

Als "Ebbe & Blut" herauskommt, geben die Autorinnen eine kleine Release-Party. Auf einem Tisch liegen die druckfrischen Bücher. Drum herum stehen sieben Männer, alle total vertieft in die Lektüre. "Eine schöne Szene", sagt Wünsch. In ihrem direkten Umfeld haben die beiden großes Interesse geweckt. Auch Männer dürfen, ja sollten sich für dieses vermeintlich reine Frauenthema interessieren. Nur so können sie einfühlsam auf die Veränderungen ihrer Ehefrauen und Freundinnen reagieren.

Männer haben sogar aktiv mitgeholfen beim Entstehen der Bachelor-Arbeit. Vor allem Professor Dr. Max Ackermann, der an der Hochschule Verbale Kommunikation lehrt. Er hat Informationen besorgt, Fachartikel herausgesucht – über Menstruationsblut und anderes. "Bei uns an der Hochschule geht es ja in erster Linie um die Gestaltung", sagt Eva Wünsch. "Aber auch inhaltlich haben sich viele unserer Professoren, auch männliche, richtig in das Thema reingefuchst."

Max Ackermann hat die beiden Studentinnen auch ermutigt, einen Verlag für ihre Arbeit zu suchen. Er hat den Begriff "fremdschämen" abgewandelt auf seine Gefühlslage und spricht von "fremdstolzen". Unheimlich stolz sei er auf "Ebbe & Blut" und begeistert von dem, was seine Absolventinnen geleistet haben. Auch Illustrations-Professorin Sybille Schenker ist voller Lob. Das Buch, sagt sie, sei "ein geschlossen-gelungenes, sehr professionelles Projekt".

Gemeinsam – "im Doppelpack läuft bei uns alles besser" – haben Eva Wünsch und Luisa Stömer an ihrem wuchtigen Massivholz-Schreibtisch gesessen und Einzelteile für die Collagen ausgeschnitten, die ihre Texte zum weiblichen Zyklus künstlerisch ansprechend visualisieren. Auf dem Tisch liegt ein Stapel Papier, eingerahmt von Vasen mit Schnittblumen und brennenden Kerzen. Unter den alten Zeitschriften schaut die Ecke eines Tablet-Computers hervor. Für "Ebbe & Blut" haben sie eine spezielle Bildsprache entwickelt. In ihren Collagen sehen die Frauen aus wie in den 1950er-Jahren. "Es ging uns darum, diese Frauen, die in einer Welt aufgewachsen sind, in der sie nicht offen sprechen konnten, in einen neuen Kontext zu setzen." Gleichzeitig wollten sie zeigen, dass manchmal alles noch sehr verklemmt ist.

Die Rückmeldung ihrer Leserinnen und Leser ist – nach anfänglicher Ablehnung und Skepsis – durchweg positiv, wie die Autorinnen berichten. Manche Frauen hätten durch die Lektüre endlich den anerzogenen Ekel vor sich selbst verloren, andere sagen, sie hätten nun Freundschaft mit dem eigenen Körper geschlossen. "Das ist doch total schön", sagt Eva Wünsch. Der Wirbel, den sie mit ihrem Buch ausgelöst haben, hat sie überrascht. Schon während der Recherche bemerkten sie, dass sie da ein Thema behandeln, dem sich in dieser unverkrampften Form noch niemand gewidmet hatte. Sie sind überzeugt: "Mit Wissen lässt sich Offenheit generieren."

Unnötig also, sich wegen etwas grundlegend Menschlichem zu schämen. Immerhin entstammen alle Menschen – nicht nur die rund fünfzig Prozent, die jeden Monat Regelblutungen haben – einem gesunden Uterus.