In dem Moment, in dem die Nadel in ihren Oberarm gleitet, verzieht Martha Nadolph nicht einmal das Gesicht. Impfen gehöre für sie seit ihrer frühesten Kindheit fest zum Leben dazu, sagt die 94-Jährige. «Meine Generation wurde ja noch gegen Pocken geimpft.» Vieles sei in der Welt dadurch besser geworden, dass Krankheiten mit Hilfe eines kleinen Piks besiegt werden könnten. Nun trägt die Bewohnerin eines Seniorenheims der Arbeiterwohlfahrt in Zeulenroda-Triebes (Landkreis Greiz) als eine der ersten dazu bei, dass auch Corona bezwungen werden kann.

«Das war’s», sagt die Ärztin Juliane Mühlberg, nachdem sie in wenigen Augenblicken die Nadel in den Oberarm der alten Frau gestochen und wieder herausgezogen hat. «Brauchen Sie ein Pflaster?» Nadolph möchte eines. Nach Angaben des Thüringer Gesundheitsministeriums hat kein anderes Heim im Freistaat vor dieser Einrichtung den Impfstoff erhalten, der auch hier gut bewacht wird. Die vielleicht entscheidende Waffe im Kampf gegen die Corona-Pandemie war bereits am Samstag unter Polizeischutz nach Thüringen gebracht worden.

Angst vor Störungen

Auch an diesem kalten und stürmischen Vormittag sind mehrere Beamte im Umfeld des Seniorenheims im Einsatz. Etwa ein halbes Dutzend Polizeiautos steht vor dem Eingang. Auch Zivilpolizisten patrouillieren. Die Angst davor, dass Impfgegner die Aktion stören könnten, ist groß.

Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) verbindet mit dem bundesweiten Beginn der Corona-Impfungen große Hoffnungen. Dies sei ein beeindruckender und bewegender Tag für sie, sagt sie. Ein Corona-Impfstoff stehe nun doch schneller zur Verfügung, als dies im Sommer noch erwartet worden sei.

Mitarbeiter werden ebenfalls geimpft

Werner betont, dass die Impfungen nicht nur für die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sehr wichtig seien, sondern auch für die dort Beschäftigten. Denn egal wie sehr die Pflegerinnen und Pfleger sich und andere mit Masken und Handschuhen schützten - im Pflegealltag kämen sie und die Bewohner sich stets sehr nahe, sagt Werner.

Entsprechend dieser Einschätzung erhält die zweite Corona-Impfung an diesem Vormittag in dieser Einrichtung die Heimleiterin Diana Wirth. Als sie gefragt wird, ob der Piks weh getan habe, sagt sie: «Wie eine normale Impfung.»

Nadolph sieht ihre Corona-Impfung weniger als eine Hilfe für sich, sondern vor allem als Schutz für andere - in der Hoffnung, dass die Impfungen die Pandemie schließlich beenden werden. «Für mich selbst kann ja nicht viel passieren in dem Alter», sagt sie. Doch vor allem anderen Menschen könne so geholfen werden, weil jede einzelne Impfung dazu beitrage, die Pandemie zu besiegen.

Geimpft werden Nadolph und Wirth mit dem Impfstoff der Mainzer Firma Biontech und ihres US-Partners Pfizer. Das Mittel ist der erste Corona-Impfstoff, der eine Zulassung in der Europäischen Union erhalten hat. Bis Ende des Jahres sollen insgesamt etwa 19 500 Impfdosen davon nach Thüringen geliefert werden. Die ersten etwa 9750 Impfdosen sind bereits eingetroffen. Weitere Lieferungen werden in den ersten sieben Kalenderwochen des Jahres 2021 erwartet.

Um eine Immunität gegen Covid-19 zu erreichen, müssen zwei Dosen des Impfstoffs mit einem zeitlichen Abstand von etwa drei Wochen voneinander verabreicht werden.

Bereits am Samstag war überraschend eine 101 Jahre alte Frau in Sachsen-Anhalt mit dem Vakzin geimpft worden, obwohl erst einen Tag später bundesweiter Impfstart sein sollte.

Mühlberg, die als Hausärztin einige der Bewohner des Seniorenheims betreut, ist davon überzeugt, dass der Impfstoff gut verträglich ist. Sie habe sich in den vergangenen Tagen genau zur Wirksamkeit und in Studien festgestellten Nebenwirkungen belesen, sagt sie. Wie wohl alle an diesem Tag in diesem Heim verbindet auch sie mit dem Impfen die Hoffnung darauf, dass Corona in den nächsten Monaten viel von dem Schrecken verlieren wird, den das Virus überall auf der Welt verbreitet.

Dass viele Bewohner zuletzt kaum Besuch hätten empfangen dürfen, sei für viele von ihnen eine erhebliche psychische Belastung gewesen, sagt Mühlberg. Wenn alles läuft wie erhofft, müssen solche strengen Besucherregelungen wohl zum nächsten Weihnachtsfest nicht mehr gelten.