Corona-Krise 15-Kilometer-Regel wird in Thüringen doch nicht verbindlich

, aktualisiert am 05.01.2021 - 19:23 Uhr

Eine offenbar konfliktträchtige Sitzung des Kabinetts der Thüringer Landesregierung ist mit einer Überraschung zu Ende gegangen: Zwar hatten sich die Länder und der Bund kurz zuvor darauf geeinigt, den Bewegungsradius von Menschen in Corona-Hotspots auf 15 Kilometer einzuschränken. Doch die Landesregierung weicht nun von dieser Linie ab.

 
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Erfurt/Berlin – Die Menschen in Thüringen werden sich in den nächsten Wochen nun doch frei im Freistaat bewegen dürfen – auch dann, wenn sie in einer Region zu Hause sind, in der es zuletzt sehr viele Corona-Fälle gegeben hat. Das Kabinett der Landesregierung hat bei einer Sitzung am Dienstagabend überraschend beschlossen, den Bewegungsradius der Thüringer in Corona-Hotspots nicht verbindlich auf einen Radius von 15-Kilometer um ihren Wohnort herum zu beschränken. Das Kabinett empfiehlt den Menschen in seinem Beschluss lediglich, sich – soweit es ihnen möglich ist – nicht weiter als 15 Kilometer entfernt von ihrem Wohnort aufzuhalten. „Jede Person ist angehalten, Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs und der Grundversorgung, die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen sowie Aktivitäten, die der Erholung beziehungsweise individuellen sportlichen Betätigung dienen, wohnortnah zu erledigen“, heißt es in dem Kabinettsbeschluss.

Dieser Beschluss ist erstens umso bemerkenswerter, da auf einer Konferenz der Ministerpräsidentinnen und -ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erst kurz vor dieser Kabinettssitzung beschlossen worden war, den Bewegungsradius von Menschen auf 15 Kilometer einzuschränken, wenn diese in einem Corona-Hotspot leben. Als Hotspot gilt dabei jede kreisfreie Stadt oder jeder Landkreis, in der oder in dem es mehr als 200 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gegeben hat.

Mit ihrem Kabinettsbeschluss weicht die Thüringer Landesregierung nun von diesen Vereinbarungen ab – was auch deshalb bemerkenswert ist, weil Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) die sogar landesweite Einführung der 15-Kilometer-Regel am Sonntag selbst vorgeschlagen hatte. Er sei dann überrascht gewesen, dass das Bundeskanzleramt einen vergleichbaren Vorschlag für alle deutschen Corona-Hotspots vorgelegt habe, sagte Ramelow am Dienstagabend kurz nach dem Ende der Kabinettsitzung.

Sachsen und Thüringen sind derzeit die am stärksten von der Pandemie betroffenen Bundesländer. In Sachsen existiert schon seit einigen Wochen eine 15-Kilometer-Regelung. Würde der Beschluss der Bund-Länder-Beratung in Thüringen strikt angewandt und damit in allen Kommunen mit einer Inzidenz von oberhalb von 200 Neuinfektionen der Bewegungsradius der Menschen eingeschränkt, wären davon die Menschen fast überall im Freistaat betroffen. Denn nach den derzeitigen Daten liegen die Infektionszahlen in fast allen Landkreisen und kreisfreien Städten Thüringens über dieser Marke. Nur in Jena, Gera, Erfurt und den Landkreisen Nordhausen und Kyffhäuser lagen sie zuletzt noch unterhalb dieses Wertes.

Gegen die Einführung der 15-Kilometer-Regel hatte es vor allem innerhalb der rot-rot-grünen Minderheitsregierung heftigen Widerstand gegeben. Vor allem Vertreter von SPD und Grünen hatten am Montag und Dienstag mehrfach erklärt, sie würden die Einführung dieser Regelung nicht mittragen – und sich damit offen und schließlich offenbar erfolgreich gegen Ramelow gestellt. Die Einführung einer solchen Regelung sei nicht nur unverhältnismäßig, sie sei auch kaum zu kontrollieren, hatten sie argumentiert. So zeigten besonders die hohen Infektionszahlen in Sachsen, dass eine solche Beschränkung nicht dazu geeignet sei, Corona-Neuinfektionen wirklich zu verhindern. Um Szenen wie die am Wochenende in den Wintersportregionen zu verhindern, sei es besser, zum Beispiel die Zufahrtswege dorthin zu sperren. Viele Wintersportregionen wie etwa Oberhof waren zuletzt von Tagestouristen geradezu überrannt worden.

Die Kabinettssitzung vom Dienstagabend soll nach den übereinstimmenden Angaben von Teilnehmern turbulent und teilweise sogar konfrontativ gewesen sein. Vor allem um die 15-Kilometer-Regel sei heftig gestritten worden, hieß es. Ramelow selbst hat dies nach eigenen Angaben allerdings anders empfunden. Bei den entsprechenden Diskussionen habe es keine Meinungsverschiedenheiten gegeben, sagte er.

In dem Bund-Länder-Beschluss zu der 15-Kilometer-Regel heißt es ziemlich unmissverständlich: „In Landkreisen mit einer 7-Tages-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern werden die Länder weitere lokale Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz ergreifen, insbesondere zur Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort, sofern kein triftiger Grund vorliegt. Tagestouristische Ausflüge stellen explizit keinen triftigen Grund dar.“ Derartige Beschlüsse müssen allerdings in den Ländern durch den Erlass von Verordnungen in Landesrecht überführt und damit verbindlich gemacht werden. In den vergangenen Monaten sind einzelne Länder immer wieder von dem abgewichen, was sie selbst erst kurz zuvor mit verabschiedet hatten.

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