Bei der Frage, ob Klimaneutralität bis 2030 überhaupt erreichbar ist, zeigt sich in der Wissenschaft viel Skepsis. So kam das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin 2021 in einer Studie im Auftrag des Senats zu der Einschätzung, Klimaneutralität sei in der Hauptstadt nicht vor 2042 zu erreichen. Auch der Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Fritz Reusswig, hält ein klimaneutrales Berlin bis 2030 nicht für machbar.
Allerdings ist er nicht der einzige, der das politische Signal eines erfolgreichen Volksentscheids dennoch für wichtig hielte, damit die Politik beim Thema Klimaschutz schneller in die Gänge kommt. Die wichtigsten Stellschrauben auf dem Weg zur Klimaneutralität sind bekannt: energetischen Sanierung von Gebäuden, fossilfreie Energie- und Wärmeerzeugung, Ausbau des ÖPNV und emissionsfreie Autos vor allem mit E-Antrieb. Nötig wären dafür allein in Berlin Investitionen in zwei- oder dreistelliger Milliardenhöhe - unabhängig vom Jahresziel der Klimaneutralität.
Die Abstimmung findet gerade mal sechs Wochen nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl statt - und mitten in die Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD. Die beiden Parteien wollen in Berlin eine neue schwarz-rote Landesregierung bilden. Sie kündigten an, in den kommenden Jahren mindestens fünf Milliarden Euro für mehr Klimaschutz in der Stadt ausgeben zu wollen. Kritiker hielten beiden Parteien vor, mit der Ankündigung zu den Milliardeninvestitionen dem Volksentscheid den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen.
Ehrgeizigere Klimaziele: Berlin steht nicht alleine da
Berlin würde als Stadt mit ehrgeizigeren Klimazielen nicht alleine dastehen. Nach Angaben des Vereins German Zero visieren in Deutschland etwa 70 Städte von München und Münster das Ziel an, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden. Auch wenn Berlin nicht die erste Stadt sei, die diesen Weg gehe: "Die Hauptstadt kann ein 3,6 Millionen Menschen großer Leuchtturm sein, der zeigt, welche transformative Kraft von Städten ausgeht - und von deren Bürgerinnen und Bürgern", sagt Geschäftsführer Julian Zuber.
Auf europäischer Ebene unterstützt die EU-Kommission 100 Kommunen, die bis 2030 an der "EU-Mission für klimaneutrale und intelligente Städte" teilnehmen. Eine davon ist Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt sieht sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Sie warb sogar lange mit dem Ziel, schon 2025 als erste Hauptstadt der Welt klimaneutral zu sein. Das Ziel musste Oberbürgermeistern Sophie Hæstorp Andersen im vergangenen Sommer jedoch zerknirscht aufgeben. Die Hoffnung ist nun, bis 2030 klimaneutral zu sein.
Andere Kommunen im EU-Programm sind noch nicht soweit. So sind nach Angaben der Umweltorganisation Legambiente Italiens Städte, darunter Rom, noch weit vom Ziel entfernt, bis 2030 klimaneutral zu werden.