Weltberühmte Wüsten-Scharrbilder in Peru Hunderte neue Nazca-Figuren mithilfe von KI entdeckt

Markus Brauer/AFP

Archäologen haben mithilfe einer künstlichen Intelligenz 303 zuvor unbekannte Nazca-Figuren im peruanischen Hochland entdeckt. Damit hat sich die Zahl der bekannten figürlichen Nazca-Linien und -Figuren fast verdoppelt. Doch wozu dienten die oft kilometergroßen Erdbilder – Geoglyphen genannt?

 
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Benannt sind die Linien, die Wüste und die Kultur nach der unweit der Ebene liegenden Stadt Nazca in Peru. Als Urheber der Linien gelten die Paracas-Kultur und die Nazca-Kultur. Foto: Yamagata University/AFP

Die rund 2000 Jahre alten Scharrbilder in der Nazca-Wüste im Hochland von Peru sind weltberühmt. Und es gibt deutlich mehr als bisher angenommen. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) haben japanische Forscher nach eigenen Angaben 303 weitere dieser geheimnisvollen Erdzeichnungen entdeckt, was die Zahl der bisher aufgespürten Nazca-Linien fast verdoppelt.

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Die Nazca-Ebene zeigt auf einer Fläche von 620 Quadratkilometern schnurgerade, bis zu 20 Kilometer lange Linien, Dreiecke und trapezförmige Flächen sowie Figuren mit einer Größe von etwa zehn bis mehreren hundert Metern.  Foto: Yamagata University/AFP

Vermessung der Geoglyphen mithilfe von KI

„Der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Forschung hat es uns ermöglicht, die Geoglyphen schneller und präziser zu kartieren“, sagt der Archäologe Masato Sakai von der Yamagata Universität bei der Vorstellung der Ergebnisse in der japanischen Botschaft in der peruanischen Hauptstadt Lima.

„Die traditionelle Vermessungsmethode zur visuellen Identifizierung von Geoglyphen anhand hochauflösender Bilder von diesem riesigen Gebiet war langsam.“ Zudem habe es das hohe Risiko gegeben, dass Scharrbilder übersehen werden, so der Forscher.

Oft sind die figurbildenden Linien nur wenige Zentimeter tief. Durch die enorme Größe sind sie nur aus großer Entfernung zu erkennen, von den Hügeln in der Umgebung oder aus Flugzeugen. Foto: Yamagata University/AFP

430 bekannte und 303 neue Nazca-Linien

Bisher waren durch die traditionelle Forschung rund 430 Nazca-Linien bekannt. Ihre Entdeckung zog sich über fast ein Jahrhundert hinweg. Mit Hilfe von KI wurden nun „in sechsmonatiger Feldforschung 303 neue Geoglyphen“ entdeckt, verkünden die japanischen Forscher, deren Ergebnisse in der US-Wissenschaftszeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht worden sind.

Zu den neu entdeckten Figuren gehören demzufolge „riesige Geoglyphen linearen Typs“. Diese stellten „hauptsächlich wilde Tiere“ dar. Es gebe aber auch „Muster, die mit menschlicher Aktivität verbunden sind, darunter Menschen und domestizierte Tiere“.

Entstanden sind die Bilder durch Entfernung der oberen Gesteinsschicht, die von Wüstenlack überzogen ist (negatives Relief). Foto: Yamagata University/AFP
Dieser Wüstenlack besteht aus einem rostroten Gemisch aus Eisen- und Manganoxiden. Foto: Yamagata University/AFP

Die Erdbilder zeigen vorwiegend menschenähnliche Figuren, aber auch abgetrennte Köpfe und Nutztiere wie Lamas. Damit unterscheiden sich diese kleineren Darstellungen in Motiv und Lage deutlich von den größeren, oft abstrakten Nazca-Geoglyphen, wie das Team berichtet.

Riesige Scharrbilder im Wüstenboden

Bei den Nazca-Linien handelt es sich um Scharrbilder von gewaltigem Ausmaß, die in den sandigen Wüstenboden gekratzt wurden. Sie wurden zwischen 500 v. und 500 n. Chr. von der Nazca-Kultur im Süden des heutigen Perus angelegt und stellen Tiere, stilisierte Pflanzen, Fantasiefiguren oder geometrische Formen dar.

Die Nazca-Linien erstrecken sich über eine Fläche von rund 620 Quadratkilometer auf der sogenannten Nazca-Pampa. Die Menschen scharrten diese oft kilometergroßen Geoglyphen in den steinigen Wüstenboden. Die Umrisslinien entstanden, indem die Nazca die von dunklem Wüstenlack überzogenen Steine und Krusten entfernten, so dass der hellere Untergrund durchschien.

Dadurch kommt das hellere Sedimentgemisch zum Vorschein und bildet beigegelbe Linien. Foto: Yamagata University/AFP
Teilweise wurden auch Linien markiert, indem Steine aus der Umgebung aufgehäuft wurden (positives Relief). Foto: Yamagata University/AFP

Welchem Zweck dienten die Nazca-Linien?

Im Jahr 1994 erklärte die UN-Kulturorganisation Unesco die Nazca-Linien zum Weltkulturerbe. Doch wozu dienten diese zyklopenhaften Darstellungen? Und warum sind die größten von ihnen nur aus der Luft zu erkennen? Bisher können auch Archäologen darüber nur spekulieren. Einige vermuten, dass gerade die abstrakten Linien eine Kalenderfunktion hatten und nach astronomischen Bezugspunkten ausgerichtet waren.

Die figürlichen Darstellungen könnten hingegen rituellen Zwecken gedient haben, waren aber vielleicht auch einfach nur Kunst. „Es gibt mindestens fünf verschiedene Hypothesen dazu, welchem Zweck die Geoglyphen dienten“, erklären Masato Sakai und seine Kollegen.

Die Schöpfer der Scharrbilder lebten in den Tälern des Río Nazca, Río Palpa und Río Ingenio. Die Pyramidenstadt Cahuáchi soll ein religiöses Zentrum der Nazca-Kultur gewesen sein. Foto: Yamagata University/AFP
Schon der spanische Conquistador Pedro de Cieza de León berichtete in seiner Chronik von Peru (1553) von den Nazca-Linien. Allerdings deutete er sie irrtümlich als Wegmarkierungen. Der spanische Verwaltungsbeamte Luis Monzón, der die Linien im Jahr 1586 ebenfalls erwähnte, hielt sie für Überreste von alten Straßen. Foto: Yamagata University/AFP

Kleine Figuren sind nur schwer zu finden

Gerade die kleineren, figürlichen Nazca-Geoglyphen sind auf der Wüstenfläche nur schwer zu finden. Die Scharrlinien sind zudem über die Jahrhunderte verblasst und heben sich daher selbst in hochauflösenden Luftaufnahmen kaum vom umgebenden Wüstenboden ab. „Es dauerte fast ein Jahrhundert, um 430 figurative Nazca-Geoglyphen zu entdecken“, berichten die Archäologen. Daher fehlt bisher ein Überblick, wie viele von ihnen es gibt und was sie darstellen.

Für ihre Studie haben Sakai und sein Team ein auf die Luftbild-Auswertung spezialisiertes KI-System verwendet. Dieses trainierten sie anhand von Ausschnitten bekannter Nazca-Geoglyphen darauf, die typischen Linien im Wüstenboden zu erkennen.

Die vollständigen Figuren kann man nur aus der Luft erkennen. In diesem Sinne entdeckt wurden die Nazca-Linien erst in den 1920er Jahren oder spätestens in den 1930er Jahren, als regelmäßig Flugzeuge die Nazca-Wüste überflogen. Foto: Yamagata University/AFP
1926 wurden Nazca-Linien erstmals wissenschaftlich beschrieben. In diesem Jahr erforschte Alfred Kroeber bei seiner Peru-Expedition vor allem die Keramik der Nazca-Kultur. Er bemerkte auch die Bodenlinien und beschrieb einige von ihnen. Seine Texte, Fotografien und Zeichnungen, wahrscheinlich die erste Dokumentation der Nazca-Linien, wurden erst 1998 publiziert. Foto: Yamagata University/AFP

Linien- und Relief-Geoglyphen

Für die eigentliche Suche erhielt die KI dann neue, hochauflösende Luftbilder aus dem peruanischen Hochland. Die Fahndung konzentrierte sich dabei auf die kleineren, im Schnitt rund zehn Meter großen Nazca-Geoglyphen vom sogenannten Relieftyp.

„Wir haben 303 neue figürliche Relief-Geoglyphen gefunden und damit die Zahl der zuvor bekannten Geoglyphen dieses Typ fast verdoppelt“, schreiben die Forscher. Zusätzlich entdeckten sie auch 42 neue geometrische Erdbilder. „Dies demonstriert, dass der KI-gestützte Ansatz vor allem die kleineren Geoglyphen des Relieftyps effektiv aufspüren kann. Anders als die riesigen Nazca-Erdbilder vom Linientyp sind gerade sie sehr schwer zu erkennen.“

Ausgehend von ihren bisherigen Überprüfungsergebnissen gehen die Forscher davon aus, dass sie unter den KI-Kandidaten noch mindestens 248 weitere figurative Geoglyphen finden werden.

Ungefähr zur selben Zeit – 1926 oder 1927 – entdeckte der peruanische Archäologe Toribio Mejía Xesspe gerade Linien, Zickzacklinien und Trapeze bei Wanderungen in den umliegenden Hügeln. Foto: Imago/Panthermedia
Durch Forschungen des Deutschen Archäologischen Instituts wurden erstmals Siedlungen, Gräber, Petroglyphen und Geoglyphen der Region systematisch erfasst und einige Fundorte ergraben. Foto: Yamagata University

Was verraten die Geoglyphen über ihren Zweck?

Die Experten entdeckten zudem signifikante Unterschiede zwischen den großen Darstellungen vom Linientyp und den kleineren Figuren vom Relieftyp:

  • Die Linientyp-Geoglyphen zeigen demnach vorwiegend Natur-Motive wie Wildtiere und Pflanzen.
  • Die Relieftyp-Geoglyphen stellen hingegen vornehmlich menschliche Figuren dar, sowie Motive, die in engem Zusammenhang mit dem Menschen stehen wie Lamas und Alpakas.

Ein weiterer Unterschied manifestiert sich sich in der Lage der Erdbilder:

  • Die größeren Figuren vom Linientyp liegen in einem enger begrenzten Bereich des peruanischen Hochlands und sind eng mit den abstrakten Nazca-Linien verbunden.
  • Die kleineren Geoglyphen verteilen sich hingegen über einen großen Bereich und liegen oft nahe an informellen Pfaden.
Das Gebiet war trotz harscher klimatischer Bedingungen von der frühen Formativzeit, ab ca. 1500 v. Chr., bis zum Kontakt mit Spaniern (1532) durchgehend besiedelt. Foto: Imago/Panthermedia
Geoglyphen wurden erstmals in der Paracas-Zeit von 800 bis 200 v. Chr. angelegt, den Höhepunkt erreichten sie in der frühen und mittleren Nasca-Zeit zwischen der Zeitenwende und 450. Ab 600 entstanden keine Geoglyphen mehr. Foto: Imago/Panthermedia

Hatten die Geoglyphen unterschiedliche Funktionen?

Den Archäologen zufolge deutet dies auf unterschiedliche Funktionen im religiösen Leben und in der Kultur der Nazca hin. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass auf den riesigen Erdbildern des Linientyps Rituale durchgeführt wurden, möglicherweise zu Beginn oder zum Abschluss einer Pilgerreise durch die Nazca-Pampa.“ Die abstrakten Linien und großen Figuren wurden dabei wahrscheinlich im Rahmen von großen, überregionalen Zeremonien erstellt und abgegangen.

Auf der Hochfläche fand man zudem Siedlungsbauten, Gräber und kleine Steingebäude unmittelbar an den Linien, in denen Opfergaben niedergelegt waren. Die Ausgräber nennen sie „Tempel“. Zudem wurden Pfostenlöcher gefunden. Foto: Imago/Panthermedia
Nachdem 2020 der Fund eines Scharrbilds einer riesigen Katze („Nazca-Katze“) bekannt gemacht wurde, wurden 2022 ungefähr 170 neue Scharrbilder von einem japanischen Forschungsteam der Universität Yamagata entdeckt. Foto: Imago/Panthermedia
Neben Scharrbildern von Katzen existieren auch Scharrbilder von anderen Tieren (darunter Kamele, Vögel, Schlangen, Killerwale). Foto: Imago/Panthermedia
Heute werden Artefakte mit Drohnen und GPS genau vermessen und erforscht. Foto: Imago/Panthermedia

Die kleineren, weiter verteilten Geoglyphen wurden dagegen eher von lokalen Nazca-Gruppen erschaffen. Sie waren vermutlich primär zum Anschauen, nicht zum Begehen gemacht, wie Sakai und sein Team erklären. Die stark menschenbezogenen Motive könnten nach Angaben der Archäologen darauf hindeuten, dass diese Nazca-Figuren eher der Übermittlung von Informationen oder zur Unterstützung bei lokalen Riten dienten.