Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, hat angesichts der Ausbreitung von H5N1 in den USA das Vogelgrippevirus als möglichen Auslöser für eine kommende Pandemie bezeichnet.
Eines ist sicher: Ein nächstes Mal wird es geben. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schlecht die Menschheit auf globale Erkrankungen vorbereitet ist. Und die gesundheitliche Krisenvorsorge ist weltweit weiterhin mangelhaft, die Möglichkeit neuer, noch verheerenderer Pandemien hoch.
Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, hat angesichts der Ausbreitung von H5N1 in den USA das Vogelgrippevirus als möglichen Auslöser für eine kommende Pandemie bezeichnet.
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H5N1 sei aktuell einer der wichtigsten und gefährlichsten Pandemie-Kandidaten. Der Erreger sei letzter Zeit in Milchviehbeständen in den USA aufgetreten und dort „sogar schon in Milchprodukten im Handel aufgetaucht“, sagt Drosten. „So etwas hat es vorher noch nicht gegeben, solche extrem großen Ausbrüche bei Kühen. Alle Fachleute sind besorgt.“
Das Virus scheine sich bei Kühen einen neuen Infektionsmechanismus erschlossen zu haben. „Im Moment kann man gar nicht abschätzen, was das hinsichtlich der Eindämmung und der potenziellen Gefahr für den Menschen bedeutet.“
Die Ausbreitung der Vogelgrippe unter Säugetieren könne auch „glimpflich ablaufen, das Virus braucht mehrere Schritte zur Anpassung, und vielleicht ist es vorher schon unter Kontrolle“, erklärt Drosten. „Aber es kann auch schon der Anlauf zu einer nächsten Pandemie sein, den wir hier live mitverfolgen.“
Für eine genauere Einschätzung fehle auch eine bessere Dateneinsicht, erläutert der Virologe. „Wir wissen noch nicht, wie häufig sich Menschen infizieren, die mit diesen infizierten Kühen zu tun haben.“
Wünschenswert sei, dass in den USA jetzt entschlossen vorgegangen werde: „Mit Quarantäne. Dass man also versucht, die infizierten Bestände zu isolieren; schaut, wo Menschen Kontakt hatten, ob sie Antikörper im Blut haben. Über bestimmte Hygienemaßnahmen nachdenkt. Und auch darüber, Kühe zu impfen.“
Als weitere mögliche Kandidaten für eine Pandemie nennt Drosten das bei Dromedaren kursierende und auf Menschen übertragbare Mers-Coronavirus, bestimmte Paramyxoviren wie das Nipah-Virus und das Affenpockenvirus.
Erst kürzlich hatte ein Expertenbericht kritisiert, dass die Welt nicht für drohende künftige Pandemien gerüstet sei. „Sollte sich H5N1 von Mensch zu Mensch übertragen, wäre die Welt sehr wahrscheinlich erneut überfordert“, warnte die frühere neuseeländische Premierministerin und Studien-Co-Autorin Helen Clark. Eine Vogelgrippe-Pandemie könnte „potenziell noch katastrophaler sein als Corona“.
Die Vogelgrippe oder Aviäre Influenza wird – ebenso wie die Grippe beim Menschen – durch Influenza-A-Viren hervorgerufen, allerdings durch diverse andere Subtypen. Derzeit grassiert die größte je dokumentierte Vogelgrippewelle, die sich über fast die gesamte Erde erstreckt und auch Europa betrifft.Der Erreger befällt vor allem Vögel, wurde aber auch bei vielen Säugetieren gefunden, darunter Katzen, Bären und Robben. Diese Befunde könnten bedeuten, dass auch Menschen gefährdet sein könnten, so das CDC weiter.
Menschliche Infektionen treten nur vereinzelt auf. Die Symptome reichen nach Angaben der CDC von Augen- oder Atemwegsinfektionen bis hin zu schweren Erkrankungen wie Lungenentzündungen, die zum Tod führen können.„Auf der Grundlage der verfügbaren Informationen schätzt die WHO das derzeitige Risiko für die Allgemeinbevölkerung, das von diesem Virus ausgeht, als gering ein“, teilt die WHO mit.
Laut einer Analyse der unabhängigen Beobachtungsstelle Gesundheits-Krisenvorsorge (Global Preparedness Monitoring Board, GPMB) ist die Welt nur unzureichend auf neue Pandemien vorbereitet. Im Zuge der Corona-Pandemie sei einiges getan worden, hält die GPMB fest. Aber manche Länder hätten ihre Vorkehrungen, um auf ähnliche Krisen schnell reagieren zu können, wieder zurückgefahren und in anderen Staaten gebe es kaum Fortschritte.
Forscher fordern schon seit langem ein globales Frühwarnsystem für Viren aus dem Tierreich. Eine frühzeitige Entdeckung könnte in Zukunft ähnliche Pandemien verhindern, erklärt Stephan Ludwig, Direktor des Instituts für Molekulare Virologie an der Universität Münster. Wichtig sei eine Überwachung von sogenannten Schlüsselevents wie Lebend- oder Wildtiermärkten in Asien.
„Wenn bei Routine-Untersuchungen auf Lebendtiermärkten vermehrt Infektionen gefunden werden, muss sofort die Bremse reingehauen werden, um die schnelle Verbreitung zu stoppen“, betont Ludwig. Ein Frühwarnsystem könnte von der Weltgesundheitsorganisation oder den Vereinten Nationen eingerichtet werden.
Experten des UN-Umweltprogramms (UNEP) und des International Livestock Research Institute (ILRI) warnen davor, dass durch Ausbeutung der Tierwelt und Zerstörung von Ökosystemen immer öfter Tier-Krankheiten auf den Menschen übertragen werden könnten.
Virologe Ludwig verweist auf den Fund von 15 Infizierten 1997 in Hongkong. Damals sei das Vogelgrippe-Virus H5N1 aufgetreten und sofort seien drei Millionen Hühner geschlachtet worden, um die Verbreitung zu stoppen. Zwar sei das Virus Jahre später erneut aufgetreten, aber die erste Aktion sei richtig gewesen.
Ludwig sieht durch die Globalisierung eine steigende Gefahr durch Zoonosen. „Wir können jetzt von einem größeren Risiko reden, denn die Verbreitung hat sich geändert.“ Zoonosen sind von Tier zu Mensch und von Mensch zu Tier übertragbare Infektionskrankheiten, die bei Wirbeltieren natürlicherweise vorkommen.