Trauert ein Volk am Volkstrauertag auch um stalinistisch Verfolgte? Ja, wir trauern um sie! Ihnen sind wir es schuldig, dass sie unschuldig um ihre Jugend gebracht und zeitlebens psychischem Druck ausgesetzt waren. In der Bibel, dem Buch der Juden und Christen, steht ein Paulus-Zitat mit sehr treffendem Inhalt: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeder empfange, wonach er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut, oder es sei böse!“
Der Autor dieses Beitrages, Johannes Dieter, ist Pfarrer in Sachsenbrunn.
Oberlind: Zwischen November 1945 und März 1946 wurden durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD aus dem kleinen Ort 27 Jugendliche ab 16 Jahren verhaftet und durch ein Militärtribunal unter Werwolf-Vorwurf zum Tode durch Erschießen oder zu langjährigem Arbeitslager verurteilt; vier Todesurteile wurden vollstreckt. In Lagern oder auf dem Transport in die Sowjetunion starben neun weitere Jugendliche.
Speziallager und Untermaßfeld: In der sowjetischen Besatzungszone wurden insgesamt 10 000 Jugendliche als Werwölfe willkürlich verhaftet. 1950 wurden 1229 Opfer der Militärjustiz nach Untermaßfeld eingeliefert. Es waren größtenteils Jugendliche, die das Speziallager VII in Sachsenhausen überlebt hatten. Viele von ihnen starben in Untermaßfeld an Tuberkulose. Ein Gedenkstein auf dem Meininger Friedhof erinnert an sie.
Sonneberger Schicksal: Tragisch ist das Schicksal der Familie Kempf aus Sonneberg-Köppelsdorf: Drei Töchter kamen bei einem Bombenangriff 1945 um. Der 15-jährige Sohn Ingfried wurde von den Sowjets als vermeintlicher Werwolf verhaftet. Er starb in einem sowjetischen Speziallager. So verlor die Familie als Folge des Krieges in kürzester Frist alle vier Kinder.
Nachwirkungen: Familie Rüger, welche mit dem Bruder die gleichnamige Pension in der Sonneberger Bismarckstraße betrieb, nahm sich das Leben im Zuge der SED-Aktion „Ungeziefer“, bei der rund 12 000 Menschen 1952 Menschen aus dem Grenzgebiet zum Westen ausgesiedelt wurden. Werner Rüger war erst aus der russischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrt und hatten deren Grauen erlebt. Er meinte wie viele andere auch, die Familie würde nach Sibirien verbannt. Bereits 1946 hatten Jugendliche aus Sonneberg in der berüchtigten Werwolf-Aktion dieses Schicksal erlitten. Das wollte er Frau und Sohn ersparen. Er drehte den Gashahn auf.