Landstolz setzt auf Tierwohl Wo Schweine im Stroh wühlen können

Thüringer Landstolz geht in Sachen Tierwohl weiter voran. Ab Dezember soll das gesamte Frischfleisch vom Schwein, das in den Filialen verkauft wird, ausschließlich von Tieren der höchsten Haltungsform stammen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Schmalkalden/Abtsbessingen - Die Chefs der Agrargenossenschaft Abtsbessingen im Kyffhäuserkreis vertrauen Felix Fischer. Der junge Mann ist seit Kurzem im Marketing der Fleisch- und Wurstwaren Schmalkalden GmbH tätig und kennt die Mitarbeiter schon, die sich um die Schweine im neuen Stall der ehemaligen LPG kümmern. Er ist an diesem Tag, wie schon ein paar Mal zuvor, die eineinhalb Stunden Richtung Thüringer Norden gefahren. Dieses Mal, um sich mit Kai Rimbach von der Firma „Bildstreifen“ aus Bad Liebenstein zu treffen. Der dreht dort Videoclips. Fotos hat er schon eine Woche zuvor gemacht, doch weil genau an dem Tag Sturm „Ignatz“ wütete, konnte er keine Außenaufnahmen vom Schweinestall drehen und die Drohne nicht starten. „Kai produziert in unserem Auftrag Fotos und Videos für die Website, Plakate, Infomaterial und andere Marketingformate“, erklärt Felix Fischer.

Nach der Werbung weiter lesen

Denn es gibt Neuigkeiten, auf die der alteingesessene Schmalkalder Fleisch- und Wurstproduzent stolz ist: „Ab Dezember wird unser gesamtes Frischfleisch vom Schwein in unseren Theken in den Filialen zu einhundert Prozent vom Strohschwein sein.“ Der Begriff Strohschwein wird auch von anderen Anbietern, etwa Handelsketten, beworben. Allerdings mit eigenen Marken. Die Schmalkalder haben ihrem Qualitätsfleischprogramm den Namen „Strohgut“ gegeben. Damit wolle man „einen weiteren großen Schritt zur Verbesserung der Produkte, der Verpflichtung zum Tierwohl sowie zur regionalen Nachhaltigkeit gehen“.

Die Partnerschaft mit der Agrargenossenschaft Abtsbessingen wurde 2021 neu gestartet. „Wir waren zunächst in der Region Schmalkalden-Meiningen auf der Suche nach einem Partner für unsere Strohschweine, wurden aber leider nicht fündig, da hier traditionell eine Rinderregion ist“, erzählt Fischer.

Das Thüringer Becken sei für Schweinehaltung besser geeignet, da dort auch die Futtermittel direkt angebaut werden können, was in unseren Breiten landwirtschaftlich nicht möglich sei. Das bestätigt Florian Müller. Der stellvertretende Standortleiter der Agrargenossenschaft wirkt zufrieden, als er sein Interview gibt und dabei auf die Schweine schaut, die sich trotz der Kälte im Außenbereich tummeln: „Wir füttern unser eigenes Getreidegemisch, dem minimal Kraftfutter zugesetzt wird, und auch das Stroh kommt natürlich von uns. Alles andere macht ja keinen Sinn.“ Die Agrargenossenschaft hat die Zeichen der Zeit erkannt – weg von der konventionellen Mast hin zu mehr Tierwohl. Und hat deshalb zunächst einen ihrer Schweinemastställe komplett umgebaut. „Wir streben die Einstufung in Haltungsform 4 an“, sagt Müller. Im September kamen die ersten Schweine in den umgebauten Stall, in dem es mehrere Bereiche gibt. Jeder hat eine eigene Klappe, durch die die Tiere in den Außenbereich laufen können. Dort gibt es Futterautomaten und Trinkstellen. „Die Schweine können selbstständig vom Innen- in den Außenbereich laufen, sich hinlegen, wo sie wollen, und fressen, wann und wie viel sie wollen“, erklärt Florian Müller. Das Futter läuft automatisiert aus einem Silo zu den Futterautomaten.

Der gesamte Boden ist mit einer dicken, etwa 15 Zentimeter hohen, Schicht Stroh ausgelegt, was den Tieren den Namen gibt. Als der Schmalkalder Marketingmitarbeiter und die Videofilmer in den Stall kommen, werden sie sogleich neugierig beäugt. Die Schweine laufen auf die Menschen zu, schnüffeln und knabbern an Hosen und Schuhen. Nach kurzer Zeit schon lassen sie sich berühren. Im Außenbereich das gleiche Spiel. Sobald sich Menschen nähern, kommen die Schweine ans Absperrgitter, stecken ihre mit Stroh bekleckerten Rüssel durch den Zaun. Ein Schwein hat eine bessere Beschäftigung gefunden. Eine Metallkette, die zum Sichern der Absperrung dient, wird immer wieder von ihm angestubst. Die Töne, die dabei entstehen, scheinen dem Tier zu gefallen.

75 Prozent teurer als Stufe 1

„Es sollen noch mehr Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden“, hat Felix Fischer erfahren. Doch auch jetzt schon erfüllt der neue Stall – von dem eine Hälfte schon fertig ist und die andere in Kürze in Betrieb genommen wird – den Tierwohl-Anforderungen der höchsten Haltungsform. Was sich zunächst wie ein Widerspruch anhört, ist keiner: Im alten Stall wurden 700 Schweine gemästet, „auch schon auf Stroh“, sagt Müller. Wenn der umgebaute voll ist, können etwa 1100 Schweine auf die zur Schlachtung angepeilten 120 Kilogramm Gewicht aufgezogen werden. „Weil durch die überdachte Außenfläche viel mehr Quadratmeter dazugekommen sind“, erklärt der Agrarfachmann. Und es seien trotzdem noch die vorgeschriebenen ca. 1,5 Quadratmeter pro Tier erfüllt. Die Abnahme des Stalls stehe noch aus. Erst dann wissen die Abtsbessinger Landwirte, die Minimum in der Haltungsstufe 2 produzieren, ob sie für den neuen Stall die Stufe 3 oder, wie angestrebt, 4 bekommen.

Der Abnehmer ihrer Schweine, die Fleisch- und Wurstwaren GmbH aus Schmalkalden, zahlt der Agrargenossenschaft einen Festpreis fürs Kilo, sodass der Erzeuger unabhängig von den Schwankungen des Fleischmarktes Planungssicherheit hat. „Der Aufpreis zwischen Haltungsstufe 1 und den Strohschweinen ist natürlich abhängig vom Marktpreis. Momentan sind unsere Strohschweine im Einkaufspreis 75 Prozent teurer als Haltungsstufe 1. Wir garantieren unseren Bauern aber den Festpreis, der sich nicht am Marktpreis orientiert“, stellt Felix Fischer heraus.

Mehrmals am Tag wird im Innen- und Außenbereich des Stalls kontrolliert, ob die Tränken und die Leitungen, in denen das Futter läuft, nicht verstopft und die Futtersilos gefüllt sind oder das Stroh gewechselt werden muss. „Verletzte oder kranke Tiere werden rausgenommen und separiert“, sagt Florian Müller.

Normalerweise dauert es zwei bis zweieinhalb Monate, bis die Schweine, die mit 60 Kilo angeliefert werden, ihr Schlachtgewicht erreichen. In der konventionellen Mast werden Schweine mit 25 bis 30 Kilogramm Gewicht angeliefert und in vier Monaten auf 120 gemästet.

„Wie viel länger das jetzt dauert, wissen wir noch nicht, denn die Tiere sind ja viel vitaler, weil sie sich ständig bewegen können“, erklärt Müller. Er und seine 15 Mitarbeiter sind jedenfalls „jetzt viel zufriedener“, wenn sie die Schweine im neuen Stall sehen. Stressfrei werden die Tiere dann auch auf die Lkw geladen, „die zentrale Verladerampe ist ebenerdig angelegt“.

Ende November werden die ersten Strohschweine aus Abtsbessingen zum Schlachthof nach Schmalkalden gefahren. Anfang Dezember liegen dann Schnitzel und Schweinehaxen der Marke „Strohgut“ in den Theken der 36 Filialen im gesamten Südthüringer Raum – nach etwa einem Jahr Planung und Vorlaufzeit. Einige Verkäuferinnen haben das Angebot der Geschäftsleitung genutzt und sind nach Abtsbessingen gefahren, um zu sehen, wie die Schweine groß werden, deren Fleisch sie dann unter der Marke „Strohgut“ verkaufen sollen.

Die Schmalkalder verarbeiten darüber hinaus Fleisch für Handelsketten und Gastronomie. „Sämtliche Schweine stammen zu hundert Prozent aus Thüringen. Alle sind tierwohlzertifiziert und haben mindestens Haltungsstufe 2“, erklärt Felix Fischer. Ab Dezember werden ca. 35 Prozent der zerlegten Schweine aus Strohschweinhaltung stammen. Dieser Anteil soll kontinuierlich ausgebaut werden. „Unser ehrgeiziges Ziel ist es, zunächst unser Frischfleischsortiment und anschließend auch unser Wurstsortiment in den Filialen weitestgehend auf Strohschweinhaltung umzustellen.“

Als eine der letzten Fleischereien in Thüringen schlachtet das Schmalkalder Unternehmen noch selbst. „Die meisten Metzgereien kaufen das verarbeitete Fleisch zu“, sagt Fischer.

Das etwa 300 Mitarbeiter beschäftigende Unternehmen Thüringer Landstolz kaufe lediglich gezielt Schweinefleisch für gewisse Artikel zu, wenn die Mengen aus der eigenen Produktion nicht ausreichten. „Wir kaufen ausschließlich deutsches und QS-zertifiziertes Schweinefleisch zu. Unsere hohen Zertifizierungsstandards, wie IFS, QS und Tierwohl, erlauben es uns, die Herkunft jedes einzelnen Stücks Fleisch zurückzuverfolgen und nachzuvollziehen, wie die Tiere gehalten werden. Dies können kleine, nicht zertifizierte Metzger nicht leisten“, sagt Fischer.

Tierwohl
Ziel des staatlichen Tierwohlkennzeichens ist es, dem Verbraucher sichtbar zu machen, bei welchen Produkten höhere als die gesetzlichen Standards bei der Haltung, dem Transport und der Schlachtung von Tieren eingehalten wurden. Kriterien des staatlichen Tierwohlkennzeichens für die Schweinehaltung sind: Platz, organisches Beschäftigungsmaterial, Buchtenstrukturierung, Nestbaumaterial, Säugephase Schwanzkupieren, Ferkelkastration, Tränkwasser, Eigenkontrolle mit Stallklima- und Tränkwassercheck, Tierschutzfortbildung, Erfassung von Tierschutzindikatoren, Transport zum Schlachthof, Schlachtung.