Zurück zum Baikalsee Doch die Sehnsucht ist größer

Eberhard Günther muss zurück. Auch wenn die Situation in Russland mit dem Angriff auf die Ukraine eine andere geworden ist. Seine Freundschaft zu den Menschen ist eine tiefe geblieben, so wie seine Sehnsucht nach Sibirien.

 
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Erst Mitte März ist Eberhard Günther aus Benshausen mit zwei Tagen Verspätung von seiner mehrwöchigen Winterreise aus Sibirien zurückgekehrt. Wieder hat er sich einen seiner Träume erfüllt und erstaunliche Momente erlebt. Etwa Temperaturen von minus 50 Grad, einen Kälteschock oder einen heftigen Schneesturm, er war bei minus 40 Grad auf Exkursion auf der zugefrorenen Lena, erklomm den berühmten Lenafelsen, bestaunte in Jakutsk Eisskulpturen, fuhr mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok und von dort zurück nach Irkutsk, um dann über den von klarstem Eis überzogenen Baikalsee auf die Insel Olchon überzusetzen. Wie immer war es ihm wichtig, das Krankenhaus dort mit benötigten medizinischen Geräten zu unterstützen. Und wie jedes Mal bekam er im Vorfeld seiner letzten Abreise von vielen Thüringern aus seinem Umfeld Geld dafür zugesteckt. 800 Euro waren es letztlich, die er auf 1000 Euro aufstockte. Die umgerechnet 100 000 Rubel hat er für ein Beatmungsgerät, zwei Rezirkulatoren, Blutzuckermessgeräte, Blutdruckmanschetten und Stethoskope ausgegeben, die er in Irkutsk bestellt und gekauft hatte. Eine Aktion, die ihm gerade noch rechtzeitig gelungen war.

Bei der Übergabe der Geräte hat Eberhard Günther betont, dass diese von Menschen aus Thüringen, aus Benshausen, finanziert worden sind, dass eine Verbindung zwischen den Menschen beider Länder besteht, die besonders in Zeiten wie diesen keinesfalls abreißen dürfe. „Mich dafür einzusetzen, ist meine Lebensaufgabe“, so der Sibirien-Freund.

Bei seiner Abreise damals nicht ahnend, dass im Februar ein Angriffskrieg auf die Ukraine beginnen würde, hat er es genossen, endlich wieder seine zweite Heimat besuchen zu können. Seit 20 Jahren zieht es den heute 68-Jährigen in die großen Weiten des östlichen Russlands und immer an den Baikalsee. Und auch wenn er jüngst nur unter erschwerten Bedingungen seine Rückreise antreten konnte – seine Konten waren wegen der verhängten Sanktionen gesperrt und auch sein gebuchter und bezahlter Rückflug von Moskau nach Frankfurt wurde gestrichen – zieht es ihn wieder nach Sibirien.

Damals waren es seine Freunde im Land, die ihm die letzten beiden Wochen sowie die Rückreise nach St. Petersburg und von dort per Bus nach Helsinki ermöglichten, weil sie das Geld dafür vorstreckten. Sein Sohn hat von Deutschland aus den Flug von Finnland nach Frankfurt gebucht. Denn er stand plötzlich mittellos da. Die Anfrage auf Hilfe in dieser prekären Situation beim Konsulat blieb unbeantwortet. Eberhard Günther, der völlig unverschuldet in die schwierige Lage geriet, war von offizieller Seite allein gelassen worden. Nicht aber von seinen Freunden.

Und zu diesen und der beeindruckenden Landschaft zieht es ihn erneut. Bis zum 31. Juli hat sein Visum noch Gültigkeit. Und das möchte Eberhard Günther ausschöpfen. Auf die neue politische Situation hat er sich ganz bewusst vorbereitet. „Ich bin kein Grenzgänger mit rosaroter Brille. Dennoch versuche ich meine Ziele zu erreichen und die deutsch-russische Freundschaft mit Leben zu erfüllen. Mein großes Urvertrauen hilft mir dabei. Auch das Wissen um das eigene Risiko“, sagt er. Mit Kerstin Messing in Suhl, die ihm all die Jahre schon bei seinen Reisen unterstützt und Flüge organisiert, hat er auch in dieser komplizierten Konstellation für den 22. Juni eine Rute in das Land gefunden, das ihn so sehr fasziniert. Wieder wird die Einreise nur über Finnland mit dem Bus möglich sein. Und wieder wird damit ein Traum mehr in Erfüllung gehen. Denn während er seine Abenteuer auf den schönsten russischen Flüssen Amur und Lena bereits erlebte, soll es nun eines auf dem Jenissei werden. Keines für Touristen, sondern auf einem regulären Postschiff. „Schließlich möchte ich nah am Leben der Menschen sein.“ Von Krasnojarsk fliegt er dafür nach Norilsk, Richtung Nordpolarmeer. Dort angekommen, geht es auf dem Fluss zurück. Unterwegs wird er mehrfach aussteigen, um Rentiernomaden kennenzulernen oder sich auf bisher noch ungeahnte Begegnungen einzulassen. Mit einem der nächsten Postschiffe fährt er weiter, bis er elf Tage später wieder in Krasnojarsk ist, wo ein Platz in der Transsibirischen Eisenbahn nach Irkutsk auf ihn wartet. Erst dann wird er seinen Baikalsee, seine Insel Olchon und all die vertrauten Menschen wiedersehen, die seine große Sehnsucht ausmachen.

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