Ukrainische Studenten „Ich bete nicht für Frieden,ich bete für den Sieg“

Susann Eberlein
Viktoria Berezka und Yurii Gromyk studieren an der Hochschule Schmalkalden. Foto: Susann Eberlein

Viktoria Berezka und Yurii Gromyk studieren an der Hochschule Schmalkalden. Von hier versuchen die Ukrainer, ihr Heimatland zu unterstützen.

 
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Worte zu finden, fällt Viktoria Berezka schwer. Auf Deutsch, auf Englisch, und sogar auf ihrer Muttersprache Ukrainisch. Ihr Heimatland befindet sich im Krieg. Sie ist über 1000 Kilometer entfernt von ihren Eltern, im Gefühlswirrwarr zwischen Angst, Trauer und Wut, zwischen Hoffnungslosigkeit und Tatendrang. „Am Anfang habe ich den ganzen Tag geweint. Ich habe mich schuldig gefühlt, dass ich hier bin. In Sicherheit. Aber ich habe verstanden, dass es meinen Eltern damit besser geht“, sagt die 24-Jährige.

Sie kommt aus Kiew. Seit Herbst studiert sie International Business and Economics an der Hochschule Schmalkalden, will nach zwei Jahren ihren Masterabschluss in der Tasche haben. Aktuell sind Semesterferien, die Vorlesungen starten im April. „Ich kann mir momentan nicht vorstellen, wie ich mich darauf konzentrieren soll“, sagt sie.

Ihre Gedanken sind in ihrer Heimat, die seit 24. Februar unter Beschuss steht. Und trotzdem – oder gerade deswegen – möchte sie ihre Geschichte erzählen, ihrem Land eine Stimme geben. Wie Yurii Gromyk. Der 22-Jährige aus Ternopil studiert Informatik. Er lebt bereits seit drei Jahren in Thüringen. „Wir müssen irgendetwas tun, irgendwie helfen“, befinden sie. Yurii geht seinem Job als Werksstudent nach, spendet das Geld an die Armee und an Hilfsprojekte für Menschen, die flüchten müssen. Viktoria hat gegen den Krieg demonstriert, Sachspenden sortiert und sich einem Hilfskonvoi an die Grenze angeschlossen. Sie arbeitet ehrenamtlich für das Online-Medium Svidomi, das auf Twitter Infos über die Ereignisse im Land verbreitet. Auch um russischer Propaganda im Netz entgegenzutreten.

Rund 20 Studierende aus der Ukraine besuchten im Wintersemester 2021/22 Vorlesungen an der Hochschule Schmalkalden, über alle Fakultäten hinweg. Manche blieben für ein Semester, andere absolvieren ein Teil oder das komplette Studium in Deutschland. Mit einem Visum dürfen sie sich frei bewegen, müssen sich nicht an- und abmelden. Eine Übersicht, welche Studierende wo sind, ist deswegen schwer. „Wir gehen davon aus, dass sieben Studierende in Schmalkalden sind“, sagt der Dezernatsleiter Studium und Internationales, Marcus Hornung.

Deutsche Studierende der Hochschule Schmalkalden sind derzeit weder in der Ukraine noch in Russland. „Die Mobilität war pandemiebedingt noch gering. Und die Länder zählten auch nicht zu den nachgefragtesten“, sagt Marcus Hornung.

Die Betroffenheit ob der Eskalation des seit 2014 dauernden Krieges in der Ukraine ist groß. „Die Hochschule Schmalkalden verurteilt den russischen Angriff auf die Ukraine scharf. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein souveränes demokratisches Land mitten in Europa militärisch angegriffen wird. Wir sorgen uns um das Leben der Menschen in der Ukraine, vor allem aber auch um die Mitarbeitenden und Studierenden unserer Partnerhochschulen“, sagte Präsident Gundolf Baier kurz nach der Invasion am 24. Februar. Die Hochschule pflegt Kooperationen mit fünf Partnerhochschulen in der Ukraine, darunter die Taras Schevchenko University in Kiew und die Ivan Puluj Technical National University in Ternopil.

Für die Kooperationen ist das Dezernat Studium und Internationales verantwortlich. Und das hat gerade jede Menge zu tun. „Der Beratungsbedarf ist hoch. Für Studierende, die bereits in Schmalkalden studieren und in der Ukraine waren, als sie der Krieg überraschte. Und für die Studierende, die zum Sommersemester mobil werden wollten“, sagt Marcus Hornung. Ein Problem: Vor dem Angriff konnten Studierende kein Visum beantragen, weil die Botschaft nicht wie üblich arbeitete. Seit dem Angriff dürfen Männer zwischen 18 und 60 Jahren nicht ausreisen. Die, die in Deutschland studieren wollten, müssen jetzt ihr Land verteidigen.

Ob sie in nächster Zeit nach Schmalkalden kommen können? Fraglich. Die Hochschule will flexibel agieren. „Sie können kommen, wann sie wollen. Und wenn es erst in zwei Monaten, mitten im Semester ist“, sagt Marcus Hornung.

Yurii Gromyk wollte seine Familie Anfang diese Monats besuchen. Er blieb in Deutschland. „Ich versuche, mit meinen Freunden in Kontakt zu bleiben, sie zu supporten. Auch wenn das nur eine kleine Hilfe ist“, sagt der junge Mann, der keine militärische Ausbildung hat. „Ich hätte nicht die Kraft, zur Waffe zu greifen. Ich könnte in Kiew nicht helfen. Aber ich kann versuchen, von hier aus für mein Land zu kämpfen“, sagt Viktoria Berezka.

Sie hatte ihre Prüfungen früh abgehakt und war in ihrer Heimat, eine Woche bevor die ersten Bomben flogen. „Als ich dort war, wurde schon überall darüber gesprochen. Ich habe Artikel gelesen, Analysen über die Armeen, aber ich habe eine Invasion nicht für möglich gehalten. Bis zuletzt nicht, als ich aufgewacht bin und 50 Nachrichten im Freunde-Chat hatte, die von Bomben in der Nacht berichteten“, sagt sie. „Wenn Russland dein Nachbar ist, muss man mit allem rechnen. Aber niemand hat geahnt, dass sie uns von allen Seiten angreift“, sagt Yurii.

Mit dem Angriff auf die Ukraine war die Verwirrung um den Umgang mit Studierenden aus Russland groß. „Die Lagebewertung des Deutschen Akademischen Austauschdienst hat sich im Tagesrhythmus geändert“, sagt Marcus Hornung. Alle Kooperationen sollten zunächst auf Eis gelegt, alle Förderungen gestrichen werden, für deutsche Studierende, die nach Russland und russische Studierende, die nach Deutschland wollten.

An der Hochschule Schmalkalden hat das eine Studentin aus St. Petersburg betroffen, die im Sommersemester in die Fachwerkstadt kommen will, ihren Aufenthalt nun aber nicht mehr finanziert bekommt. „Als Zuwendungsgeber kann der DAAD seine Regeln festlegen und bestimmen, keine Lehre und Forschung mit Russland unterstützen zu wollen. Er kann aber nicht sagen, dass russische Studierende grundsätzlich nicht nach Deutschland kommen können“, erklärt der Dezernatsleiter.

Hochschulbildung ist Ländersache, die Hochschulen in Thüringen sind größtenteils autonom. „Wir stehen im Austausch. Letztlich entscheidet aber jede Hochschule vor dem Hintergrund der eigenen russischen Netzwerkausprägung selbst“, sagt Hornung. Er spricht sich für eine Förderung der Russin, gegen eine Mitverurteilung aus. Gerade weil sie im Westen Europas studieren möchte, könne sie nicht als Regimevertreter angesehen werden. „Eventuell ist sie sogar ganz explizit gegen den Krieg“, sagt er.

Ganz aktuell versteht sich die Hochschule Schmalkalden als Zufluchtsort für Studierende aus der Ukraine. „Wir bieten ihnen hier einen Rückzugsraum in Sicherheit. Der Studierendenrat hat eine Spendenaktion auf die Beine gestellt. Und wir können dazu beitragen, Signale zu setzen und Awareness zu schaffen auf dem Campus“, sagt Hornung.

Am 16. Februar ist Viktoria Berezka nach Schmalkalden zurückgekehrt. Mittlerweile hat sie ihre minderjährige Schwester zu sich geholt. Sie besucht die neunte Klasse, steht kurz vor wichtigen Schulprüfungen. „Sie durfte die Grenze nicht allein übertreten. Deswegen bin ich in die Ukraine gefahren und habe mich mit ihr in die Schlange gestellt. Ich konnte meinen Vater für zwei Stunden sehen, bevor er zurück zu meiner Mutter nach Kiew gefahren ist. Das waren die schlimmsten zwei Stunden meines Lebens.“

Auch Yuriis Schwester ist in Schmalkalden. Die Kinder sollen registriert werden, um Hilfe zu bekommen und die Eltern in der Heimat finanziell zu entlasten. Viktoria sucht einen Job und ein Stipendium. Sie gehen erste Schritte in einen neuen Alltag, ohne die Nachrichten aus den Augen zu verlieren, die Ansprachen von Selenskyj und auch die von Putin. „Russland hat uns immer als ein Teil von sich verstanden. Aber wir verstehen uns als Teil Europas“, sagt Yurii.

Er betont, wie nah der Krieg in der Ukraine auch an Deutschland ist, berichtet von zerstörten Häuser und getöteten Zivilisten, den mehr als 100 Kindern, die bereits Opfer wurden. „Europa und die USA helfen, aber es ist nicht genug. Am Mittwoch wurde ein Theater in Mariupol bombardiert, in dem sich 1000 Menschen versteckt haben. Es ist zu spät, um zu erwarten, dass Diplomatie allein helfen wird“, sagt er. Viktoria nickt. „Ich bete nicht für Frieden“, sagt sie, „ich bete für den Sieg.“

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