Der gesamte Boden ist mit einer dicken, etwa 15 Zentimeter hohen, Schicht Stroh ausgelegt, was den Tieren den Namen gibt. Als der Schmalkalder Marketingmitarbeiter und die Videofilmer in den Stall kommen, werden sie sogleich neugierig beäugt. Die Schweine laufen auf die Menschen zu, schnüffeln und knabbern an Hosen und Schuhen. Nach kurzer Zeit schon lassen sie sich berühren. Im Außenbereich das gleiche Spiel. Sobald sich Menschen nähern, kommen die Schweine ans Absperrgitter, stecken ihre mit Stroh bekleckerten Rüssel durch den Zaun. Ein Schwein hat eine bessere Beschäftigung gefunden. Eine Metallkette, die zum Sichern der Absperrung dient, wird immer wieder von ihm angestubst. Die Töne, die dabei entstehen, scheinen dem Tier zu gefallen.
75 Prozent teurer als Stufe 1
„Es sollen noch mehr Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden“, hat Felix Fischer erfahren. Doch auch jetzt schon erfüllt der neue Stall – von dem eine Hälfte schon fertig ist und die andere in Kürze in Betrieb genommen wird – den Tierwohl-Anforderungen der höchsten Haltungsform. Was sich zunächst wie ein Widerspruch anhört, ist keiner: Im alten Stall wurden 700 Schweine gemästet, „auch schon auf Stroh“, sagt Müller. Wenn der umgebaute voll ist, können etwa 1100 Schweine auf die zur Schlachtung angepeilten 120 Kilogramm Gewicht aufgezogen werden. „Weil durch die überdachte Außenfläche viel mehr Quadratmeter dazugekommen sind“, erklärt der Agrarfachmann. Und es seien trotzdem noch die vorgeschriebenen ca. 1,5 Quadratmeter pro Tier erfüllt. Die Abnahme des Stalls stehe noch aus. Erst dann wissen die Abtsbessinger Landwirte, die Minimum in der Haltungsstufe 2 produzieren, ob sie für den neuen Stall die Stufe 3 oder, wie angestrebt, 4 bekommen.
Der Abnehmer ihrer Schweine, die Fleisch- und Wurstwaren GmbH aus Schmalkalden, zahlt der Agrargenossenschaft einen Festpreis fürs Kilo, sodass der Erzeuger unabhängig von den Schwankungen des Fleischmarktes Planungssicherheit hat. „Der Aufpreis zwischen Haltungsstufe 1 und den Strohschweinen ist natürlich abhängig vom Marktpreis. Momentan sind unsere Strohschweine im Einkaufspreis 75 Prozent teurer als Haltungsstufe 1. Wir garantieren unseren Bauern aber den Festpreis, der sich nicht am Marktpreis orientiert“, stellt Felix Fischer heraus.
Mehrmals am Tag wird im Innen- und Außenbereich des Stalls kontrolliert, ob die Tränken und die Leitungen, in denen das Futter läuft, nicht verstopft und die Futtersilos gefüllt sind oder das Stroh gewechselt werden muss. „Verletzte oder kranke Tiere werden rausgenommen und separiert“, sagt Florian Müller.
Normalerweise dauert es zwei bis zweieinhalb Monate, bis die Schweine, die mit 60 Kilo angeliefert werden, ihr Schlachtgewicht erreichen. In der konventionellen Mast werden Schweine mit 25 bis 30 Kilogramm Gewicht angeliefert und in vier Monaten auf 120 gemästet.
„Wie viel länger das jetzt dauert, wissen wir noch nicht, denn die Tiere sind ja viel vitaler, weil sie sich ständig bewegen können“, erklärt Müller. Er und seine 15 Mitarbeiter sind jedenfalls „jetzt viel zufriedener“, wenn sie die Schweine im neuen Stall sehen. Stressfrei werden die Tiere dann auch auf die Lkw geladen, „die zentrale Verladerampe ist ebenerdig angelegt“.
Ende November werden die ersten Strohschweine aus Abtsbessingen zum Schlachthof nach Schmalkalden gefahren. Anfang Dezember liegen dann Schnitzel und Schweinehaxen der Marke „Strohgut“ in den Theken der 36 Filialen im gesamten Südthüringer Raum – nach etwa einem Jahr Planung und Vorlaufzeit. Einige Verkäuferinnen haben das Angebot der Geschäftsleitung genutzt und sind nach Abtsbessingen gefahren, um zu sehen, wie die Schweine groß werden, deren Fleisch sie dann unter der Marke „Strohgut“ verkaufen sollen.
Die Schmalkalder verarbeiten darüber hinaus Fleisch für Handelsketten und Gastronomie. „Sämtliche Schweine stammen zu hundert Prozent aus Thüringen. Alle sind tierwohlzertifiziert und haben mindestens Haltungsstufe 2“, erklärt Felix Fischer. Ab Dezember werden ca. 35 Prozent der zerlegten Schweine aus Strohschweinhaltung stammen. Dieser Anteil soll kontinuierlich ausgebaut werden. „Unser ehrgeiziges Ziel ist es, zunächst unser Frischfleischsortiment und anschließend auch unser Wurstsortiment in den Filialen weitestgehend auf Strohschweinhaltung umzustellen.“
Als eine der letzten Fleischereien in Thüringen schlachtet das Schmalkalder Unternehmen noch selbst. „Die meisten Metzgereien kaufen das verarbeitete Fleisch zu“, sagt Fischer.
Das etwa 300 Mitarbeiter beschäftigende Unternehmen Thüringer Landstolz kaufe lediglich gezielt Schweinefleisch für gewisse Artikel zu, wenn die Mengen aus der eigenen Produktion nicht ausreichten. „Wir kaufen ausschließlich deutsches und QS-zertifiziertes Schweinefleisch zu. Unsere hohen Zertifizierungsstandards, wie IFS, QS und Tierwohl, erlauben es uns, die Herkunft jedes einzelnen Stücks Fleisch zurückzuverfolgen und nachzuvollziehen, wie die Tiere gehalten werden. Dies können kleine, nicht zertifizierte Metzger nicht leisten“, sagt Fischer.
Tierwohl
Ziel des staatlichen Tierwohlkennzeichens ist es, dem Verbraucher sichtbar zu machen, bei welchen Produkten höhere als die gesetzlichen Standards bei der Haltung, dem Transport und der Schlachtung von Tieren eingehalten wurden. Kriterien des staatlichen Tierwohlkennzeichens für die Schweinehaltung sind: Platz, organisches Beschäftigungsmaterial, Buchtenstrukturierung, Nestbaumaterial, Säugephase Schwanzkupieren, Ferkelkastration, Tränkwasser, Eigenkontrolle mit Stallklima- und Tränkwassercheck,
Tierschutzfortbildung, Erfassung von Tierschutzindikatoren, Transport zum Schlachthof, Schlachtung.