Trommsdorff-Ausstellung Apotheker mit Hang zur Schokolade

Michael Plote
Gläser mit Wirkstoffen und Arzneien: Ohne die geht es nicht einer Ausstellung über den einflussreichen Thüringer Pharmazeuten Johann B. Trommsdorff im Stadtm Foto: /ari

Als Apotheker und Pharmazie-Modernisierer ist sein Einfluss bis heute wirksam, in seiner Thüringer Heimat ist er vielen unbekannt. Im Erfurter Stadtmuseum ist nun eine sehenswerte Schau über Johann Trommsdorff zu seinem 250. Geburtstag endlich zu sehen – und auch zu schmecken.

 
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Wann wird es besser?“ Die Frage stellt am 13. Julius 1815 die Neue Allgemeine Zeitung in Erfurt. Das ist eine Zeit des Aufbruchs in die Moderne. Ein Antreiber und Akteur mittendrin in dieser atemberaubenden, globalen Entwicklung ist der angesehene Erfurter Bürger Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770–1837). Der zu seiner Zeit international renommierte Wissenschaftler, Unternehmer und Visionär ist heute ein bekannter Unbekannter in der Stadt. Die sehr informative und sehenswerte Ausstellung, kuratiert von Hardy Eidam und Gudrun Noll-Reinhardt, gestaltet von Ole Bechert, schafft ein öffentliches Podium und hoffentlich große Aufmerksamkeit für eine herausragende Persönlichkeit der Moderne in Europa.

Der faksimilierte und auf einer Panoramawand stark vergrößerte Zeitungsausschnitt mit der Eingangsfrage eröffnet den Rundgang im modernisierten und gut klimatisierten Sonderausstellungsbereich des Stadtmuseums. Das ist die zeitgeschichtliche Folie, vor der Trommsdorff den Aufbruch in die Moderne mitgestaltet und vorantreibt. 1802 endet die kurmainzische Herrschaft in Erfurt, der Übergang zu Preußen beginnt, unterbrochen durch die „Franzosenzeit“ 1806 bis 1814 vor dem endgültigen Anschluss an Preußen. Erfurt wird im 19. Jahrhundert eine moderne Industriestadt.

Der 250. Geburtstag von Trommsdorff stiftet den simplen Anlass der Ausstellung. Sie zeichnet in sechs Kapiteln ein facettenreiches und mit rund 130 Objekten anschauliches Porträt des Wissenschaftlers, Unternehmers und Visionärs. Ein Glücksfall für die Ausstellungsmacher war der freie Zugang zum privaten Familienarchiv Trommsdorff in der Schweiz mit wertvollen Informationen und bisher öffentlich nicht gezeigten Dokumenten, Objekten und anderen Leihgaben.

Der Sohn eines Medizin-Professors und Erfurter Apothekenbesitzers verlässt mit 13 Jahren, nach dem frühen Tod des Vaters, die Schule, macht eine Ausbildung als Apotheker in Weimar. Er widmet sich im Selbststudium der Mathematik und Fremdsprachen, geht auf Wanderschaft und übernimmt 1790 die hoch verschuldete Erfurter Apotheke. Ein sehr sehenswertes Unikat in der Ausstellung ist das Tablett aus Meißner Porzellan mit Ansichten der Weimarer und Erfurter Apotheke zum fünzigsten Berufsjubiläum von Trommsdorff 1834.

Als Forscher und Praktiker beeindruckt Trommsdorff, der mit 24 Jahren seinen ersten Doktortitel erwirbt und mit 25 Jahren zum außerordentlichen Professor der Chemie an der Universität Erfurt ernannt wird. Er befasst sich mit Wasseranalysen, die national und international nachgefragt werden, mit dem Einsatz von Färberwaid, er optimiert die Rübenzuckergewinnung und macht sich um die einheimische Opiumherstellung verdient.

Trommsdorff wird zu einem Wegbereiter der modernen Agrikulturchemie. Die Ausstellung illustriert das mit Urkunden und Dokumenten, mit einem Laboratorium aus historischen Gefäßen und Geräten. Hörstationen ergänzen das Gesehene. Oft werden historische mit aktuellen Fakten verknüpft, zum Beispiel zur Situation von Apotheken.

Thüringen gilt als Keimzelle der modernen wissenschaftlichen Ausbildung von Apothekern. Trommsdorff gründet 1795 in Erfurt die chemisch physikalische und pharmazeutische Pensionsanstalt für Jünglinge, er wird zum Wegbereiter des akademischen Studiums der Pharmazie. Der Lehrplan an seinem Institut und die heutige Ausbildung sind gleichermaßen anspruchsvoll und vielseitig, wie ein Vergleich belegt. Trommsdorff publiziert, korrespondiert und pflegt internationale Kontakte. Er ist Mitglied und Ehrenmitglied in 49 europäischen Akademien. Zum bereits erwähnten 50. Berufsjubiläum treffen sich im Oktober 1834 in Erfurt über 800 Wissenschaftler und Freunde aus Europa, um ihn zu feiern und zu ehren. Diplome, Urkunden, Dokumente, Pokale, Medaillen und Kuriosa wie eine Tabatiere von Zar Alexander vermitteln anschaulich und emotional, welche große nationale und internationale Wertschätzung Trommsdorff genießt.

Als Unternehmer ist Trommsdorff außerordentlich erfolgreich. Bereits 1797 beginnt er im großen Stil mit der Fabrikation von Pfefferminzöl. Mit der selbst gefertigten Moos-Schokolade mit isländischer Flechte erzielt er sehr gute Gewinne. Für die Ausstellung ist diese Schokolade mit einem angepassten Rezept hergestellt worden.

Eine Reiseapotheke als Vorbild der chemischen Probierkabinette, von Trommsdorff entwickelt, nimmt Alexander von Humboldt mit auf seine Forschungsreisen. Ein herausragendes Schaustück ist der Toilettenkasten, heute würde man Schminkkasten sagen, von Kaiserin Joséphine, der Frau Napoleons. Trommsdorffs innovative Produkte verkaufen sich sehr gut.

Kurz gestreift wird die Gründung einer pharmazeutisch-chemischen Fabrik in Erfurt durch Trommsdorffs Sohn Hermann 1842. Der größte Teil der Erfurter Produktpalette geht 1892 an die Firma E. Merck in Darmstadt, heute ein global agierender und erfolgreicher Pharmakonzern. Der Visionär und Humanist Trommsdorff setzt sich für eine kostenlose medizinische Versorgung inklusive kostenloser Medikamente für die Menschen ein. Er unterstützt Wilhelm Arnoldi bei der Gründung der ersten Deutschen Lebensversicherungsanstalt in Gotha.

Im Epilog der Ausstellung wird ein historischer Brückenschlag gewagt: „Erfurt im Ausnahmezustand 1831 / 2020“. Vor knapp 200 Jahren eine Cholera-, heute eine Corona-Pandemie. Wie zu Trommsdorffs Zeiten ist das für die Bürger mit Isolation, Quarantäne und Reisebeschränkungen verbunden.

Die Sonderausstellung sollte schon am 1. Dezember 2020 starten und ist nach erzwungener Pandemiepause seit dieser Woche geöffnet. Sie wird nun bis ins nächste Jahr verlängert, damit das Publikum endlich diesen herausragenden Wissenschaftler, Unternehmer und Humanisten Johann Bartholomäus Trommsdorff kennenlernen kann, der noch heute in die Welt ausstrahlt.

„Wann wird es besser?“ „In der nächsten Generation“, lautet 1815 die Antwort in der Zeitung. Und heute? Das ist spekulativ.

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