Unerschrocken Eine Frau mit besonderem Mut

Aufstellung zum Gruppenbild, vorne von links: Stefanie Seiler (OB Speyer), Judith Marquardt (Halle, Beigeordnete), Thomas Kaminski (BM Schmalkalden), Jürgen K. Enninger (Augsburg), Birgit Heimrich (Marburg, Pressesprecherin); hinten von links: Adolf Kessel (OB Worms), Phillip Koban (Heidelberg), Katja Wolf (OB Eisenach), Torsten Zugehör (OBM Wittenberg) und Tobias Knoblich (Beigeordneter Erfurt). Foto: /Michael Bauroth

Die afghanische Frauenrechtlerin Zarifa Ghafari erhält den Preis der Lutherstädte „Das unerschrockene Wort“. Die Verleihung findet am 15. April 2023 in Schmalkalden statt.

 
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Dieses Zusammentreffen von Repräsentanten deutscher Lutherstädte in Schmalkalden erinnerte ein ganz kleines bisschen an längst vergangene glorreiche Zeiten. Als die heutige südthüringische Kleinstadt Dreh- und Angelpunkt der Reformationsbewegung war, Tagungsort des Schmalkaldischen Bundes. Zur glanzvollsten Bundtagung 1537 beispielsweise waren 18 Fürsten und 28 Städteboten nach Schmalkalden gereist, die von 42 Theologen beraten wurden, dazu gesellten sich Gesandte Dänemarks und Frankreichs sowie Beobachter, die Kaiser und Papst entsandt hatten.

So viele Gäste waren es diesmal freilich nicht, die sich drei Tage lang in den Mauern der bald 1150-jährigen Stadt aufhielten, um 485 Jahre nach der Verkündung der „Schmalkaldischen Artikel“ durch Martin Luther einen Menschen zu benennen, der es in seinem Sinne verdient hat, für sein unerschrockenes Wort, für seinen Mut und seine Standhaftigkeit gegenüber den Autoritäten geehrt zu werden.

Erhalten wird den Lutherpreis 2023 die afghanische Frauenrechtlerin Zarifa Ghafari. Das hat die Jury bei ihrer Tagung im historischen Ratssaal entschieden. Einstimmig, wie Bürgermeister Thomas Kaminski und sein Wormser Amtskollege, Oberbürgermeister Adolf Kessel, nach der zweistündigen „sehr guten und konstruktiven“ Beratung mitteilten. Alle fünf Nominierten hätten den Preis verdient, betonte Kaminski. Ausschlaggebend für die Entscheidung sei auch gewesen, das die 30-jährige Frau „als eine von uns“ ganz besondere Sympathie und Solidarität genießt. Zarifa Ghafari amtierte von 2018 bis 2021 als erste weibliche Bürgermeisterin in der Provinz Maidan Wardak.

Mit dem Preis, sagen Kaminski und Kessler, ehren die Lutherstädte das furchtlose und engagierte Wirken der jungen Frau. Unter für Deutschland unvorstellbaren Bedingungen. Am ersten Arbeitstag im Juli 2018 beispielsweise verbarrikadierten Männer ihren Amtssitz. Ein Mob, bewaffnet mit Steinen und Stöcken, bedrohte sie. Erst im Frühjahr 2019 konnte Ghafari als Bürgermeisterin vereidigt werden; aus Sicherheitsgründen lebte sie nicht in der von ihr regierten Stadt, sondern in Kabul. Ihre Geschichte hatte die Tochter eines Soldaten und einer Physikerin daraufhin in den sozialen Netzwerken bekannt gemacht. Zarifa Ghafari setzte sich vor allem für den Schutz und die Rechte afghanischer Frauen ein, teilte öffentliche Informationen und Wissen zwischen dem Staat und dem Volk. Sie investierte in den Mediensektor und gründete mit PEGHAL FM-Radio in Maidan Wardak einen Radiosender. Als Bürgermeisterin eröffnete sie einen Markt nur für Frauen in Maidan Shahr, schuf so Arbeitsplätze für Frauen. Nicht einmal drei Jahre blieben ihr für diese Aufbauarbeit vergönnt.

Nach der Machtergreifung der Taliban im Sommer 2021 konnte Ghafari in letzte Minute mit ihrer Familie nach Deutschland fliehen. Von hier aus erhebt die intellektuelle, aufgeklärte junge Frau weiterhin ihre Stimme für die Menschenrechte in Afghanistan und in der Welt.

Mit der Wahl der Preisträgerin wollen die Lutherstädte somit auch den Blick auf das Afghanistan der Taliban schärfen. Die Zustände in diesem Land, in dem so viele Menschen wie Zarifa Ghafari für ein freiheitliches demokratisches Gemeinwesen gekämpft haben, müssen mehr Beachtung finden, formulierte Thomas Kaminski. „In einem freiheitlich demokratischen Gemeinwesen gehört das freie Wort zu den wichtigsten konstruktiven Elementen“, zitierte Worms Oberbürgermeister aus der Präambel des Statuts für den Preis „Das unerschrockene Wort“.

Zarifa Ghafari nimmt den Preis mit großer Freude und Dank entgegen, wie sie der Stadtverwaltung Schmalkalden per E-Mail mitteilte. Die Fachwerk- und Hochschulstadt wird auch die öffentliche Verleihung am 15. April nächsten Jahres ausrichten. Höchstwahrscheinlich in der Stadtkirche St. Georg. An dem Ort, an dem Martin Luther 1537 predigte.

Adolf Kessel freut sich schon auf seinen zweiten Besuch in der Fachwerkstadt. Diese habe ihn positiv überrascht, sagte er unserer Zeitung. Einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat vor allem Museumsdirektor Kai Lehman mit seiner Führung durch die Dauerausstellung im Museum Schloss Wilhelmsburg. Die Antwort auf die Frage des Oberbürgermeisters, warum Worms nicht Mitglied im Schmalkaldischen Bund war, kann der Historiker jetzt nachreichen: Worms, wo sich Martin Luther 1521 vor dem Reichstag weigerte, seine Schriften zu widerrufen, gehörte zu dem Zeitpunkt zum Bistum Speyer – und damit nicht zum Bund. Auch wenn die lutherische Lehre im Rat der Freien Reichsstadt überwog.

Wer mehr über die Preisträgerin„Das unerschrockene Wort“ erfahren möchte, dem sei ihr Buch „Zarifa - Afghanistan, Meine Heimat. Meine Geschichte“ empfohlen. Es ist am 8. September dieses Jahres in erster Auflage erschienen.

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