Thüringen Theo, kein Kasten Bier, aber eine Karriere im Westen

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Mit dem Tabant P 50 beim Brazzletag in Speyer. Dort lebt einmal im Jahr nicht nur so manches aus dem Technischen Museum auf. Oldtimer wie der Trabant Baujahr 1960 sind willkommen. Foto: cob

Viele Geschichten haben 30 Jahre Deutsche Einheit geschrieben. Darunter tragische, aufregende, umwälzende ... aber auch jene, die einfach lächeln lassen. Wie beispielsweise die von Theo - einem knatternden "Kugelporsche". Der eroberte inzwischen viele Herzen - auch im Westen. Trotz seines zweitaktmischigen Geruchs.

 
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Theo war eine Wucht. Er konnte alles stemmen. Selbst einen 1,96-Meter-Mann und eine dralle Schwangere. Und er hatte nicht die kantige Optik des 601er. Er war ein knuffiger 500er. Probleme machte er nur, wenn man sich nicht tief genug beugte, um seine Flüssigkeitszufuhr zu öffnen. Sprich, der Benzinhahn des Kugelporsches aus dem Osten lag derart tief im Beifahrer-Fußraum, dass es nicht nur für beleibte Menschen akrobatischer Einlagen bedurfte, ihn zu greifen.

Der Trabi, Baujahr 1962, war uns kurz vor der Wende irgendwie „zugelaufen“. Er wurde auf Theo getauft und fungierte in der langen Reparaturzeit des Familien-Ladas als Zweitwagen. Ersteren hatte ich beim Rückwärtssetzen an ein Trafo-Häuschen elend zugerichtet. Ersatz-Theo durfte ich daher erst gar nicht fahren.

Nur einmal hätte ich ihn fast selbst bewegen müssen. Und das wäre fatal geworden. Mein Mann malerte nach Feierabend öfter bei Bekannten. Genau zu jener Zeit nahm mein ganzes Ich kugelige Rundungen an. Das Einsteigen in den tief liegenden Theo fiel mir zunehmend schwerer. Und obwohl die Wehen immer näher rückten, konnte sich der angeheiratete Freizeit-Maler nicht von seinen Baustellen lösen. Sein Hinweis „du weißt ja, wo der Trabi-Schlüssel hängt“, war dann irgendwie schon der Anfang vom Ende. Letztlich chauffierte er mich doch in die Klinik. Für mich aber war es die letzte Fahrt mit Theo. Und das nicht, weil der Kinderwagen nicht hineingepasst hätte. Dafür bot selbst der 500er genug Raum.

Den von manchem als „rundgelutscht“ bezeichneten Gefährten gaben wir in Unkenntnis dessen weg, was mit den "Pappen" nach der Wende auf uns zukommen könnte und in Vorfreude jenes, was plötzlich so alles fahrbar war. Ein Bekannter nahm sich seiner an. Auf den für ihn vereinbarten Kasten Bier warte ich bis heute.

In den folgenden Jahren wechselten meine fahrbaren Untersätze, die Auto-Marken auch. Theo aber blieb in Erinnerung. Irgendwann wollte ich wieder solch einen Kugelporsche. Das dauerte zweieinhalb Jahrzehnte. Und nicht etwa wegen langer Anmeldefristen. Die Zeiten des Trabis als Familienkutsche waren einfach vorbei. Dann fuhren meine Kinder ihre eigenen Kutschen und Kinderwagen. Ich – inzwischen selbst ein Oldtimer - begab mich öfter auf dazu passende Treffen. Auf einem in Meiningen schließlich stand ein detailgetreu restaurierter 500er und strahlte mich mit seinem sogenannten Lachmund an. Der war aus Aluminium und schon zu DDR-Zeiten ein rares Zubehör. Mein Plan reifte also, die Suche im Internet auch. Dort verliebte ich mich neu: Mein Partner war auffallend und kugelrund und hieß vom ersten Tag an Theo, der Zweite.

Mit dem entscheidenden Drei-zwei-eins-meins-Klick landete ich geografisch exakt 550 Kilometer weit weg. Theo II. war um einiges kostenintensiver als ein Kasten Bier. Dafür hatte er einen passenden Anhänger und wie sich später herausstellte: ein klappriges Herz, nicht funk-tionierende Bremsen, eine lavede Lenkung und auch sonst dezente Spuren einer verkorksten Restaurierung. Aber wie es frischverliebt so ist: Mann vielleicht, aber Frau schaut nicht so tief in die motorisierte Seele. Mit einem orange-beige verklärten Blick schon gar nicht.

Das hatte seinen Grund. Der 1960 gebaute Theo II. war speziell. Der Trabant 500 oder auch P 50 Genannte, rollte zwischen 1958 bis 1962 vom Band. Mit geschwungener Chromzierleiste und in Zweifarbenlackierung kam er als Sonderausführung daher. Deren Stückzahl hielt sich in Grenzen. Von all den überhaupt 3 069 099 gebauten Trabanten wurden nur 38 097 als Sonderausführung oder auf Sonderwunsch produziert.

Theo II. wurde also von vielen Händen aufwendig wiederbelebt. Und er dankte es bereits auf den ersten Fahrten. Er knatterte und qualmte nicht nur durch den Steinweg, die Fußgängerzone in Suhl, sondern quer durch Thüringen. Lächeln und Bewunderung erfuhr er in Würzburg und Heidelberg. In Stuttgart soff er bei einem heftigen Platzregen ab. In Sinsheim strahlte er von Zweitakt-Fans umlagert unter den Überschallfliegern Concorde und Tupolew. In Speyer verzückte er selbst den Werkstatt-Chef zweier großer Technik-Museen, Holger Hamann. Er, der technische Wunderwerke aus aller Welt nach Deutschland bugsierte, stammt aus Stendal und war als Knirps selbst mit seinen Eltern in einem 500er unterwegs.

Dass die oft so verpönte und beschnupperte Gemisch-Fahne selbst im Westen keinen störte, hat mit Kleinwagen zu tun, die in den 50er-, 60er-Jahren dort gefahren wurden. Ob Isetta, Goggo, Janus, Heinkel oder andere – sie alle rochen genauso gemischig.

Dann schlug Theos nächste große Stunde: Die unter Schrauber-Fans bekannte Moderatorin und Mechanikern Linda van de Mars aus Berlin beurkundete und adelte ihn in Speyer. Da lächelte der Kugelporsche zwischen sündhaft teuren Flügeltüren-Benz und Co. Und schließlich trotzte er unter Einhaltung von Hygiene-Abstandsregeln sogar Corona. Im baden-würtembergischen Schwetzingen leuchtete er orange-beige im September 2020 weithin im riesigen Schlosspark und machte die Classic Car Gala-Besucher auf sich aufmerksam. Von diesen übrigens outeten sich nicht wenige, einst selbst Trabi gefahren zu sein.

Mit sechs Jahrzehnten auf dem Rahmen hat er also seine Karriere im Westen gestartet. Ganz ohne Kasten Bier. Theo II. rollt weiter. Bis – welches Schicksal uns auch immer scheidet. Und immerhin: Auch im 30. Jahr der Deutschen Einheit fahren noch etwa 35 500 Exemplare mit dem Sachsenring-Logo durch die gesamte Bundesrepublik. Trabant heißt schließlich Begleiter. Und als solcher bleibt er eine Wucht!


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KONSUMMARKEN Band 1 bis 3

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