Der Himmel ist wolkenverhangen. Am Wochentag auch nicht. Es ist Montag. Und am anstehenden Nachmittagsprogramm? Sie hat Klavierstunde. In mir keimt eine Hoffnung. Gut, das Ende der Pubertät kann es nicht sein. Aber vielleicht hat sie ja schon die Lateinschulaufgabe zurückbekommen? Ist vielleicht eine gute Note der Grund für ihre überschäumende Lebensfreude? Ich treffe sie in der Küche. "Mama, weißt du was?", begrüßt sie mich. "Wir hatten heute Sport." Ich nicke, als hätte ich tatsächlich ihren Stundenplan im Kopf. "Und weißt du was; Mama, wir haben heute die Urkunden für die Bundesjugendspiele bekommen. Rate mal, was ich habe! Eine Ehrenurkunde", platzt es aus ihr heraus. "Ehrlich? Na, das ist ja toll", lobe ich und widme mich der Spülmaschine. Sie schaut mich prüfend an. "Freust du dich gar nicht darüber?" Meine Jüngste betritt die Szenerie. Ihr Blick fällt auf das doppelseitige Dokument mit dem Adler darauf. "Wow, eine Ehrenurkunde", gratuliert sie ihrer Schwester und schmeißt den Schulranzen ins Eck, als würde sie gerade in der Disziplin Weitwurf einen neuen Weltrekord aufstellen wollen. "Mama, wo hast du eigentlich meine vom letzten Jahr hin?" Zwei Augenpaare richten sich auf mich. Ich schlucke. "Warum, wofür brauchst du sie?", versuche ich geschirrklappernd vom Thema abzulenken. Vergebens. "Hast du sie etwa weggeschmissen?", entrüstet sich meine Älteste. Am Abend durchforste ich die Ordner, wühle mich durch Zeugnisse, Zertifikate und andere Zettelwirtschaften. Da fällt mir etwas in die Hände. Ein zerknittertes Stück Büttenpapier aus dem Jahr 1982, unterschrieben vom damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens. Oben ist noch deutlich das kleine Einstichloch einer Nadel zu sehen. Am Morgen zieren die zwei Urkunden meiner Kinder unsere Pinnwand. Denn wie hat schon der alte Goethe gesagt: So ehre denn, wem Ehre gebührt. Und Goethe hat bekanntlich ja immer recht.