Ausgerechnet ein Klärwerk hat Phillip Enssle 1998 die erste Schwalbe verschafft. Bei einem Bekannten sah er so ein Mokick und wollte es haben: "Das sah toll aus. Das hatte nicht jeder und es fuhr schneller als andere." Aber vor dem Fahrer-Glück gab es da ein Problem: "Ich war 20, mit dem Abi fertig und hatte kein Geld". Also gingen Phillip mit Kumpel Manuel auf Jobsuche. "Drei Wochen buckelten wir im Klärwerk. Am letzten Tag haben wir uns das Geld schnurstracks bei der Stadtkasse abgeholt. Sonst hätten wir ja noch länger warten müssen", erinnert sich der Backnanger, der inzwischen in Potsdam lebt. In der Flohmarkt-Zeitung fanden sie dann ihre ersten zwei Schwälbchen. Die eine gelb, rostreich, aber fahrbar. Die zweite blau, schön anzusehen, aber flügellahm. Also gingen beide ohne Vorkenntnisse ans Schrauben. "Und wenn sie von der abendlichen Ausfahrt zu zweit auf nur einer Schwalbe heim kamen, wussten die Eltern schon, dass mal wieder ein Rücktransport fällig war."
Nach und nach bekamen die zwei alle Schrauber-Probleme in den Griff, fingen an weitere Schwalben aufzukaufen, zu reparieren und wieder zu verkaufen - der Kreis der Schwalbefahrer in Backnang nahe Stuttgart wuchs. Die Faszination für das Vögelchen auch.
Inzwischen wurde aus dem Fan-Club ein Verein mit 72 Mitgliedern. Ein ehemaliger Stall mutierte zur Schrauber- pardon: "Schwalbengarage". Und der heutige Vereins-Chef, Hardy Kunkel, kommt detailreich ins Schwärmen, wenn er vom gemeinsamen Saustall erzählt. Da stehen inzwischen statt grunzender Vierbeiner knatternde Zweiräder. Der Stall hat Stil und wurde ebenso zur offenen Werkstatt mit Werkbänken, Kisten voller Schrauber-Utensilien, wie zum gemütlichen Vereinsheim mit Eckcouch, Kühlschrank und hopfenhaltigem Treibstoff für Schrauber und Nichtschrauber.
Jeden letzten Samstag im Monat kann nachmittags kommen wer will: Schrauben lernen, Tipps und Teile finden, Quatschen und Beisammensein. Aus der schwäbischen Kleinstadt sind die Schwalben-Freunde im Alter von 16 bis Mitte 40 gar nicht mehr wegzudenken. Der Verein ist dafür bekannt, dass er für den ganzen Ort Außergewöhnliches auf die Beine stellen kann.
Sonate für 8 Zylinder
Beispielsweise die musikalische "Schwalben-Revue", deren Höhepunkt eine eigens komponierte und einstudierte "Schwalben-Sonate für 8 Zylinder (im Zweitakt) war. Knatternde, auf der Bühne von einem Schrauber im Blaumann dirigierte Schwalben gibt es eben nicht allemal. Oder den Schwalben-Fünfkampf zum 15. Jubiläum des Vereins im Jahre 2013. Beim Schwalben-Pulling (eine Schwalbe muss mit Person und Anhänger per Muskelkraft gezogen werden), dem Kolbenschmiss (Zündkerze gegen Dose) oder Motorblockweitwurf konnten sich ganz Backnang austesten. Das Jubiläum der Schwalbengarage wurde ein echtes Spektakel und zum Festival für Familien. Sogar mit Bratwürsten, Senf und Bier aus Thüringen.
Die gesellige und hilfsbereite Gemeinschaft-Idee hat der "Schwalbengarage" auch außergewöhnliche Vereinsmitglieder beschert. Claudia Fischer zum Beispiel. Sie ist der wahrscheinlich untypischste Schwalbe-Fan schlechthin. Die 33-Jährige hat noch nie eine Schwalbe besessen, geschweige denn auf einer gesessen. Den einzigen Roller, den sie je fuhr, hat sie nach wenigen Metern "im Sand versenkt". Dennoch ist die Männer-Mode-Designerin Fan des Simson-Vogels und inzwischen im Vorstand der "Schwalbengarage" Backnang für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. "Ich bin im Silvesterrausch hineingeschlittert", erzählt sie und lacht. Der Rausch verging und Claudia blieb. Sie schwärmt vom Suhler Vogel und dem was er in der Kleinstadt bewirkt hat. Claudia möchte die Freundschaften, die sich über die "Schwalbengarage" entwickelt haben, nicht mehr missen. "Und hier wird ja nicht nur geschraubt, wir haben mehrere Arbeitskreise wie auch Hauswirtschaft. Der hat vor zwei Jahren sogar selbst gewurstet." Ein leerer Naturdarm hängt noch als Beleg dafür an der Garagen-Wand.
Und der 30-jährige Vereinschef Hardy, der schon mit 16 für die Schwalbe schwärmte, hat heute immer noch ein "fettes Grinsen im Gesicht", sagt er selbst. "Wenn wir unterwegs sind, drehen sich alle nach uns um." Inzwischen hat er selbst schon etwa 20 Schwalben aufgebaut, verkauft, gestiftet, verschenkt. Ganz im Sinne des Vereinszwecks: "Erhaltung der Schwalbe im öffentlichen Straßenverkehr".
Liebevolle Hymne
Phillip, der vom Brandenburgischen so oft es geht in die schwäbische Schwalben-Heimat kommt, bleibt eine Touren-Begegnung unvergessen: Auf einem Rastplatz schlichen ältere Motorradfahrer um die Schwalben herum und gaben zu, früher auch damit gefahren zu sein. Dann der ultimative Satz der Biker an die zumeist etwa 30-jährigen schwäbischen Schwalben-Fans: "Und wenn ihr groß seid, kauft ihr euch auch ein Motorrad." Phillip lacht, denn er ist jetzt 36 und immer noch Schwalbefahrer. Übrigens: Wo die Backnanger auftauchen, wird nicht nur geknattert, sondern auch gesungen. In der Hymne der Schwalbengarage huldigen sie den Kultvogel liebevoll auf feinstem Schwäbisch: "Oh mei Schwalba - i mag' di wie verrückt. In mei'm Fuhrpark - bisch du des beschde Stück."
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