Weniger Abhängigkeit braucht viel Zeit und verursacht hohe Kosten
Bemühungen zur Diversifizierung sieht der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) schon "in vollem Gange", wie BGA-Präsident Dirk Jandura in Berlin sagte. "Das hat zunächst mehr mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu tun. Aber auch die Null-Covid-Strategie der chinesischen Regierung hat dazu beigetragen, nach neuen Handels- und Lieferwegen zu suchen." Alternative Absatzmärkte ließen sich etwa in Nord- und Südamerika aber auch in Indien und Afrika langfristig aufbauen. Doch weniger Abhängigkeit brauche je nach Branche viel Zeit und verursache hohe Kosten.
Die Möglichkeiten für größere Unabhängigkeit von der zweitgrößten Volkswirtschaft sieht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritischer. Unternehmen wie Volkswagen machten fast die Hälfte ihrer Gewinne in China. "Ähnlich wie mit Russland ist die Asymmetrie und die Einseitigkeit der Abhängigkeit Deutschlands von China das zentrale Problem", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Das nutze China zunehmend als Druckmittel gegenüber Deutschland und Europa.
China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner
Mehr als 5000 deutsche Unternehmen sind in China tätig und sichern damit in Deutschland eine Million Jobs. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. Acht Prozent der deutschen Exporte gehen in die Volksrepublik. Deutsche Importabhängigkeiten bestehen bei strategisch wichtigen Produkten wie Lithium-Batterien oder Seltenen Erden, wie die deutsche Handelskammer (AHK) in China berichtet. Die Lockdowns in Shanghai und anderswo demonstrierten auch die Abhängigkeit von Lieferketten, wenn Produkte nicht nach Deutschland geliefert werden können, weil ein einziges kleines Teil fehlt.
"Bei strategischen Produkten oder Rohstoffen gilt es, diese mit Augenmaß zu reduzieren", sagte Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der AHK. Gleichzeitig sicherten Handel und Investitionen aber auch gegenseitig Bevölkerungswohlstand und dienten bei Konflikten der Mäßigung. "Die Abhängigkeit zwischen Deutschland und China ist gegenseitig." Um sich von China abzukehren, müssten anderswo neue Lieferketten aufgebaut werden, was lange dauere. "In der Zwischenzeit wäre mit Preissteigerungen zu rechnen."
Durch die enge Verflechtung deutscher Unternehmen in chinesische Lieferketten würde sich eine Abkopplung "auf die ganze deutsche Wirtschaft negativ auswirken", warnte Hildebrandt. Einen Vorgeschmack habe es gerade aufgrund der Covid-Einschränkungen und Engpässe in den Lieferketten gegeben. Der Mangel an Vor- und Zwischenprodukten bremse deutsche Unternehmen nicht nur in China, sondern auch in Deutschland.
Täglich Waren für 600 Millionen Euro
Anders als mit Russland, das meist Energie liefert, wäre eine Abkehr von China viel schwieriger, sagte auch Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer. "Russland ist eine Drei-Produkte-Wirtschaft. Das ist alles, während wir Zehntausende von Produkten aus China beziehen und wahnsinnig viele Jobs in Deutschland kreieren", sagte Wuttke. Europa liefere zwar täglich Waren für 600 Millionen Euro nach China, aber China schicke umgekehrt jeden Tag Exporte für 1,3 Milliarden nach Europa. Insofern sei China "mehr als doppelt so abhängig".
Was mit Uiguren und Tibetern passiert, sei "unverzeihbar" und werfe "riesengroße Fragen" auf, sagte der Kammerpräsident. Es zwinge Firmen dazu, sich abzuwenden, wenn sie ihre Lieferketten durchgingen und nicht ausschließen könnten, dass irgendwo Zwangsarbeit stattfinde. Diversifizierung liege im ureigensten Interesse jedes Unternehmens. "Wir alle machen das auch", sagte Wuttke. "Aber zu einem Markt in der Dimension wie China gibt keine Alternative."
Für allzu großen Pessimismus sieht Merics-Experte Zenglein aber keinen Anlass, auch wenn es kurzfristig zu höheren Kosten oder Engpässen kommen dürfte. Mittelfristig rechnet er mit neuen Gelegenheiten für die Industrie. "So unbequem das jetzt auch sein mag, es ist nicht das erste Mal, dass sich die globalen Lieferketten neu aufstellen. Man kann darin auch eine Chance sehen."