Thüringer helfen "Lass dich nicht unterkriegen"

Von Ilga Gäbler

Martin Schulz, ein blinder, junger Mann aus Bad Liebenstein, gibt Menschen mit seinen Engeln aus Holz Kraft und Zuversicht. Er wurde deshalb für den Thüringer Engagement-Preis nominiert. Und damit er ihn bekommt, braucht er auch viele Stimmen aus Südthüringen.

 
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Sänger Peter Maffay hat einen kleinen Engel aus Holz, Bundespräsident Joachim Gauck auch. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hat ihren auf dem Schreibtisch in der Erfurter Staatskanzlei stehen. Und Namensvetter Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, gab seinem einen Ehrenplatz auf der Küchen-Fensterbank seines Hauses. Allesamt sind sie Unikate und ganz besondere Engel. Denn Gestalt gab ihnen ein außergewöhnlicher junger Mann: Martin Schulz aus Bad Liebenstein. Er ist blind.

Vor allem schenkt er seine Engel und Herzen aus Holz aber kranken und sterbenden Menschen - auch deren Angehörigen. Sie sind ihnen Lichtbringer in dunkler Zeit. "In unserer Arbeit sind sie etwas sehr Wertvolles", erklärt Johanna Weymar. Sie, die leitende Koordinatorin des Ambulanten Hospiz- und Palliativen Beratungsdienstes für Bad Salzungen und die Rhön, sagt: "Wir nehmen sie mit zu den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die wir betreuen. Und wir spüren, dass wir ihnen damit Zuversicht, Halt und Liebe geben."

Die Menschen berühren

Wieder einmal sind der junge Mann und seine Mutter Monika Schulz in das Bad Salzunger Büro des ambulanten Hospizdienstes gekommen. Mitgebracht haben sie einen Karton voller neuer Engel und Herzen. Es ist ein vertrautes Gespräch zwischen ihnen und den Frauen vom Hospizdienst. Sie kennen sich schon lange. Vor zwei Jahren absolvierte der 22-Jährige selbst einen Kurs zum ehrenamtlichen Hospizhelfer. Er sagt: "Es ist schön zu wissen, dass ich gebraucht werde." Koordinatorin Theresa Heß bestätigt das: "Deine Engel berühren die Menschen, Martin."

Johanna Weymar erzählt von einem kleinen Jungen. "Ich musste ihm sagen, dass sein Papa nicht mehr lange leben wird. Eines von Martins Herzen half mir dabei." Zufällig hatte das Holz ein Astloch. Als Johanna Weymar dem Siebenjährigen das Herz in die Hand drückte, fragte das Kind: "Das Loch, ist das der Tumor, der meinem Papa solche Schmerzen bereitet?" Johanna Weymar nickte. Als der Junge Tage später Abschied von seinem Vater nehmen musste, legte der Sohn ihm das Holzherz in die Hände. "Ich hab dich lieb", hatte er darauf geschrieben. Er wünschte sich für seine Mutter und sich selbst auch ein Herz. "Dann bleiben wir Drei immer zusammen", erklärte das Kind. Das Gespräch verstummt, als Johanna Weymar endet. Für einen Moment. Dann nimmt sie den Faden wieder auf: "Martin ist für uns ein Geschenk." Es gibt viele solcher Augenblicke im Hospiz-Alltag, in denen seine Herzen und Engel trösten.

Johanna Weymar hat Martin Schulz deshalb für den Thüringer Engagement-Preis der Ehrenamtsstiftung vorgeschlagen. Koordinatorin Theresa Heß erzählt: "Johanna hat mit dem Auto unterwegs beinahe eine Vollbremsung hingelegt, als das Handy klingelte und sie erfuhr, dass Martin in der Kategorie Jugend in die Endrunde geht." Der 22-Jährige war bisher ahnungslos. Als er davon erfuhr, sagte er spontan: "Wenn ich gewinne, spende ich das Geld dem Kinder- und Jugendhospiz. Die brauchen es nötiger als ich". Dotiert ist der Preis mit 5000 Euro. Doch um aufs Siegertreppchen zu kommen, benötigt Martin Schulz viele Unterstützer, die bei einem Online-Voting für ihn klicken. "Es beginnt am 12. und endet am 26. September", erklärt Theresa Heß. Der junge Mann hofft, dass viele für ihn und seine Hilfsaktion stimmen.

Nicht vergessen hat er bis heute die Worte, die ihm eine guter Bekannter mit auf dem Weg gab: "Lass dich nicht unterkriegen." Der Mann ist Richter am Landgericht Mühlhausen und selbst blind. Martin Schulz sagt: "Sein Ratschlag hat mich geprägt."

Als er zwei Jahre war, bemerkten seine Eltern, dass er Dinge nicht sah. Es folgten viele medizinische Untersuchungen. Dann erfuhren Monika und Christoph Schulz, dass ihr jüngster Sohn an einer seltenen, unheilbaren Krankheit leidet: Neurofibromatose NF 1. Sie ließ in seinem Kopf immer wieder Tumore wachsen, die zwar gutartig sind, aber seine Sehnerven zerstörten. Er bekommt epileptische Anfälle und manchmal streikt sein Gedächtnis.

Anfangs konnte er in der Schule noch die Buchstaben entziffern. Dann aber wurde es völlig dunkel um ihn. Er erlernte die Punktschrift, tat alles, um sich seinen Traum zu erfüllen, Physiotherapeut oder Masseur zu werden. Doch die Krankheit setzt ihm immer wieder Grenzen. Hinter ihm liegen mittlerweile vier große, komplizierte Operationen am Kopf im Uni-Klinikum in Würzburg. Die letzte OP musste er im Dezember 2012 über sich ergehen lassen. Seine Mutter, die ihn immer begleitete und an seinem Bett saß, wenn er aus der Narkose erwachte, sagt: "Martin ist ein Stehaufmännchen."

Mutmacher waren ihm in seinem Krankenhaus-Zimmer ein kleines Kreuz, das er immer bei sich trägt, und einer seiner Engel auf einer Karte, darunter stand geschrieben: "Fürchte dich nicht." Er ist Christ und sagt: "Das rufen die Engel in der Bibel immer als Erstes den Menschen zu, wenn sie als Boten Gottes kommen." Offensichtlich ist es der Lebensmut, der die Menschen beeindruckt, wenn sie die Figuren von Martin Schulz berühren und von seinem Schicksal hören. So schrieb ihm eine alte Dame: "Ich spüre, dass bei diesem Engel das Herz die Hand geführt hat." Ein Lehrer hatte im Werkunterricht an der Schule für Blinde und Sehbehinderte in dem Jungen die Liebe zum Holz geweckt. Er begann Blumen, Sterne oder Schmetterlinge aus Sperrholz auszusägen. Heute arbeitet der 22-Jährige in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Und er sagt: "Ich bin gerne dort."

An schönen Tagen, wenn es ihm gut geht, sitzt er an seiner ausklappbaren Werkbank im Garten und sägt. Er schätzt die Ruhe und konzentriert sich voll auf seine Arbeit. Mit einer Schablone aus Pappe malt er die Umrisse aufs Holz. Seine Mutter zeichnet mit einer Heißklebepistole die Bleistiftstriche nach, damit er die Linien ertasten kann. Mit dem linken Zeigefinger fährt er auf dem Wulst entlang, während er mit der Laubsäge in der rechten Hand sägt. Vater Christoph Schulz arbeitet die Engstellen an Kopf und den Flügeln des Engels nach. Damit er schön in der Hand liegt, gibt ihm Martin Schulz schließlich noch den Feinschliff.

Mehr als 2000 Holzfiguren haben in den vergangenen fünf Jahren den Weg um die ganze Welt angetreten. Sie gingen auf die Reise nach Japan, in die USA und nach Afghanistan. Soldaten der Bundeswehr, die am Hindukusch im Einsatz waren, hatten sie als symbolträchtige Glücksbringer in ihrer Uniformtasche. Oberstleutnant Martin Mayer, damals Kommandeur des Bad Salzunger Panzergrenadierbataillons, hatte seinen blinden Namensvetter darum gebeten. Auch wenn Martin Meyer heute in Berlin seinen Dienst tut, Freunde sind beide geblieben.

Neugierige Schüler

Über den Kommandeur kam Martin Schulz auch mit einer Schulklasse aus dem nordrhein-westfälischen Gummersbach in Kontakt. Die damalige Klasse 2 b hatte mit ihrer Lehrerin Mechthild Sülzer bunte Schutzengel für die Soldaten in Afghanistan gemalt und sie nach Baghlan geschickt. Martin Mayer sendete von dort als Dankeschön einen Holzengel seines Bad Liebensteiner Freundes an die deutschen Schüler. Dazu schrieb er ihnen Martins Geschichte auf. Die Kinder wurden neugierig. Sie schickten einen lustigen Schutzengel, in den Farben des Regenbogens, mit vielen guten Wünschen nach Bad Liebenstein. Inzwischen sind die Kinder und Martin Schulz gute Bekannte. Gemeinsam mit Martin Mayer hat er die 19 Schüler in Gummersbach besucht und jedem einen Engel aus seiner Werkstatt geschenkt.

Persönliche Kontakte sind dem blinden Bad Liebensteiner sehr wichtig. So halfen zwei junge Männer mit einer Versteigerung eines Mountainbikes im Internet, dass sich einer seiner ganz großen Wünsche erfüllte. Er kann nun ein Tandem mit Elektromotor fahren - extra behindertengerecht ausgestattet. Damit ist er mit seiner Mutter und seinem Bruder, der in Jena studiert, häufig auf Achse. Gefreut hat er sich auch über einen ehemaligen Tischler aus Floh-Seligenthal, der ihm Holz und Sägeblätter brachte.

Martin Schulz wäre glücklich über Sperrholz-Spenden. "Vielleicht steht welches irgendwo ungenutzt herum", hofft er. "Dann könnte ich daraus Engel und Herzen entstehen lassen. Und mehr Menschen könnten sagen: Ich habe geholfen, anderen Kraft und Zuversicht gegeben."

Jede Stimme zählt

So einfach kann man für Martin Schulz stimmen, wenn man möchte, dass er den Thüringer Engagement-Preis erhält. Möglich ist das Online-Voting für ihn vom 12. bis 26. September unter www.thueringer-engagement-preis.de . Jeder PC, jeder Laptop, jedes Tablet oder Handy hat nur eine Registrierstimme. Der Hospizdienst Bad Salzungen/Rhön bittet: "Rührt die Werbetrommel und klickt für Martin Schulz."

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