Zapfenpflücker Ernte in luftiger Höhe

Annett Gehler

Sie sind für den Waldumbau und die Wiederaufforstung unerlässlich, dennoch gibt es in Deutschland nur noch wenige von ihnen: Zapfenpflücker. Sie ernten in schwindelerregenden Höhen das Saatgut für neue Bäume. Babyöl gehört dabei zu einem wichtigen Utensil bei diesem anstrengenden Job.

 
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Arbeit mit Ausblick: Andreas Hoffmann erntet die Zapfen. Sie enthalten die Samen, die unter anderem für den Waldumbau benötigt werden. Foto: dpa/Michael Reichel

Aus dem Baumwipfel in einem Waldstück bei Suhl-Goldlauter erschallt ein lautes „Achtung“, dann plumpst aus rund 35 Metern geräuschvoll ein weißer Sack auf die Erde. Seit Stunden schon hängen Männer mit Helmen und Steigeisen, Gurten und Seilen gesichert hoch oben in den Douglasien. Mit ihren meterlangen Pflückhaken ziehen sie die Äste zu sich heran, um an das zu gelangen, wofür sie bis in die Baumspitzen klettern: Zapfen.

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„Du musst schon körperlich fit sein, sonst geht das nicht“, sagt Axel Delle, der bereits seit 40 Jahren als Zapfenpflücker in den Thüringer Wäldern unterwegs ist. Die Liebe zu seinem Beruf hat er von seinem Vater, der einst auch als Zapfenpflücker arbeitete. Trotz der körperlichen Beschwernis, bei Wind und Wetter in schwindelerregende Höhen zu steigen, kommt für Delle kein anderer Job infrage: „Wenn du da oben sitzt, hast du immer eine andere Aussicht – du bist dein eigener Herr.“

Hebebühnen statt Kletterer

Dennoch ist seine Zunft inzwischen sehr überschaubar. Schätzungsweise nur noch 60 bis 80 Zapfenpflücker bundesweit gibt es. „Viele Landesforstbetriebe haben Plantagen angelegt, da kann man mit Hebebühnen arbeiten“ weiß die Saatgutspezialistin der Thüringer Landesforstanstalt, Ira Simon. Sie leitet die Forstsamendarre in Fischbach (Kreis Gotha), eine Art Samendepot, in dem die Ernte der Zapfenpflücker getrocknet, aufbereitet und gelagert wird.

Die Zapfen müssen grün gepflückt werden, damit die Samen als Forstsaatgut taugen. Je nach Baumart reifen die Zapfen fünf Tage bis sechs Wochen in der Samendarre nach, bis sie aufgehen. Dann kommen sie in den Ofen und werden noch einmal bei etwa 30 Grad behandelt, bis sie das Saatgut freigeben. In Fischbach lagern laut Simon derzeit Samen im Wert von 350 000 Euro, die hauptsächlich für den eigenen Bedarf bestimmt sind. Die Samendarre versorgt auch die staatliche Forstbaumschule in Breitenworbis. Zu den teuersten Saatgütern gehören momentan die Samen der Douglasie - bis zu 1300 Euro werde für ein Kilo fällig.

Im Winter sind Fichte und Lärche dran

In Thüringen holen derzeit für den staatlichen Forstbetrieb zwölf Männer die Zapfen von Douglasie, Tanne, Fichte und Co. Die Erntezeit für das Samengut beginnt Ende Juni mit der Vogelkirsche. Die Hauptsaison dauert von August bis Oktober mit den Laubhölzern – aber auch noch im Winter klettern die Zapfenpflücker auf Fichte, Kiefer und Lärche. Gepflückt werden darf nur in Beständen, die vorher begutachtet und dafür zugelassen wurden. „Es ist eine schwere Arbeit, für die man höhentauglich und schwindelfrei sein muss“, sagt Simon.

Vom Erfolg der Zapfenpflücker hängt letztlich die gesamte Forstwirtschaft ab. „Sie sichern mit ihrer Arbeit die Grundlage für die Wiederbewaldung“ betont der Sprecher der Landesforstanstalt Thüringen-Forst, Horst Sproßmann. Aufgrund des Klimawandels seien sie in den vergangenen Jahren sogar noch wichtiger geworden.

Trockenheit, Borkenkäfer und Sturm haben in Thüringer Wäldern rund 60 000 Hektar Schadfläche hinterlassen. „Wir stehen vor der Herausforderung, Waldumbau auf einer großen Fläche betreiben zu müssen, daher wird der Bedarf an Saatgut und Forstpflanzen mittelfristig weiter steigen“, ist sich Sproßmann sicher. Pro Jahr werden im Freistaat laut Landesforstanstalt derzeit zwei Millionen neue Pflanzen in den Boden gebracht. Aus einer Tonne Zapfen von der Weißtanne lassen sich beispielsweise rund 100 Kilo Saatgut gewinnen, aus denen wiederum 300 000 bis 500 000 neue Pflanzen gezogen werden können.

Die Zapfenpflücker sind übrigens zumeist staatlich anerkannte Forstwirte mit einer zusätzlichen Ausbildung für die Seilklettertechnik. Steigen sie nicht auf Bäume, sind sie auf den Versuchsflächen und Samenplantagen unterwegs, pflanzen und pflegen die Bestände. Aber auch klettererfahrene Waldarbeiter aus den regionalen Forstämtern helfen bei der Ernte aus.

Einer dieser saisonalen Pflücker ist Forstwirtschaftsmeister Andreas Hoffmann vom Forstamt Erfurt-Willrode. „Das Klettern in die Baumspitzen ist schon anstrengend, aber für mich eine Art Ausgleichssport“, sagt der 37-Jährige und zieht dabei eines seiner wichtigsten Utensilien für die Zapfenernte aus der Tasche: „Ich habe immer Babyöl für die Hände dabei, sonst bekommst du irgendwann von dem Harz die Finger nicht mehr auseinander.“