Thüringen Bundesfrauenministerium bedauert Urteil gegen Quotenregel

Was sich schon während der Verhandlung über das Thüringer Paritätsgesetz vor dem Verfassungsgerichtshof abgezeichnet hat, hat sich nun bestätigt: Das von Rot-Rot-Grün verabschiedete Paritätsgesetz ist verfassungswidrig - zum Ärger der Frauen, die an den entsprechenden Beratungen beteiligt waren. Es sollte mehr Chancengleichheit bringen.

 
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/Erfurt – Das Landesgesetz, das Frauen und Männern die gleiche Zahl von Listenplätzen bei einer Landtagswahl zusichern soll, ist nach einer Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshof nichtig. Das sogenannte Paritätsgesetz verstoße gegen die Verfassung, urteilte die Mehrheit der höchsten Thüringer Richter am Mittwoch in Weimar. Das Gesetz schränke sowohl die Rechte derer unzulässig ein, die sich zu Wahl stellen wollten, als auch die Rechte der Wählerinnen und Wähler, die von ihnen präferierten Kandidaten zu wählen, erklärte der Präsident des Gerichts, Stefan Kaufmann. Diese Eingriffe in die entsprechenden Rechte ließen sich durch das Ziel des Gesetzes nicht rechtfertigen. Selbst innerhalb des Gerichts gibt es aber abweichende Meinungen zu diesem Urteil. Während sechs Richter das Urteil des Gerichts stützen, votierten drei Mitglieder des Verfassungsgerichts gegen die Mehrheitshaltung, unter ihnen die beiden an den Beratung beteiligten Frauen.

In dem Urteil heißt es auch, das Paritätsgesetz verstoße gegen die grundgesetzlich verbürgten Rechte der Parteien. Sie könnten – bliebe das Gesetz bestehen – ihr Personal nicht mehr frei bestimmen und damit nicht selbst entscheiden, welche Männer und Frauen ihr Programm gegenüber den Wählern präsentieren sollten.

Das Paritätsgesetz bestimmt im Kern, dass die Parteien für zukünftige Landtagswahlen die Plätze auf ihren Wahllisten abwechselnd mit Männer und Frauen besetzen müssen. Es war Mitte 2019 vom Landtag von der damals noch vorhandenen Landtagsmehrheit aus Linken, SPD und Grünen verabschiedet worden und Anfang 2020 in Kraft getreten. Das Gesetz war schon vor seiner Verabschiedung heftig umstritten.

Die Koalition wollte mit Hilfe des Gesetzes erreichen, dass damit in Zukunft mehr Frauen im Landtag vertreten sind. Die AfD-Landtagsfraktion hatte die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes angezweifelt und deswegen den Thüringer Verfassungsgerichtshof angerufen. Zuvor war im Januar 2019 auch in Brandenburg ein solches, dort ebenfalls heftig umstrittenes Gesetz verabschiedet worden. Der Entscheidung der Thüringer Richter wird vor diesem Hintergrund eine bundesweite Signalwirkung zugeschrieben. Schon während der mündlichen Verhandlung in dem Rechtsstreit um das Paritätsgesetz im Mai hatten die Richter des Verfassungsgerichtshof deutliche Zweifel an den Argumenten der rot-rot-grünen Landesregierung erkennen lassen, nach denen das Thüringer Paritätsgesetz mit der Landesverfassung und dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die beiden Verfassungsrichterinnen Elke Heßelmann und Renate Licht sowie der Verfassungsrichter Jens Petermann erklärten in Sondervoten, sie teilten die Meinung der Mehrheit des Gerichts zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Paritätsgesetzes nicht. Sie alle argumentieren, weil die Landesverfassung im Artikel zwei die Gleichstellung von Männern und Frauen fordere, sei damit eine Rechtfertigung für das Paritätsgesetz geschaffen, um unter anderem in die Rechte der Parteien einzugreifen. Heßelmann sagte, zwar habe das Gesetz einige Mängel. Doch könnten diese durch Änderungen am Gesetzestext behoben werden. Das Gesetz müsse aus ihrer Sicht nicht in Gänze für nichtig erklärt werden.

Nach Angaben des Verfassungsrichters Manfred Baldus gilt in Thüringen nun wieder das Wahlrecht für die Landtagswahl, das vor der Verabschiedung des Paritätsgesetzes galt. Damit kann jede Partei für sich entscheiden, wie viele Männer und Frauen sie bei der für 2021 geplanten Landtagswahl antreten lässt.

Mohring: Scheitern mit Ansage

Der ehemalige CDU-Landtagsfraktionschef Mike Mohring hat das Urteil des Verfassungsgerichts zur Paritätsregelung als Scheitern von Rot-Rot-Grün «mit Ansage» an der Thüringer Verfassung bezeichnet. Die Regierungskoalition habe die Regelung entgegen verfassungsrechtlicher Bedenken durchgesetzt, twitterte Mohring am Mittwoch. «Den "Erfolg" der AfD hätte man sich schenken können», heißt es in dem Tweet. CDU-Landesvize Christian Hirte erklärte, das Urteil zementiere weiter die parlamentarische, handwerkliche Unfähigkeit von Rot-Rot-Grün. «Wir sehen das traurige Ende eines rein ideologischen Vorhabens, das mit Zwang und Scheuklappen in ein Gesetz gegossen wurde», erklärte der Bundestagsabgeordnete.

Brandenburger Linke: Thüringer Urteil keine Vorentscheidung

Die Linke im Brandenburger Landtag sieht im Urteil des Thüringer Verfassungsgerichts über das Paritätsgesetz für mehr Gleichstellung bei Wahlen keine Vorentscheidung für Brandenburg. «Diese Entscheidung bezieht sich allein auf Thüringen», erklärte die Innenpolitikerin Andrea Johlige am Mittwoch. «Das letzte Wort wird ohnehin das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben.» In der Sache sei das Urteil in Thüringen für sie nicht überzeugend, denn das Gleichstellungsgebot in den Landesverfassungen und im Grundgesetz sei ein zwingender Grund, der Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze und die Chancengleichheit der Parteien rechtfertige.

Die CDU-Fraktion sieht sich dagegen in ihrer Skepsis bestätigt, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Steeven Bretz. «Gleichwohl gilt es, die Entscheidung des Brandenburger Landesverfassungsgerichtes abzuwarten.»

Höcke spricht von Sieg der Demokratie

Der AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag, Björn Höcke, hat das Urteil des Verfassungsgerichts zur Paritätsregelung als «Sieg für die Demokratie und den Verfassungsstaat» bezeichnet. «Dem Thüringer Verfassungsgerichtshof gebühren Dank und Anerkennung dafür, dass er sich nicht von öffentlichem Druck einschüchtern ließ und sich sachlich an den Vorschriften der Verfassung orientierte», erklärte Höcke am Mittwoch.

Bundesfrauenministerium bedauert Urteil gegen Quotenregel

Das Urteil gegen die Quotenregel für Landtagswahlen in Thüringen stößt im Bundesfrauenministerium auf Bedauern. «Nun gilt es, die Urteilsgründe und dabei auch das Sondervotum der unterlegenen drei Richterinnen und Richter zu analysieren», sagte eine Sprecherin von Ministerin Franziska Giffey (SPD) am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. «Für Thüringen und für die Diskussion in Bund und den anderen Ländern ist es entscheidend zu erkennen, inwieweit Verfassungsänderungen in der Zukunft möglich sind, um Paritätsgesetze zu erlassen.»

Das Familienministerium unterstütze alle Initiativen und Vorschläge, die den Anteil von Frauen in Parlamenten erhöhen könnten, sagte die Sprecherin. «Insoweit bedauern wir das Thüringer Urteil.» Neben den Paritätsgesetzen gelte es, politische Teilhabe von Frauen auch durch andere Instrumente zu fördern. Dabei seien vor allem die Parteien in der Pflicht.

Seit 20 Jahren Parité-Gesetz in Frankreich

In den deutschen Länderparlamenten sind teils deutlich mehr Männer als Frauen vertreten. Spitzenreiter ist Hamburg, wo 43,9 Prozent der Abgeordneten Frauen sind, wie eine Übersicht der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg zeigt. In Sachsen-Anhalt - dem Schlusslicht - sind dagegen nur 21,8 Prozent der Abgeordneten weiblich. Auf Bundesebene hatten Frauenministerin Franziska Giffey und die damalige Justizministerin Katarina Barley (beide SPD) im vergangenen Jahr dafür geworben, eine stärkere Vertretung von Frauen im Bundestag durchzusetzen. In Frankreich gibt es bereits seit dem Jahr 2000 ein Parité-Gesetz. sh/dpa

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