Dann ergattern wir uns doch noch irgendwie einen Platz im Minibus nach Tacloban. Wir passieren Dörfer, Städte - die meisten Häuser sind schlichtweg ausgelöscht. Autos und Busse liegen verstreut auf den Reisfeldern herum, überall Reste von Häusern. Improvisierte Schilder am Straßenrand wie "Help us!" (Helft uns!) deuten schon auf das Ausmaß der Katastrophe hin.
Nach zwei, drei Stunden Busfahrt erreichen wir endlich Palo und danach Tacloban. Was sich hier vor unseren Augen auftut, kann man kaum in Worte fassen. Tacloban ähnelt einer Stadt im Kriegszustand. Es riecht sehr stark. Müll, Schutt und Trümmer. Überall eingestürzte Hütten, Wohnhäuser - die meisten aus Holz und Bananenblättern gebaut, wie üblich auf dem Land auf den Philippinen. Das alles - und dann noch der intensive Monsunregen, die in dieser Breitengraden urplötzlich einsetzende Dunkelheit. Und natürlich gibt es keinen Strom. Nur ganz vereinzelt sind Gebäude schwach beleuchtet. Selbst die wenigen aus massivem Stein gebauten Häuser hat "Haiyan" dem Erdboden gleichgemacht. Steinmauern sind wie Spielzeug einfach umgeknickt, kein Strommast zeigt mehr gerade in den Himmel. Es ist einfach nur ein Bild der Zerstörung und Verzweiflung. Wir sind sehr geschockt über die Lage vor Ort. Überall sieht man diverse Hilfsorganisationen, wie das Rote Kreuz oder Unicef. Keine Spur von dem normalen, entspannten Landleben, wie ich es aus meiner Zivildienstzeit kannte, Stattdessen ein gespentischer Eindruck. Die armen Menschen!
Strom zu Heiligabend
Umsteigen in einen weiteren Minibus, Richtung Quinapondan. Noch zwei Stunden bis zum Ziel. Wir tuckern durch Orte wie Basey und Marabut, die ich von damals kenne. Der Unterschied ist unglaublich. Es gibt kaum noch Häuser. Stattdessen weiße Zelte von Hilfsorganisationen - Notunterkünfte. Wo die Hütten dem Taifun einigermaßen standhielten, wurden fast immer die Dächer abgedeckt. Weiße Plastikplanen von Unicef und anderen Helfern schützen mehr schlecht als recht vor dem heftigen Monsunregen.
Dann am Horizont Quinapondan. Endlich, nach zehn Stunden sind wir am Ziel. Lorenzo, mein damaliger Chef in der Gemeindeverwaltung, holt mich mit seinen Kindern am Minibus ab. Großes Hallo und Wiedersehen, wir sind damals Freunde geworden. Neben seinem Job bei der Gemeinde hat Lorenzo noch einen kleinen Nebenerwerb daheim.
Heiligabend verbringen wir mit Lorenzo und seiner Familie in seinem Haus. Ausgerechnet an Weihnachten, einem bedeutenden Festtag in dem katholischen Land. Heute gibt es dort das erste Mal Strom nach sechs Wochen - unsere Gastgeber haben sich eigens für unseren Besuchstag ein Stromaggregat bei Verwandten ausgeliehen. Eine schöne Feier für alle. Glück für die Familie: Das Haus ist ungewöhnlich stabil gebaut und hat zum Glück nur wenig Schaden davon getragen.
Wir feiern und reden - und besprechen natürlich, wie und wo wir mit unseren Spendengeldern aus Südthüringen am besten helfen können (siehe Beitrag unten auf dieser Seite).
Schon am nächsten Tag müssen wir aber wieder Abschied nehmen. Gottseidank organisiert und Lorenzo mit seinen guten Beziehungen einen Bus für die Rückfahrt nach Tacloban. Vorher treffen wir noch mit ehemaligen Arbeitskollegen, Freunden und Nachbarn. Ihre Freude über unseren Besuch ist nicht zu übersehen. Allerdings haben wir nur wenig Zeit, der Flieger von Tacloban geht bereits um 13.45Uhr.
Auf dem Weg zum Flughafen ist dann das ganze Ausmaß von "Haiyan" richtig zu spüren. Auch am zweiten Tag sind wir extrem geschockt über die immer noch verheerende Lage in den Dörfern und Städten Überall sind verzweifelte Hilferufe und Trotzreaktionen (wie "Fuck you Yolanda") zu lesen. Auch die Ankunft in Tacloban bei Tageslicht nimmt uns sehr mit. Tonnenschwere Schiffe wurden einfach aufs Festland geschwemmt, Wracks von Autos und Bussen liegen zwischen zerstörten Häusern. Viele Meter landeinwärts liegen umgekippte Schiffscontainer auf den Feldern oder dort, wo vorher einmal Häuser standen.
Auch der Flughafen ist stark zerstört. Das Dach ist noch intakt, allerdings hat es die Wände herausgedrückt. Als auf dem Rollfeld gerade ein Flugzeug zum Start ansetzt, blasen seine Turbinen einen Sturm in die Flughafenhalle und auf die wartenden Passagiere.
Die Bilder und Eindrücke werden wohl noch lange Zeit lang in Erinnerung bleiben. Eine Rückkehr zum normalen Alltag in der Region? Das wird sicherlich nicht vor Ende nächsten Jahres möglich sein.
Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung, all dies steht den Menschen vor Ort direkt ins Gesicht geschrieben - jenen Menschen, deren Lebensfreude und Freundlichkeit ich vor vier Jahren so sehr schätzen und lieben lernte.
Es braucht nicht nur Tatkraft der Betroffenen, sondern auch viel, viel Hilfe von außen - damit die Menschen in Quinapondan und der ganzen Region wieder ihr normales, ihr einfaches, aber glückliches Leben leben können.