Theater Ostdeutsche Gesellschaft auf der Bühne

Szene aus „Guldenberg“ in den Meininger Kammerspielen. Foto: DMT

Zwei Uraufführungen skizzieren an Thüringer Theatern am 26. November ostdeutsche Gesellschaftspanoramen: Meiningen widmet sich Christoph Heins Roman „Guldenberg“, in Rudolstadt geht es um László Krasznahorkais Roman „Herscht 07769“.

 
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Gleicher Termin, gleiches Thema, ähnliche Stoffe: Dass die Theater Meiningen und Rudolstadt sozusagen zeitgleich mit geballter Schauspielkraft eine Beschreibung ostdeutscher Befindlichkeiten auf ihren Bühnen versuchen, ist sicher nicht ganz dem Zufall geschuldet. Seit langem schon schwelen gesellschaftliche Konflikte, die erst jüngst bei Demonstrationen offen zu Tage treten. Mit einfachen Erklärungen ist es dabei nicht getan, weiß zum Beispiel der Meininger Intendant Jens Neundorff von Enzberg. Die Probleme seien vielschichtiger und wurzelten tiefer, meint er. Und: Wer in Thüringen Theater macht, der sollte sich schon auch mit hiesigen Gesellschaftsrealitäten auseinander setzen. Nicht nur das: Theater sei dabei gefragt, Positionen gegenüberzustellen, auch Position zu beziehen, vor allem aber, eine Debatte zu ermöglichen.

Sein (erster) Aufschlag dazu heißt „Guldenberg“. Der im vergangenen Jahr erschienene Roman von Christoph Hein zeichnet das Porträt einer ostdeutschen Kleinstadt, die nach der Ankunft einer Gruppe minderjähriger, unbegleiteter Flüchtlinge aus den Fugen gerät. Alles fiktiv, natürlich, aber dennoch sei „Guldenberg“ ein typischer Hein, findet der Intendant: „Er legt den Finger genau in die Wunden.“ Der Autor pflegt dabei die literarische Kunst, es bei Beschreibungen zu belassen und sich Wertungen zu verbieten. Diesem Muster will Jens Neundorff von Enzberg auch auf der Theaterbühne folgen: „Der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, aber niemanden belehren“, erklärt er die Absicht. Ihn verbindet übrigens eine lange Bekanntschaft mit dem ostdeutschen Schriftsteller. Wohl deswegen hat er gerade den Meiningern die Theaterfassung seines Romans überlassen, die das Regieteam selbst geschrieben hat. Christoph Hein wird zur Premiere anwesend sein.

Der Autor blickt im Roman auf eine Kleinstadt, in der sich plötzlich Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ausbreiten, unbewältigte historische Konflikte und diffuse Zukunftsängste zu Tage treten. Die Biografien seiner Figuren verweisen dabei auch auf die deutsch-deutsche Geschichte und die politischen Bruchstellen der Nachwendezeit.

Radikaler Rachefeldzug

Ähnlich das Stück, um das es auf der Rudolstädter Bühne geht: „Herscht 07769“ ist einer der vielbeachtesten Romane des vergangenen Jahres, der in Thüringen, in unmittelbarer Nähe von Rudolstadt spielt. Damit geht der preisgekrönte ungarische Autor László Krasznahorkai sogar noch ein Stück weiter als Christoph Hein, der eine fiktive ostdeutsche Kleinstadt zum Ort des Geschehens macht. Bei Krasznahorkai wird die Kleinstadt Kana zum Schauplatz eines Untergangsszenarios, das in einen radikalen Rachefeldzug gegen das Böse mündet. Einzig die Schönheit der Musik von Johann Sebastian Bach triumphiert. Ortskundige werden wohl schnell erraten, dass dabei nur die Porzellanstadt Kahla gemeint sein kann.

Florian Herscht, der Protagonist des Stücks, ist ein Eigenbrötler, ein riesiges Muskelpaket. Er hilft in Kana allen, so gut er kann. Und er ist hellsichtig. Wenn er zum Himmel blickt, empfindet er das Universum als komplett schutzlos, und mehr noch: Für ihn befindet sich die Welt in existenzieller Gefahr. Sein Problem ist, dass niemand ihm glaubt. Selbst seine warnenden Briefe an Angela Merkel im Kanzleramt bleiben unbeantwortet. Und auch der Boss, ein echter Nazi, der Florian aus dem Heim geholt und bei sich als Gebäudereiniger angestellt hat, hat nur Ohren für die Musik von Johann Sebastian Bach, trommelt aber ansonsten fürs vierte Reich. Gemeinsam gehen sie zur Probe der Kanaer Symphoniker oder fahren durch Thüringen, um Graffitis zu entfernen, die neuerdings an Bach-Gedenkstätten gesprüht werden. Doch immer mehr unerklärliche und schreckliche Dinge geschehen – weniger im Universum als direkt vor der Haustür. Sie beunruhigen nicht nur die Kanaer, sondern öffnen auch Florian, der unter den Menschen immer nur das Gute sah, die Augen.

Uraufführung „Guldenberg“ nach dem Roman von Christoph Hein: Premiere am 26. November um 19.30 Uhr in den Meininger Kammerspielen. Weitere Termine am 29. November, 4./22. Dezember. Karten unter Tel. 03693/45122 oder www.staatstheater-meiningen.de

Uraufführung „Herscht 07769“ nach dem Roman von László Krasznahorkai: Premiere am 26. November um 19.30 Uhr im Theater im Stadthaus Rudolstadt. Weitere Termine am 29. November, 3./16. Dezember. Karten unter Tel. 03672/422766 oder www.theater-rudolstadt.de

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