Wieder zu Hause „Wenn ich über Meiningen rede,komme ich ins Schwärmen“

Antje Kanzler
Heimkehrerin Julia Fischer mit ihrer Mutter Marion auf dem Turm der Meininger Stadtkirche. Julia liebt ihre Geburtsstadt und möchte nun als Mitarbeiterin der Meiningen GmbH mithelfen, das Stadtmarketing weiter nach vorn zu bringen. Foto: privat

Es ist ein ungewohntes Bild, Julia Fischer auf dem Kirchturm ihrer Heimatstadt Meiningen zu sehen. Die Fotos der letzten Jahren, oft veröffentlicht in Reportagen im Meininger Tageblatt, zeigten sie, umringt von Mädchen in einem Kinderheim in Sri Lanka. Jetzt kehrte sie nach Meiningen zurück, wo man sie künftig in der Tourist-Information antreffen kann.

 
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Es ist sommerlich warm in Meiningen, fast tropisch. Im Schatten fröstelt Julia Fischer trotzdem ein wenig in ihrer kurzen Bekleidung. Sie ist andere Temperaturen gewöhnt. Ansonsten aber brauchte sie keine Eingewöhnungszeit, um wieder warm zu werden mit ihrer Heimat Meiningen. Ganz im Gegenteil. Vielleicht schätzt sie ihre Stadt umso mehr, mit den langjährigen Erfahrungen aus dem fernen Sri Lanka im Gepäck. Denn: „Man muss nur in die Fremde gehen, um das Gute kennenzulernen, was man zu Hause besitzt.“ Das ist vielleicht nicht Goethes geschliffenster Spruch, aber doch ein sehr treffender. „Meiningen ist meine Heimat“, sagt Julia Fischer aus voller Überzeugung. Hier ist sie groß geworden, hat sie bis heute viele Freunde. Selbst als die Familie für einige Jahre nach Gerthausen zog – da war sie 15 – blieb Meiningen ihr Zuhause. Erst beim Kommunikationspsychologie-Studium in Görlitz stellten sich die Lebensweichen neu.

Auf der Suche nach einem Praktikumsplatz entdeckte Julia Fischer 2006 das entstehende Kinderheim des deutschen Auswanderers Frank Lieneke in Marawila/Sri Lanka. Eine faszinierende, eine herausfordernde Aufgabe für die junge Frau. Schnell war ihr klar, dass sie 2007 nach dem Studium dorthin zurückkehren würde. Für ein halbes Jahr. „Das war ein Projekt, in dem ich einen Sinn gesehen habe. Ich konnte es dank meinem Studium sehr gut mit Öffentlichkeitsarbeit unterstützen.“ Mit Frank Lieneke an ihrer Seite wurde es auch ihr Projekt, das sie 16 lange Jahre nicht loslassen sollte. Mit viel Fleißarbeit und Transparenz warb sie erfolgreich um Spenden, um Kinder- und Projektpatenschaften und anderweitige Unterstützung. Inzwischen kann das Angels Home auf einen festen Stamm – Julia nennt sie nach dem Vereinsnamen die Drylands-Familie – aus rund 220 Unterstützern zählen. „Die Leute sind begeistert, dass wir bis ins Detail zeigen, was mit dem Spendengeld passiert. Und sie erzählen es anderen weiter.“ Das Kinderheim wurde durch einen größeren Neubau ersetzt. Über die Jahre konnten um die 180 Mädchen ohne Eltern oder aus schwierigen Verhältnissen im Angels Home eine behütete Kindheit verbringen und eine Ausbildung bekommen.

Dann kam das Heimweh

Doch mit den Jahren kam – langsam, aber stetig – das Heimweh. „Ich hatte immer stärker den Wunsch, nach Meiningen zurückzukehren“, schaut Julia Fischer zurück. 2017 wagte sie den ersten Versuch, so ein bisschen wieder in der Heimat Fuß zu fassen, denn manches in ihrer Wahlheimat blieb ihr fremd. „Die Verlässlichkeit und Beständigkeit, die man von Deutschland kennt, fehlt in Sri Lanka extrem. Und auch die Nachhaltigkeit unserer Arbeit. Manchmal hatte ich das Gefühl, wir gehen zwei Schritte vor und einen zurück. Die Kinder haben eine gute Kindheit, sie können alles erreichen, aber es ist schwierig, etwas an den Denkweisen und der gesellschaftlichen Struktur zu ändern.“

Erst dachte sie an eine Drei-Monats-Lösung, nahm sich aus diesem Grund Anfang 2020 eine kleine Wohnung in Meiningen. Während der zwei Pandemie-Jahre aber, als der Flughafen in Colombo monatelang komplett gesperrt war und im Kinderheim keine Besucher empfangen werden durften, waren die Heimbetreuer und Kinder komplett isoliert. „Eine sehr krasse Situation. Ich hatte Sehnsucht nach Heimat und Familie.“ Im vorigen Dezember kam sie, zum ersten mal nach zehn Jahren, wieder zu Weihnachten nach Deutschland, um mit ihren Lieben zu feiern, „so richtig mit Baum, Klößen und Geschenken“. Und im Februar, beim Abflug, kam ihr erstmals der Gedanke: ,Das willst du doch gar nicht.’ „Sonst habe ich mich immer auf Sri Lanka gefreut. Diesmal war es anders. Eines Tages im März bin ich dann in Marawila aufgewacht und hatte den klaren Gedanken im Kopf: Ich will zurück. Wenn man etwas lange wegschiebt, holt es einen irgendwann mit krasser Brutalität ein.“

Der Zufall wollte es, dass genau zu dieser Zeit beim Surfen im Internet die Stellenanzeige der Meiningen GmbH vor ihren Augen aufploppte, die einen Mitarbeiter suchte zur Verstärkung der Tourist-Information und als Redakteur für das künftige Stadtmagazin „Der Mäninger“. Ein Wink des Schicksals. Am Ende sollte genau diese Stelle in Meiningen ihre berufliche Zukunft werden – nächsten Montag, am 1. August, geht es los.

Vorfreude auf Neues

Gästen Auskunft zu geben und Meiningen schmackhaft zu machen, Tickets zu verkaufen, Übernachtungen zu buchen und ähnliches – das passt zu Julia Fischer. Ihr sehr gutes Englisch wird ihr bestimmt noch nützlich sein. Und auch mit Marketing kennt sie sich aus. Jahrelang hat sie auf der Webseite www.dry-lands.org des Kinderheims und in Sponsorenbriefen ausführlich alle neuen Entwicklungen geschildert. Trotzdem betritt sie nun einen ganz neuen Wirkungskreis. „Ich freue mich, jetzt etwas ganz anderes zu machen, das Meininger Netzwerk zu entdecken, denn tatsächlich ist in einer kleinen Stadt vieles miteinander verknüpft. Ich freue mich darauf, Gästen Meiningen schmackhaft zu machen, weil ich voll dahinter stehe. Meiningen halte ich für eine sehr schöne Stadt und das möchte ich auch anderen nahe bringen.“

Den neuen Job findet sie spannend: „Ich werde viel Kundenkontakt haben und neue Menschen kennenlernen. Was ich noch nicht weiß, versuche ich mir anzueignen. Ich kann meine Kreativität einbringen. Und ich hätte auch Lust auf Stadtführungen. Wenn ich über Meiningen rede, komme ich immer richtig ins Schwärmen“, lacht sie. „Es ist eine Stadt zum Wohlfühlen, sehr familiär und umgeben von Wald. Und man lässt sich auch mit Veranstaltungen viel einfallen. Ich werde bestimmt oft durch die Natur laufen, denn in Sri Lanka war ich immer von Menschen umgeben. Jetzt genieße ich es, auch mal allein zu sein.“

Dem Angels Home weiter verbunden

Abgeschlossen aber ist das vorherige Kapitel Sri Lanka nicht, wird es wohl auch nie. Viel zu sehr ist das Kinderheim mit ihrer Person verknüpft. „Das Projekt besteht weiter. Frank ist dort geblieben und es hat sich auch eine neue Mitarbeiterin gefunden. Ich bereue nichts, sondern bin mega stolz auf das, was wir geschaffen haben. Ich werde das Angels Home auch weiter begleiten und von hier aus ehrenamtlich unterstützen, so gut es geht. Ich kümmere mich um die Kontaktpflege mit den Sponsoren und Paten und die Öffentlichkeitsarbeit.“ Deshalb ahnt sie schon heute: „Meine nächsten Urlaube werden sicher alle für Sri Lanka draufgehen.“

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