Wahlwerbung vor 75 Jahren „Was Hitler Dir versprochen hat, wird Dir die SED geben“

In Südthüringen waren die Verhältnisse verheerend: Die SED war in ganz Deutschland die erste Partei, die sich vormaligen Nationalsozialisten öffnete. Die Ideen waren sich offensichtlich ähnlich, wie eine alte Wahlwerbung aus Sonneberg zeigt.

 
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Sonneberg/Hildburghausen/Meiningen - Zum Gründungsmythos der SED gehört der Kampf gegen den Faschismus. Das ist eine Herausforderung, wenn in den ersten Jahren nach dem Krieg ein großer Teil der Menschen – und manchmal sogar die Mehrheit – im nationalen Sozialismus eine attraktive Idee sah, die doch nur falsch umgesetzt wurde.

In Sonneberg hatte die Nazipartei am Ende der ersten Republik Wahlergebnisse von mehr als 50 Prozent erreicht, in anderen Orten Südthüringens sah es kaum besser aus. Jeder neunte Deutsche war später „Pg“, also NSDAP-Parteigenosse – freiwillig. Um sie warb die neue SED von Anfang an, wie ein Werbebrief der SED-Kreisleitung Sonneberg im Vorfeld der Landtagswahlen im Oktober 1946 zeigt.

„Nomineller Pg., die SED ruft Dich zur Mithilfe am Neuaufbau Deutschlands! Sie ruft Dich dann, wenn Du nicht aus materiell-egoistischen Gründen, sondern aus Überzeugung und Idealismus einstmals zur NSDAP gegangen bist, wenn Du dorthin gingst im Glauben, das Gute, den Sozialismus zu finden. Dann komme zu uns! Denn was Hitler Dir versprochen hat und niemals hielt, das wird Dir die SED geben: Verstaatlichung der Banken, Brechung der Zinsknechtschaft, Zertrümmerung der Konzerne und Truste, Abschaffung des Bildungsprivilegs, Gleichberechtigung aller Schaffenden, Bodenreform, Schutz der friedlichen Entwicklung und des Friedens überhaupt, die SED hat es verwirklicht!

Wenn Du Hitler gefolgt bist, um Deutschland zu dienen, so bist Du unser Mann. Denn die SED ist die einzige Partei, die sich konsequent für ein einheitliches und großes Deutschland einsetzt, für ein Deutschland des Friedens und der Arbeit.“ Unterschrieben haben Georg Klaus und Willi Bunzel, Chefs der SED-Kreisleitung. Wer es nicht glaubt, findet einen Beleg auf www.jugendopposition.de der Bundeszentrale für politische Bildung.

Die SED war im Nachkriegsdeutschland die erste Partei, die sich ehemaligen Nationalsozialisten öffnete. Am 15. Juni 1946 fasste das SED-Zentralsekretariat den neuen grundlegenden Beschluss zur Aufnahme der ehemaligen NSDAP-Mitglieder, soweit sie bei der Entnazifizierung als „Mitläufer“ eingestuft waren. 1954 verschaffte sich die SED-Parteizentrale einen Überblick über die frühere Zugehörigkeit ihrer Parteimitglieder zur NSDAP und deren Gliederungen. Allein im Bezirk Erfurt waren fast 11 000 SED-Genossen vormalige Nazis. Ihr Anteil an der Gesamtmitgliedschaft betrug 15,4 Prozent, womit Erfurt einen Spitzenwert in der DDR-Bezirksstatistik einnahm; im Bezirk Gera lag der Anteil bei 11,3 Prozent, im Bezirk Suhl ebenfalls bei 15,4 Prozent, wie die Historikerin Sandra Meenzen in ihrem Buch „Konsequenter Antifaschismus? Thüringische SED-Sekretäre mit NSDAP-Vergangenheit“ berichtet.

NSDAP-Mann als erster SED-Kreissekretär

Erschütternd ist ein Bericht des Zentralkomitees von 1954: „So gibt es im Kreis Hildburghausen Grundorganisationen, deren Mitglieder fast hundertprozentig ehemals Mitglieder der NSDAP waren, zum Beispiel die Parteiorganisation Vermessungsdienst, dort sind von 19 Mitgliedern 18, die ehemals der NSDAP angehörten.“ In Meiningen befand sich die SED-Kreisleitung im gleichen Gebäude, das zuvor die NSDAP-Kreisleitung besetzt hatte. 1962 bis 1964 war hier ein einstiges NSDAP-Mitglied erster SED-Kreissekretär.

„Eine Überprüfung der Lage in den Grundorganisationen ergab, dass es gegenwärtig dort nicht möglich ist, andere Leitungen zu bilden“, heißt es 1953 in einem SED-Bericht. Der Historiker Armin Mitter sagte dazu im Magazin Der Spiegel: „Die NSDAP stellte geradezu ein Kaderreservoir dar.“ Hinter der antifaschistischen Fassade, so Mitter, wurden „in der DDR NS-Probleme kaum anders verdrängt als in der Bundesrepublik“.

Die letzten freien Wahlen: Die SED erlebt eine Schlappe

In Thüringen galt die SPD der Weimarer Republik als linker als die Sozialdemokraten in anderen Landstrichen. 1923 beteiligte die SPD die Kommunisten sogar für ein paar Monate an der Landesregierung. Diese Kooperationsbereitschaft hat sich nach Ansicht verschiedener Historiker im antifaschistischen Widerstand und auch nach 1945 fortgesetzt.

Vordenker einer Vereinigung in Thüringen war der Sozialdemokrat und ehemalige Buchenwald-Häftling Hermann Brill. Ab Anfang Juni 1945 war er der erste Regierungspräsident des neuen Landes Thüringen. Nur zwei Wochen nach dem Einzug der sowjetischen Besatzungsmacht wurde er aber auf Betreiben Walter Ulbrichts als Regierungspräsident abgesetzt. Ulbricht beglich damit eine offene Rechnung aus dem Jahr 1923, als Brill einen bolschewistischen Putschversuch der KPD in Thüringen verhindert hatte. Brills Vorstellungen über den Neubeginn einer eigenständigen deutschen Arbeiterbewegung kollidierten mit denen der sowjetischen Besatzungsmacht.

Zu den Landtagswahlen im Oktober 1946 erhielt die SED trotz erheblicher Bevorteilung durch die Besatzungsmacht nur rund 49 Prozent der Stimmen. Aber in allen größeren Städten siegten die Liberalen (Erfurt 43 Prozent, Weimar 46 Prozent), die einen Landesdurchschnitt von 25 Prozent erreichten. Es war eine Schlappe für die sowjetischen Besatzer und die von ihnen unterstützte SED – folgerichtig waren es die letzten halbwegs demokratischen Wahlen in der DDR bis 1990.

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