Thüringen Ansturm der Verunsicherten - Hausärzte in Zeiten von Covid-19

Annett Stein,
In Südthüringer Krankenhäusern inzwischen ein begehrtes Souvenir: Mehrere Kliniken berichten, dass Desinfektionsmittel gestohlen wurden. Foto: Stache/dpa Quelle: Unbekannt

Viele Fragen treiben derzeit verunsicherte Menschen in Thüringen, ja in ganz Deutschland um. Ihre Sorgen laden viele beim Hausarzt ab.

 
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Husten und ein bisschen Fieber, das sind Anfang März in Deutschland keine unüblichen Krankheitssymptome. Bei Schmuddelwetter hat die Erkältungszeit üblicherweise ihren Höhepunkt erreicht. Und die Grippe welle noch dazu. Gründe gibt es Anfang März also schon genug für volle Arztpraxen.

In diesem Jahr kommt auch noch das Coronavirus hinzu. Viele Menschen suchen derzeit aus Sorge vor dem Virus ihren Hausarzt mit Symptomen auf, die sie sonst daheim auskuriert hätten. Bei so manchem Hausarzt sorgt das für übervolle Wartezimmer - die im Zweifelsfall erst recht eine Brutstätte für Ansteckungen sein können, nicht nur für das neue Virus Sars-CoV-2. Was tun?

"Erst mal anrufen und nicht direkt in die Praxis rennen", sagt der Sprecher des Deutschen Hausärzteverbands, Christian Schmuck. "Denn wenn man nun wirklich daran erkrankt sein sollte, dann muss man das ja nicht unbedingt in ein voll besetztes Wartezimmer mit ohnehin schon geschwächten Immunsystemen reintragen." Derzeit stehe bei den Hausärzten nicht Covid-19 selbst, sondern der Beratungsaufwand für verunsicherte Menschen im Vordergrund.

"Wir werden derzeit bombardiert mit Telefonanfragen und Patienten, die wegen Beschwerden vorstellig werden", sagt der Vorsitzende des Mediverbundes, der Allgemeinmediziner Werner Baumgärtner in Stuttgart. Auch beim Kölner Hausarzt Andreas Koch gibt es zeitweise eine lange Schlange. Er hat eine schnelle Methode gefunden, um mögliche Sars-CoV-2-Infizierte von sonstigen Patienten fernzuhalten. Alle regulären Termine habe er gestrichen und sich morgens vor die Tür gestellt, um jeden Wartenden einzeln abzufragen, wie der Allgemeinmediziner berichtet. "Im Moment ist meine Hauptarbeit, zu reden. Kommunikation."

Von viel Besonnenheit berichtet dagegen Christian Jacob, Sprecher des SRH-Zentralklinikums in Suhl. Noch würden die Patienten mit Husten, Schnupfen und Fieber außerhalb der regulären Öffnungszeiten der Arztpraxen nicht die Notaufnahme des Klinikums stürmen. Und das ei auch gut so, sagt Jacob.

Schilder an den Eingangstüren des Klinikums weisen Besucher darauf hin, dass sie lieber von ihrem Besuch bei Verwandten oder Freunden absehen sollten, wenn sie sich derzeit nicht ganz gesund fühlen. Mit Halskratzen, Husten und Fieber bleibt man einem Krankenhaus in diesen Tagen lieber fern. In den kommenden tagen soll laut Jacob an der Tür der Notaufnahme zudem ein Schild angebracht werden. Patienten, die mit dem Verdacht kommen, sie hätten sich mit Covid-19 infiziert, werden darauf aufgefordert, in der Notaufnahme zu klingeln und zu warten, bis sie abgeholt werden. "Ein Mitarbeiter der Notaufnahme wird dann kommen, dem Patienten einen Mundschutz überziehen, selbst einen Mundschutz tragen und ihn dann in die Notdienstpraxis der Kasenärztlichen Vereinigung begleiten. Dort würden dann die diensthabenden Hausärzte das weitere Vorgehen entscheiden.

Die KV in Weimar hat auf ihrer Internetseite schon umfangreiche Informationen für ihre Mitglieder bereitgestellt, wie sie mit Corona-Verdachtsfällen umgehen sollen. "Wir werden diese Informationen um Laufe der Woche noch einmal aktualisieren", sagt KV-Sprecher Veit Malolepsy.

Hausarzt Koch berichtet, dass er sich von allen Patienten mit einem Erkältungsinfekt die Namen aufgeschrieben und sie dann wieder nach Hause geschickt habe. Anschließend habe er sie angerufen und befragt - etwa zu Aufenthalten in Risikogebieten und den genauen Symptomen. Darauf basierend entscheide er, ob er dem Patienten einen Hausbesuch abstatte oder ihn außerhalb der Sprechzeiten isoliert einbestelle.

Eine Alternative zum Anruf beim Hausarzt ist, sich mit Fragen zu einer möglichen Infektion an die bundesweite Rufnummer 116 117 des kassenärztlichen Notdienstes zu wenden.

Auch bei Rettungsdiensten mehren sich die Anrufe. Die Berliner Feuerwehr appellierte via Twitter bereits, Nachfragen zum Coronavirus nicht über den Notruf 112 laufen zu lassen. Wie in Berlin wurden auch in den Südthüringer Landkreisen Nummern für Fragen eingerichtet, umfassende Informationen bieten zudem das Robert Koch-Institut und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihren Internetseiten.

Besorgte Menschen sollten sich klar machen: Derzeit ist eine Erkältung oder ein grippaler Infekt um ein Vielfaches wahrscheinlicher als Covid-19. Gar nicht oft genug zu betonen ist zudem: Covid-19 sei eine milde Erkrankung, im Grunde eine Art Erkältung, die meist rasch überstanden oder von vornherein kaum zu spüren sei, betont der renommierte Virologe Christian Drosten.

Ausbreitung bremsen

Der Hintergrund der Maßnahmen ist ein anderer: Eine ungebremste Infektionswelle könnte unter anderem volle Wartebereiche und Arztpraxen, belegte Intensivbetten und überlastete Gesundheitsämter bedeuten. Je besser es gelinge, die Rate der Ansteckungen kleinzuhalten, desto geringer werde der Druck auf das Medizinsystem und die Gesellschaft, so Drosten. Es mache einen riesigen Unterschied, ob eine Ausbreitungswelle eine Bevölkerung binnen weniger Wochen oder auf zwei Jahre verteilt zu großen Teilen erfasse.

Ein Aspekt sind knapp werdende Schutzmaterialien wie Atemmasken. Diese gingen derzeit in vielen Praxen zur Neige, berichten auch Hausärzte und Apotheker in Südthüringen. Und auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, sagt: "Der Grundbestand, über den die niedergelassenen Kollegen in ihren Praxen verfügen, wird bundesweit nicht ausreichen, wenn die Zahl der Verdachtsfälle steigen wird." Man sei im Gespräch mit dem Bundesgesundheitsministerium und allen Beteiligten, um rasch Abhilfe schaffen zu können und Schutzbekleidung dort vorzuhalten, wo sie gebraucht werde.

Krankenhäuser in der Region berichten zudem von ersten Diebstählen in ihren Häusern. Besucher oder Patienten würden die schlicht die Flaschen mit Desinfektionsmitteln von den Toiletten mitgehen lassen. Dabei betonen alle Experten immer wieder, dass gründliches Händewaschen mit warmem Wasser und Seife der effektivste Schutz vor Infektionen sei. Bei der Menge an Desinfektionsmitteln, die in den vergangenen Tagen in Apotheken und Drogerien in Deutschland gekauft wurden, drängt sich die Frage auf, was die Menschen mit den Unmengen eigentlich machen, die sie da gebunkert haben.

Achtsamkeit ist vor allem im Umgang mit Menschen der Risikogruppen gefragt: Krebskranken in Chemotherapie, alten Menschen und solchen mit Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auf Diabetes zurückgehenden Organschäden. Auf sie gehen die weitaus meisten Todesfälle zurück. Nach den derzeitigen Daten liegt die Covid-19-Todesrate bei 0,3 bis 0,7 Prozent, wie der Virologe Drosten sagt. Das bedeutet, dass von 1000 Infizierten drei bis sieben sterben. Wahrscheinlich liege die tatsächliche Rate sogar noch darunter.

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