Angesichts der Corona-Krise hat Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) für die Aufnahme neuer Schulden von rund 2,9 Milliarden Euro plädiert. Damit soll nicht nur ein Konjunkturprogramm gegenfinanziert werden, sondern auch Steuerausfälle in diesem Jahr. Die Koalition ist sich offenbar einig, dass Thüringen Konjunkturhilfe braucht. Dabei werde das Land auch nicht umhin kommen, Schulden aufzunehmen, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Er und andere Vertreter der Koalition sehen Tiefensees Vorschlag aber nur als einen von mehreren, über die zu sprechen sei. Finanzministerin Heike Taubert (SPD) äußerte sich kritisch zu einer möglichen Lockerung der Schuldenbremse.

Thüringen stehe vor der größten Belastung seit 30 Jahren, betonte Ramelow. Dabei verwies er auch auf erwartete Steuerausfälle von fast einer Milliarde Euro. Damit fehlt dem Land nahezu jeder zehnte Euro, der 2020 ausgegeben werden sollte. Finanzministerin Taubert habe derzeit die undankbare Aufgabe, den Haushalt «einzudampfen». Ramelow hat auf den Kassensturz gepocht, bevor über einen Nachtragshaushalt entschieden werden könne. Bisher sei seine Amtszeit davon geprägt gewesen, Schulen abzubauen, betonte der Regierungschef.

Tiefensee erklärte in einer Mitteilung, dass sich Thüringen nicht in eine Krise hineinsparen dürfe, sondern massiv gegensteuern müsse. Dazu sei die Aufnahme zusätzlicher Kredite unvermeidlich und mit Blick auf niedrige Zinsen und der erwarteten Inflation vertretbar. Um die Rückzahlung über einen längeren Zeitraum von mindestens 20 Jahren zu strecken, ist den Angaben nach eine Lockerung der Schuldenbremse in der Landeshaushaltsordnung nötig. Solche Pläne stoßen bei seiner Parteikollegin im Finanzressort auf Vorbehalte. Taubert: «Wer Mehrausgaben für notwendig hält, der muss auch Deckungsvorschläge machen.»

Konkret will Tiefensee nicht nur ein neues Sondervermögen von 1,2 Milliarden Euro schaffen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Der «Thüringenfonds für Wachstum und Innovation» soll technologischen Fortschritt fördern sowie den Wandel etwa der Automobilbranche und energieintensiver Industrien unterstützen, aber auch Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung und wirtschaftsnaher Infrastruktur.

Weitere knapp 1,7 Milliarden Euro Schulden sollen nach Tiefensees Willen aufgenommen werden, um Steuerausfälle in diesem Jahr zu kompensieren und die beschlossenen Corona-Hilfen zu finanzieren. Die sollen eigentlich aus einer Rücklage des Landes bestritten werden. Die Rücklage will Tiefensee stattdessen schonen, um Steuerausfällen oder Konjunkturproblemen in den kommenden Jahren zu begegnen.

«Ich sehe große Einigkeit, dass es ein Konjunkturprogramm für den Aufbau Thüringens nach der Coronakrise braucht», erklärte Linke-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow. Sie verwies auf einen entsprechenden Vorschlag der Fraktionsvorsitzenden von Linke, SPD und Grünen. Ramelow sagte, dass alle Vorschläge bei einer gemeinsamen Klausur am 14. Juli besprochen und abgewogen würden. Dazu sei auch die CDU eingeladen. Auf ihre Unterstützung ist die rot-rot-grüne Minderheitsregierung angewiesen, um entsprechende Vorhaben im Landtag durchzubringen. Dass es eine so große Vielfalt an Vorschlägen gebe, zeuge von einer sehr guten Debattenkultur, sagte Ramelow.

Ähnlich äußerte sich Grünen-Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich. Mit Blick auf Tiefensees Vorstoß sagte sie der dpa: «Ich halte die Zahlen, auf die er seine Berechnungen angestellt hat, für relativ vage.» Um die tatsächlichen Steuerausfälle beziffern zu können, müsse die zweite Steuerschätzung abgewartet werden. dpa