Weltberühmte Wüsten-Scharrbilder in PeruHunderte neue Nazca-Figuren mithilfe von KI entdeckt
Markus Brauer/AFP 24.09.2024 - 16:17 Uhr
Archäologen haben mithilfe einer künstlichen Intelligenz 303 zuvor unbekannte Nazca-Figuren im peruanischen Hochland entdeckt. Damit hat sich die Zahl der bekannten figürlichen Nazca-Linien und -Figuren fast verdoppelt. Doch wozu dienten die oft kilometergroßen Erdbilder – Geoglyphen genannt?
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Die rund 2000 Jahre alten Scharrbilder in der Nazca-Wüste im Hochland von Peru sind weltberühmt. Und es gibt deutlich mehr als bisher angenommen. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) haben japanische Forscher nach eigenen Angaben 303 weitere dieser geheimnisvollen Erdzeichnungen entdeckt, was die Zahl der bisher aufgespürten Nazca-Linien fast verdoppelt.
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Vermessung der Geoglyphen mithilfe von KI
„Der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Forschung hat es uns ermöglicht, die Geoglyphen schneller und präziser zu kartieren“, sagt der Archäologe Masato Sakai von der Yamagata Universität bei der Vorstellung der Ergebnisse in der japanischen Botschaft in der peruanischen Hauptstadt Lima.
„Die traditionelle Vermessungsmethode zur visuellen Identifizierung von Geoglyphen anhand hochauflösender Bilder von diesem riesigen Gebiet war langsam.“ Zudem habe es das hohe Risiko gegeben, dass Scharrbilder übersehen werden, so der Forscher.
Bisher waren durch die traditionelle Forschung rund 430 Nazca-Linien bekannt. Ihre Entdeckung zog sich über fast ein Jahrhundert hinweg. Mit Hilfe von KI wurden nun „in sechsmonatiger Feldforschung 303 neue Geoglyphen“ entdeckt, verkünden die japanischen Forscher, deren Ergebnisse in der US-Wissenschaftszeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht worden sind.
Zu den neu entdeckten Figuren gehören demzufolge „riesige Geoglyphen linearen Typs“. Diese stellten „hauptsächlich wilde Tiere“ dar. Es gebe aber auch „Muster, die mit menschlicher Aktivität verbunden sind, darunter Menschen und domestizierte Tiere“.
Die Erdbilder zeigen vorwiegend menschenähnliche Figuren, aber auch abgetrennte Köpfe und Nutztiere wie Lamas. Damit unterscheiden sich diese kleineren Darstellungen in Motiv und Lage deutlich von den größeren, oft abstrakten Nazca-Geoglyphen, wie das Team berichtet.
Bei den Nazca-Linien handelt es sich um Scharrbilder von gewaltigem Ausmaß, die in den sandigen Wüstenboden gekratzt wurden. Sie wurden zwischen 500 v. und 500 n. Chr. von der Nazca-Kultur im Süden des heutigen Perus angelegt und stellen Tiere, stilisierte Pflanzen, Fantasiefiguren oder geometrische Formen dar.
Die Nazca-Linien erstrecken sich über eine Fläche von rund 620 Quadratkilometer auf der sogenannten Nazca-Pampa. Die Menschen scharrten diese oft kilometergroßen Geoglyphen in den steinigen Wüstenboden. Die Umrisslinien entstanden, indem die Nazca die von dunklem Wüstenlack überzogenen Steine und Krusten entfernten, so dass der hellere Untergrund durchschien.
Im Jahr 1994 erklärte die UN-Kulturorganisation Unesco die Nazca-Linien zum Weltkulturerbe. Doch wozu dienten diese zyklopenhaften Darstellungen? Und warum sind die größten von ihnen nur aus der Luft zu erkennen? Bisher können auch Archäologen darüber nur spekulieren. Einige vermuten, dass gerade die abstrakten Linien eine Kalenderfunktion hatten und nach astronomischen Bezugspunkten ausgerichtet waren.
Die figürlichen Darstellungen könnten hingegen rituellen Zwecken gedient haben, waren aber vielleicht auch einfach nur Kunst. „Es gibt mindestens fünf verschiedene Hypothesen dazu, welchem Zweck die Geoglyphen dienten“, erklären Masato Sakai und seine Kollegen.
Kleine Figuren sind nur schwer zu finden
Gerade die kleineren, figürlichen Nazca-Geoglyphen sind auf der Wüstenfläche nur schwer zu finden. Die Scharrlinien sind zudem über die Jahrhunderte verblasst und heben sich daher selbst in hochauflösenden Luftaufnahmen kaum vom umgebenden Wüstenboden ab. „Es dauerte fast ein Jahrhundert, um 430 figurative Nazca-Geoglyphen zu entdecken“, berichten die Archäologen. Daher fehlt bisher ein Überblick, wie viele von ihnen es gibt und was sie darstellen.
Für ihre Studie haben Sakai und sein Team ein auf die Luftbild-Auswertung spezialisiertes KI-System verwendet. Dieses trainierten sie anhand von Ausschnitten bekannter Nazca-Geoglyphen darauf, die typischen Linien im Wüstenboden zu erkennen.
Linien- und Relief-Geoglyphen
Für die eigentliche Suche erhielt die KI dann neue, hochauflösende Luftbilder aus dem peruanischen Hochland. Die Fahndung konzentrierte sich dabei auf die kleineren, im Schnitt rund zehn Meter großen Nazca-Geoglyphen vom sogenannten Relieftyp.
„Wir haben 303 neue figürliche Relief-Geoglyphen gefunden und damit die Zahl der zuvor bekannten Geoglyphen dieses Typ fast verdoppelt“, schreiben die Forscher. Zusätzlich entdeckten sie auch 42 neue geometrische Erdbilder. „Dies demonstriert, dass der KI-gestützte Ansatz vor allem die kleineren Geoglyphen des Relieftyps effektiv aufspüren kann. Anders als die riesigen Nazca-Erdbilder vom Linientyp sind gerade sie sehr schwer zu erkennen.“
Ausgehend von ihren bisherigen Überprüfungsergebnissen gehen die Forscher davon aus, dass sie unter den KI-Kandidaten noch mindestens 248 weitere figurative Geoglyphen finden werden.
Was verraten die Geoglyphen über ihren Zweck?
Die Experten entdeckten zudem signifikante Unterschiede zwischen den großen Darstellungen vom Linientyp und den kleineren Figuren vom Relieftyp:
Die Linientyp-Geoglyphen zeigen demnach vorwiegend Natur-Motive wie Wildtiere und Pflanzen.
Die Relieftyp-Geoglyphen stellen hingegen vornehmlich menschliche Figuren dar, sowie Motive, die in engem Zusammenhang mit dem Menschen stehen wie Lamas und Alpakas.
Ein weiterer Unterschied manifestiert sich sich in der Lage der Erdbilder:
Die größeren Figuren vom Linientyp liegen in einem enger begrenzten Bereich des peruanischen Hochlands und sind eng mit den abstrakten Nazca-Linien verbunden.
Die kleineren Geoglyphen verteilen sich hingegen über einen großen Bereich und liegen oft nahe an informellen Pfaden.
Hatten die Geoglyphen unterschiedliche Funktionen?
Den Archäologen zufolge deutet dies auf unterschiedliche Funktionen im religiösen Leben und in der Kultur der Nazca hin. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass auf den riesigen Erdbildern des Linientyps Rituale durchgeführt wurden, möglicherweise zu Beginn oder zum Abschluss einer Pilgerreise durch die Nazca-Pampa.“ Die abstrakten Linien und großen Figuren wurden dabei wahrscheinlich im Rahmen von großen, überregionalen Zeremonien erstellt und abgegangen.
Die kleineren, weiter verteilten Geoglyphen wurden dagegen eher von lokalen Nazca-Gruppen erschaffen. Sie waren vermutlich primär zum Anschauen, nicht zum Begehen gemacht, wie Sakai und sein Team erklären. Die stark menschenbezogenen Motive könnten nach Angaben der Archäologen darauf hindeuten, dass diese Nazca-Figuren eher der Übermittlung von Informationen oder zur Unterstützung bei lokalen Riten dienten.